Interview mit Matthias Schorn
Soloklarinettist der Wiener Philharmoniker und des Orchesters der Wiener Staatsoper
„5 Bälle gleichzeitig in der Luft halten“
Karl Masek (16.4. 2020)
Copyright: MuTh
Bedingt durch die Pandemiekrise muss unser Interview knapp nach Ostern „von Home Office to Home Office“ stattfinden. Dank an die Pressesprecherin des „MuTh“ im Augarten, Katharina Schicht, welche die Mailverbindung hergestellt hat! Welche Vorstellung war Ihr letzter „Operndienst“ an der Wiener Staatsoper, was war Ihr letztes „Philharmonisches“ vor der Pandemiesperre?
Meine letzte Opernvorstellung war das Ballett „Macmillan“ am 22. Februar, danach fuhren wir mit Andris Nelsons auf Europa Tournee, um in Paris, Köln, Hamburg und Baden-Baden alle Beethoven Symphonien zu spielen. Die Tournee wurde dann in München, bezeichnenderweise nach der 5. Beethoven, abgebrochen. Die sogenannte „Schicksalssymphonie“ war somit mein bisher letztes „Philharmonisches“.
Ihr Silvester-Programm im „MuTh“ lautete: Das Beste zum Schluss“ und war ein fulminantes musikalisches Finale des Kalenderjahres 2019 mit jeder Menge kreativer Zuversicht für das Jahr 2020 und dem Motto: Die Zukunft ist besser als ihr Ruf. Das Corona-Virus hat da zukunftstechnisch Schlimmes bewirkt. Wie gehen Sie mit dieser Situation (die sich zum Jahreswechsel noch kein Mensch vorstellen konnte) um?
Die momentane Situation ist für jeden von uns eine völlig neue und auch ernstzunehmende. Ich versuche allerdings, diese „Fermate“ in ganzheitlicher Hinsicht als Chance zu begreifen und bin optimistisch, dass wir als Gesellschaft diese Chance auch nützen werden können. Diese Haltung gefällt mir und entspricht eben genau dem Motto „Die Zukunft ist besser als ihr Ruf“.
Wie kann man sich Ihr Home Office vorstellen? Wo befinden Sie sich derzeit? Üben Sie jetzt regelmäßig für sich allein? Gibt es die Möglichkeit, etwa über Skype mit KollegInnen zu musizieren?
Ich habe das große Glück in einem Haus in Niederösterreich (ca. 40 km von Wien entfernt) zu wohnen und verbringe die Zeit hier. Natürlich übe ich für mich alleine, außerdem musiziere ich mit meiner Frau. In den ersten beiden Wochen des „Shutdown“ habe ich mit meinem philharmonischen Kollegen Christoph Gigler (Tuba), welcher nicht weit von mir wohnt, eine „tägliche Musikstunde“ über Internet aus meinem „Kulturbahnhof Altenmarkt-Thenneberg“ gestreamt. Außerdem nütze ich die Zeit für Aktivitäten in der Natur soweit dies möglich ist.
Ich kann mir denken, dass ein Vollblutmusiker wie Sie unter dieser Zwangspause leidet – oder nützen Sie diese Zwangspause verstärkt für Ihre anderen vielfältigen Tätigkeiten? Man hört, Sie sind in Ihrer Wahlheimat im Triestingtal in Niederösterreich Hobby-Imker und bauen selbst Obst und Gemüse an! Die Arbeit mit den Bienen stelle ich mir faszinierend vor…
Ich musiziere ja trotzdem weiterhin, dennoch fehlt mir das „Gemeinsame“ in jeder Hinsicht. Ich freue mich auf die Zeit, in der ich wieder gemeinsam mit anderen Musizieren, Essen, Trinken, Wandern, Feiern, einfach „Leben“ kann. Mein Garten freut sich momentan über meine besondere Zuneigung, vor allem das Beobachten und Betreuen meiner Bienen ist höchst spannend, lehrreich und faszinierend.
Sie haben eine Klarinettenklasse an der Konservatorium Privatuniversität Wien. Können Sie während dieser Zeit Kontakt mit Ihren StudentInnen halten? Gibt es sozusagen Unterricht über die neuen Medien?
Ich leite seit 2013 auf eigenen Wunsch keine eigene Klasse mehr an der Musik und Kunst Privatuniversität Wien, sondern betreue Studenten projektweise.
Gehen wir zurück zu den Anfängen: Sie sind Geburtsjahrgang 1982. Aufgewachsen bei Hallein in Salzburg. Wie ging das los mit der Musik? Wurden Sie in eine Musikerfamilie hineingeboren? Gab es frühe musikalische Prägungen?
Meine musikalischen Prägungen gehen zurück auf meine Eltern und Großeltern, die zwar keine professionellen Musiker, aber leidenschaftliche Amateure im besten Sinne waren und sind. Mein Großvater war Chorleiter, Organist, Theatermacher, Mundartdichter, Flügelhornist, Zitherspieler, einfach der „Kulturmensch“ in unserem kleinen Ort im Tennengau. Über ihn hab ich auch meine Abschlussarbeit am Institut für Volksmusik und Ethnomusikologie an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien geschrieben. Meine Eltern spielten beide in der Blasmusikkapelle und haben uns Kinder immer sehr gefördert. Mein Vater spielte Klarinette und eines Tages lag auch für mich eine Klarinette unter dem Weihnachtsbaum …
Bereits mit 16 Jahren übersiedelten Sie nach Wien. Wie ging es dort ausbildungsmäßig weiter? In welcher Schule waren Sie da? Einer Ihrer Lehrer an der Klarinette war da schon ein Wiener Philharmoniker? Wie wurden die Verbindungen gelegt?
