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MAURO PETER: „MOZART-TENOR, ABER NICHT NUR“

10.07.2019 | Sänger

MAURO PETER: „MOZART-TENOR  –  ABER NICHT NUR!“

(Das Gespräch fand am 5.7. im Foyer des Hotels Rheingold in Bayreuth statt)

Karl Masek


Foto: Andrea Masek

Die „Aufwärmfrage“: Wie war ihre letzte „Winterreise“ bei der Schubertiade im heißen Juni? War das die erste Winterreise dort?

Nein, es war die zweite dort, und mit Helmut Deutsch, glaube ich, sogar insgesamt sogar schon die fünfte. Es war wieder spannend – ich hab ja auch in Zürich das Winterreise-Ballett von Hans Zender gesungen, diese speziell komponierte Interpretation, da ist vieles sehr anders, da muss man sehr genau zählen, es gibt zum Teil Tonhöhenrückungen, und da muss man schon aufpassen, wenn man nachher wieder den Schubert singt. Da hatte ich schon ein bissel Schiss, wenn ich da aus lauter Gewohnheit  plötzlich einen halben Ton anders singe. Der Helmut Deutsch kann natürlich vieles auffangen, aber wenn ich dann „falsch“ singe? …Das war intensiv – und ich lass mich ja immer gerne überraschen, es ist natürlich nie ganz gleich. Das wär ja auch langweilig! Bei der Schubertiade zu sein, ist immer etwas ganz Spezielles, und trotz der heißen Temperaturen hab‘ ich mich sehr wohlgefühlt bei dieser „Winter-Reise“!

Zum aktuellen Projekt, die Deutsche Erstaufführung des Gluck’schen „Antigono“: Sie singen die Titelrolle, es ist ihr erster gesungener Gluck. War die Probenarbeit in Halle mit Michael Hofstetter und dem Orchester auch eine „Schatzgräberarbeit“?

Es war sehr spannend, es ist vieles auch sehr eigen und natürlich völlig neu. Es gibt ja auch keine Gesamtaufnahme – ich gebe zu, dass ich ganz gerne auch andere Aufnahmen höre, nicht um dann was zu kopieren, da, glaube ich, habe ich schon dann ganz eigene Ideen. Aber ich hab auch schon länger nicht mehr mit einem Orchester mit „alter Stimmung“ musiziert, was auch spannend ist, der Klang der Darmsaiten, die Naturhörner…, lustigerweise, die erste Arie ist sehr pompös, die dritte singe ich zwar auch pompös, aber sie ist doch viel spärlicher instrumentiert, was dann sehr gut die Gefühlslage des emotional ziemlich überforderten Königs trifft …

Ist Glucks Musik formelhaft und „konventionell“ gearbeitet, was man mitunter als langatmig bezeichnet, oder ist Gluck doch der große Reformator, der große Erneuerer der Musik seiner Zeit?

Genau! Ich muss aber sagen, ich kenne das Gesamtwerk Glucks bisher nur wenig, daher ist es für mich schwer, drauf eine g’scheite Antwort zu geben. Ich find aber schon, dass es viele Sachen gibt, die man bisher so nicht kennt. Gewisse harmonische Sachen, die „weit nach vorne gerichtet“ sind, wo man merkt, aha, das war schon innovativ gedacht … ich freue mich einfach auf diese erste Erfahrung und darauf, das Werk anzupacken!

Zurück zum Anfang, zu ihrer Zeit bei den Luzerner Sängerknaben …

…, Singknaben hießen die damals … da kam jemand zu uns sieben- oder achtjährigen in die zweite Klasse, sang mit uns und  ließ uns etwas vorsingen, legte vier Stücke vor – und vier Buben, darunter ich, bekamen dann ein Schreiben mit. Meine Mutter erzählte oft, ich kam nach Hause und rief ‚Mama, Mama, ich darf singen gehen!‘ … Und alles hat mit dem Chor angefangen! Der Mann war Marc-Olivier Oetterli, ein Bass-Bariton.

