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MAX RICHTER: THREE WORLDS: Music from Woolf Works, CD, 2 LPs, Deutsche Grammophon

21.05.2017 | cd

MAX RICHTER: THREE WORLDS: Music from Woolf Works, CD, 2 LPs, Deutsche Grammophon 

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„Memory is the seamstress, and a capricious one at that. Memory runs her needle in and out, up and down, hither and thither. Wer know not what comes next, or what follows after. Thus, the most ordinary movement in the world such as sitting down at a table and pulling the inkstand towards one, agitate a thousand odd, disconnected fragments, now bright, now dim, hanging and bobbing and dipping and flaunting.“ 

Virginia Woolf aus Orlando 1928

Die Musik zum Ballett Woolf Works, in drei Teile nach Virginia Woolfs legendären Romanen Mrs. Dalloway, Orlando und The Waves, wurde vom Choreografen Wayne Mc Gregor vom Londoner Royal Ballet in Auftrag gegeben. Das 110 Minuten lange Werk wurde nun komprimiert in Ausschnitten für CD und 2 LPs bearbeitet. Dabei hat sich Max Richter auf die Figuren Peter, Sally und Septimus konzentriert. Die Musiken von Peter und Sally sind verwandt, da beide Personen verkörpern, die mit Clarissa Dallowway in der Vergangenheit in starker Beziehung gestanden waren. Die Musik des an einer Kriegsneurose leidenden Septimus hingegen ähnelt einem kleinen De Profundis. Der vierte Widmungsträger des Albums ist die City von London, charakterisiert durch den Klang von Big Ben.

Unterstützt vom Deutschen Film Orchester Babelsberg, einem Streichquartett (Louisa Fuller, Natalia Bonner Violine; John Metcalfe Viola, Ian Burdge, Chris Worsey Cello), der Sopranistin Grace Davidson sowie Max Richter selbst am Klavier und Modular Synthesizer will die Musik Zeit und Erinnerung im Werk der berühmten Autorin einfangen. Dabei soll nach dem Willen des Komponisten sowohl die Vielfalt und die unterschiedlichen Universen in Woolfs drei zitierten Werken mit einer eigenen musikalischen „Grammatik“ in jeweils adäquate Klänge gegossen werden, diese aber gleichzeitig einem übergeordneten klanglichen Fingerabdruck auf den Spuren des Sprache Woolfs folgen.

Der Klangkosmos Richters, eines im deutschen Hameln geborenen britischen Tonsetzers, der auch hörbar viele Filmmusiken schrieb, in Three Worlds ist durchwegs melancholisch und wie von einem Trauerflor überschattet. In diesem Album, das wohl auch des 75. Todestages der Autorin gedenkt (Musik zu The Waves, vor der der bewegende Abschiedsbrief gelesen wird), die tragisch durch Selbstmord aus dem Leben schied, ist Orlando die am interessantesten inspirierte und wohl auch längste Musik gewidmet. Der Variationenform, die Richter wählt, liegt das Fragment La Folia zugrunde, das unzählige Komponisten des Barock wie Corelli, Marais, Lully, Vivaldi und Scarlatti anregte, immer durch elektronische Elemente durchsetzt.

Die Musik klingt in vielen Teilen esoterisch wie Arvo Pärt, frei fließend, sich den Wellen und deren Auflösung ergebend. Aber auch rhythmisch weiß es vor allem mit „The tyranny of symmetry“ Akzente zu setzen. Natürlich gelingt es dem Komponisten nicht annähernd, der sprachlichen Wunderwelt mit ihrer komplexen Verquickung von mäandernden Gedanken Virginia Woolfs musikalisch auch  nur irgendwie gerecht zu werden. Reizvoll zu hören ist das Album aber allemal, das allzu Illustrative und Untermalende einmal außer Acht gelassen. Seine Musik nimmt nicht Stellung und ihr fehlt sozusagen das Gesicht, das man sich anhand eines Porträts von Virginia Woolf wohl selbst vor Augen führen muss. Obwohl die Musik danach brennt, eine Geschichte zu erzählen, lebt sie dennoch ausschließlich von den feinen Stimmungen, die sie auslöst, das Narrative ist bei den drei Rezitatorinnen, Sarah Satcliffe, Gillian Anderson und am bewegendsten Virginia Woolf selbst in dem einzigen von ihr erhaltenen Tondokument, einem BBC Broadcast vom 29.4.1937, bestens aufgehoben. 

Die Art, so zu komponieren wie Max Richter das tut, kennt man ja u.a. bereits seit Mike Oldfield, nur firmiert das Ganze jetzt halt unter Klassik. Für alle mit großer Sehnsucht nach musikalischer Einfachheit bei durchaus erhöhtem Wohlfühl-Reizniveau und dennoch bisweilen differenziertem Feintuning ein passendes Album. Nach neuen Erkenntnissen zu Virginia Woolf ist das Album nicht angelegt.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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