 Stimmlage?

Alt 1; ich hatte immer die Höhen für den Sopran, aber die Stimmfarbe war ganz klar „Alt“.

Was hat der 10-Jährige besonders gern gesungen?

An Spezielles kann ich mich gar nicht erinnern. Es gab damals einen städtischen und einen kantonalen Chor in Luzern. Den Dritten Knaben in der Zauberflöte hab ich zum Beispiel nie gesungen, der war damals dem anderen Chor zugeteilt. Ja, Johannespassion kam schon, und sonst ein sehr gemischtes Repertoire. Mich hat damals die Gemeinsamkeit des Singens fasziniert, einfach das Gemeinschaftliche. Und wir hatten Pädagogen, die Begeisterung wecken konnten. Als es dann Richtung Männerstimme ging, war einer da, der hat uns herausgefordert, die volle Stimme zu gebrauchen, also nicht nur „das Vorsichtige“, natürlich pflegend behandelt, aber das war schon toll, wie er uns 15-, 16-jährige angespornt hat, auch mal „die Sau rauszulassen“ … So kommt man auch zur Freude an der Musik und es bekommt etwas „Körperliches“ … und die Gänsehautmomente, die hatte ich jedes Mal bei einem kitschigen, eher modernen  Stück mit vielen Bläsern, einem „Gloria“.  Mit 20 hat sich das dann gedreht, ich wollte selbst verantwortlich sein für das, was ich mache. Im Chor ist man ja auch immer für den Gesamtklang verantwortlich!

Sie waren, wie viele andere dann auch an der Theaterakademie August Everding in München. Eine besondere Talenteschmiede…?

… Ja, mit den vielen Möglichkeiten, die man kriegt. Dort schon mit professionellem Orchester, Dirigenten, mit Regisseuren zu arbeiten. Und das alles in diesem riesigen Prinzregententheater! Ein Riesensprungbrett!

Meine ersten Wiener Eindrücke mit ihnen waren: Ein Bachkantaten-Abend mit Luca Pianca und bereits eine „Schöne Müllerin“ mit Helmut Deutsch, beides im Konzerthaus, im Mozartsaal. Da fiel mir schon die große, fast symbiotische Übereinstimmung mit Helmut Deutsch auf. Waren Bach und Schubert damals Lieblingskomponisten? Und war Helmut Deutsch ein besonderer Förderer?

Helmut Deutsch ist für mich wahnsinnig wichtig. Ich hatte riesiges Glück, ihn als Lehrer gehabt zu haben in der ganzen Übergangszeit vom Studium zum Karrierebeginn. Hätte ich mir vor zehn Jahren nie träumen lassen, mit diesem Großen zusammenzuarbeiten. Dass er mir in seinem neuen Buch ein ganzes Kapitel gewidmet hat, das erfüllt mich mit Rührung! Und es ist wirklich eine Übereinstimmung zwischen zwei Freunden, wir müssen oft gar nicht diskutieren … Und wie war die 2. Frage? Bach?

Mir ist aufgefallen im Gegensatz zu vielen anderen Tenören, die Bach singen, hatte ihre Stimme nicht die Reinheit und „Keuschheit“ und „weiße“ Farbe, sondern schon damals mehr die Sinnlichkeit, die schon in Richtung Mozart weist. Also, keine typische Bach-Stimme!

Ich denke, ich muss Bach singen mit der Stimme, die ich hab, bei aller stilistischen Anpassung natürlich. Je mehr man sich mit Bach beschäftigt, umso überwältigender empfindet man dieses Genie. Und wie sinnlich doch der Bach klingt. In der Matthäuspassion gibt’s ja unfassbar sinnliche Momente, dramatische, harte, böse Momente. Das berührt mich enorm!

Ihre andere „Institution“ am Anfang der Karriere war sicher Nikolaus Harnoncourt …

Auf jeden Fall! Ich weiß, ich hab ihm im Musikverein vorgesungen. Faszinierend! Ich wurde „vorgewarnt“, begann mit ‚Konstanze, dich wiederzusehen‘ – nach drei Takten unterbricht er. Und das wurde dann kein Vorsingen, sondern er arbeitete mit mir fast eine Stunde an dieser Arie, nein, das müssen sie s o machen – und das sollte besser s o klingen – und diese leuchtenden und riesigen Augen dabei! Diese Arbeit war ihm viel wichtiger als zu hören, ob ich Stimme habe. Zu erkennen, kann er das umsetzen, was ich von ihm will … ja, und die halbkonzertante Probenarbeit der Mozart-Opern im Theater an der Wien. Das war auch aufregend. Das wurde ja auch dokumentiert. Erste Probe –  und zack, man hat schon die Kameras vor’m  G’sicht! Was ich so schön fand, war, dass er ungemein genau geprobt hat, um einem dann bei den Aufführungen viele Freiheiten zu lassen! Das beflügelte! Der musizierte mit einem, und er trug einen! So wie der Helmut Deutsch bei den Liedprogrammen!

Was ist für Sie das Besondere bei Mozart? Was ihn von allen anderen unterscheidet? Ich sag‘ immer, der Mozart war der größte musikalische Intuitivpsychologe aller Zeiten …

… (Lacht schallend): Ja, genau! Was ich nicht fassen kann, ist, wie man mit einer solchen Einfachheit und Schlichtheit solche Welten kreieren kann! ‚Contessa perdono‘! So eine einfache Melodie! Und daraus ein Himmel an Gefühlen! So gut, so klug! Und bei der Beschäftigung mit seinen Liedern: Dass jemand, der so göttlich komponieren konnte,  auch immer wieder so schelmisch und verschmitzt sein konnte. Das find ich herrlich! Es ist so menschlich, dass beides nebenan existiert, der blödeste Quatsch (die Briefe!), aber zugleich dass die tiefsten Gefühle, die Menschen haben können, musikalisch so umgesetzt werden …

Gesetzt den Fall, sie könnten mit Mozart einen Abend verbringen: Was würden Sie ihn alles fragen? Fachsimpeln?

(Lacht): Also natürlich technische Fragen, wie ist das nun mit den Vorhalten und so Zeug, wo jeder heute weiß, wie’s geht. Und ob er gutheißen würde, wie wir heute Mozart singen. Ich kann mir vorstellen, dass die Stimmen früher leichter waren, und vielleicht würde er sagen, fürchterlich alles – oder auch ,  ja, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich noch das und jenes geschrieben…., aber auch den Genussmenschen würde ich gerne fragen, was er gerne isst, welchen Wein er bevorzugt, und so!

 Selbe Frage zu Schubert?

Den Schubert würde ich nach seiner Gefühlswelt fragen. Die dünkt mich wahnsinnig komplex. Und wie er es geschafft hat, so vieles in so kurzer Zeit zu schreiben. Unglaublich, man selbst würde mit dem bloßen Nachschreiben niemals nachkommen! Dann würde mich interessieren, wie er zu Goethe steht, von dem er ja nie eine Antwort gekriegt hat. Ob ihn das gekränkt hat oder ob er gesagt hätte, der Typ ist mir eh wurscht …

Zu ihrer stimmlichen Entwicklung, so etwa seit 2012, dem Jahr der Debüts bei den Salzburger Festspielen und bei der Schubertiade. Sie bezeichnen sich selbst als Mozarttenor …

…Ja, aber nicht nur! Wenn ich Aufnahmen aus dieser Zeit höre, denke ich, das war ich? Das klingt „nach meinem kleinen Bruder“! Natürlich, die Stimme hat sich weiter entwickelt und da gibt es natürlich weitere „Mozarts“. Sehr gerne der Titus! Beim Idomeneo kommt es ein bisschen darauf an, damit es altersmäßig stimmt, wer singt den Idamante …

Und außerhalb Mozarts? Sie haben soeben den Oberon im Theater an der Wien gesungen. Alles was lyrische Farbe verlangt: Der „Freischütz“-Max? Oder eine Schubertoper , wie Fierrabras? Oder Richard Strauss, den Flamand in Capriccio könnte ich mir gut vorstellen! Die Frage nach Lohengrin stelle ich nicht …

(Lacht)…Nein, der kommt lange nicht! Ich bin aber auch aufgeschlossen für französisches Repertoire. Nächsten März wird man da mehr wissen. Den Wagner mag ich – was soll ich auch anderes sagen, wir sitzen hier in Bayreuth! Den David würd ich jedenfalls gern singen! Aber ich muss das nicht forcieren. Ich bin für alles offen, möchte aber anderseits nichts von meiner Farbpalette verlieren … ein Traum wäre sicher, irgendwann einmal sowohl den Don Ottavio als auch den Lohengrin zu singen, falls er denn käme … aber wenn er nicht kommt, ist es auch kein Problem … ich bin ja mit meinen 32 Jahren noch sehr am Lernen vieler neuer Sachen. Neben all den musikalischen Feinheiten und der stimmlichen Weiterentwicklung interessiert mich jetzt auch das Darstellerische immer mehr. Und stimmlich ist auch das neue Liedprogramm für Salzburg mit Schubert (beim Erlkönig muss man ja auch ordentlich zupacken!) und Richard Strauss eine neue Dimension. Aber mit dem Helmut Deutsch kann ich das wagen …

Wie kommen Sie mit Regisseuren klar? Beispiel Salzburg, Zauberflöte 2018, die ja ziemlich umstritten war …

Bisher kam ich eigentlich immer klar. Also, ich kenne keinen Regisseur, der an der Zauberflöte nicht gescheitert wäre! Und hier lag es sicher auch an der Schwierigkeit, mit den Dimensionen im Großen Festspielhaus zurande zu kommen. Ich hab mit der Lydia Steier schon an der Theaterakademie arbeiten können, das war „La Finta Giardinera“, ich find sie unglaublich komödiantisch und vor Ideen sprühend. In Zürich mussten wir beim selben Werk in Unterhosen herumhopsen, das ginge auch anders, aber es ging mit dem Singen jedenfalls gut, dann sah ich das eher sportlich – und es muss mir ja nicht alles gefallen. In Salzburg war es ein wunderbares Miteinander in der 6-wöchigen Probenzeit zwischen Lydia Steier, dem Dirigenten Carydis, den Philharmonikern und uns Sängern. Die Grundidee mit dem Großvater, der den 3 Knaben die Zauberflöte vorliest und die dann ins Geschehen eingreifen, fand ich sehr überzeugend. Ja, die „Hinrichtungsszene“, die fand ich auch „happig“. Ich fände es aber nicht integer, weil die Kritiken nach der Premiere doch auf uns eingeprasselt sind, diese ganze Arbeit „über den Haufen zu werfen“, den Dirigenten „in den Busch zu schmeißen“ und meine Arie loszubrüllen. Durch solche Erfahrungen muss man dann gemeinsam durch!

Ihr Wohnsitz ist Zürich. Ist die Zürcher Oper derzeit auch der Haupthafen?

Das kann man so sagen. Es kommen drei Dinge: Von Händel szenisch der Belshazzar im November, dann Wiederaufnahmen von Zauberflöte und Don Giovanni.

Kommt Wien in ihrem Terminkalender in der Zukunft vor?

Opernmäßig leider nicht! Liederabende wird es aber wieder geben.

Vielen Dank für das Gespräch! Toi, toi, toi für die Gluck-Erstaufführung und  den bevorstehenden Salzburger Liederabend!

 

 

 

 

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