Ich wechselte mit 16 Jahren ans Musikgymnasium Neustiftgasse in Wien und begann gleichzeitig mein Klarinettenstudium an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Meinen dortigen Lehrer, Johann Hindler, lernte ich durch Vermittlung des Soloklarinettisten des Mozarteumorchesters Salzburg, Ferdinand Steiner, kennen. Hans Hindler war mir Lehrmeister und Vaterfigur zugleich und ich bin glücklich und dankbar, danach noch einige Jahre an seiner Seite im Orchester der Wiener Philharmoniker musiziert zu haben. Wir sind bis heute sehr gute Freunde.
Seit 2007 sind Sie Soloklarinettist im Wiener Staatsopernorchester und Wiener Philharmoniker. Da hatten Sie schon in ganz jungen Jahren Erfahrungen in mehreren anderen Orchestern gesammelt, vom ORF – Radiosymphonieorchester Wien (2004) über das Deutsche Symphonieorchester Berlin (2005) bis zu den Münchner Philharmonikern (2006), damals war dort Christian Thielemann Chefdirigent. Dies alles substituierend, freischaffend oder im Fixengagement? Gab es in dieser Zeit Dirigenten, die Sie besonders geschätzt, die Sie vielleicht auch bereits geprägt haben?
Die von Ihnen aufgezählten Orchester waren alles Fixengagements, bevor ich ins Wiener Staatsopernorchester bzw. zu den Wiener Philharmoniker gewechselt bin. Zu dieser Zeit durfte ich außerdem bei vielen weiteren Orchestern wie den Berliner Philharmonikern, der Staatskapelle Dresden, u. v. a. als Soloklarinettist unbezahlbare Erfahrungen sammeln. Zu den für mich prägendsten Dirigenten dieser Zeit würde ich neben Christian Thielemann, sicherlich auch Georges Pretre, Mariss Jansons oder den damaligen Chefdirigenten im DSO Berlin, Kent Nagano, zählen.
Waren Sie im Staatsopernorchester und bei den Philharmonikern als Soloklarinettist Nachfolger des legendären Peter Schmidl, einem Ausnahmemusiker, der zum Beispiel von Karajan immer wieder auch für die Berliner Philharmoniker „ausgeborgt“ wurde? Und wie war für den jungen Newcomer die erste Zeit mit so illustren Kollegen wie dem leider so früh verstorbenen Weltklasse-Klarinettisten Ernst Ottensamer?
Genaugenommen folgte ich Horst Hajek nach, der sich in den Ruhestand verabschiedete und durch den Wechsel von Norbert Täubl auf die 2. Klarinette/Bassklarinette wurde die Solostelle vakant. Die ersten Jahre waren vor allem im Opernbetrieb sehr fordernd, weil ich (wie alle anderen Kollegen vor mir) ganz viel neues Repertoire zu lernen hatte und durch meine Tätigkeiten davor in diversen Symphonieorchestern zwar mit dem symphonischen Repertoire relativ gut vertraut war, aber die Opernwelt doch eine komplett neue für mich war. Meine Kollegen haben mich aber gerade in diesem für mich unbekannten Kosmos immer sehr unterstützt!
Nach reinen Konzertorchestern: War Oper dann eine neue Erfahrung? Wie haben Sie sich das umfangreiche Opernrepertoire erarbeitet, wer waren dabei Mentoren? Haben Sie in diesem Repertoire besondere Vorlieben – oder spielen Sie alles gleich gerne?
Diese Antwort habe ich oben bereits zum Teil vorweggenommen. Mein wichtigster Mentor war sicherlich mein Lehrer Hans Hindler, der ja oft neben mir saß und, 2. Klarinette spielend, mich mit wichtigen Tipps versorgte. Besondere Vorlieben habe ich keine, aber natürlich habe ich das Gefühl, dass mir gewisse Werke besonders gut liegen, andere vielleicht weniger …
Wie ist für Sie das vielzitierte „Mitatmen“ mit den Sängern im Opernalltag? Die Fähigkeit des Antizipierens von Situationen?
Das Zuhören, Begleiten und Reagieren spielt im Opernalltag eine unheimlich wichtige Rolle, in die ich auch erst hineinwachsen musste. Eine unbezahlbare, tägliche Schule, welche die Wiener Philharmoniker mitunter zu diesem einzigartigen, unverwechselbaren Klangkörper formt!
Pianistin Iren Seleljo, Fedor Rudin, Matthias Schorn, August Zirner. Foto: Andrea Masek
Sie sind ein Musiker, der immer auf der Suche nach einem eigenen Musizierideal ist, der Genre-Grenzen sprengt, der nicht nur in der Klassik, sondern auch in der alpenländischen Blasmusik, im Jazz, bei Klezmer und Tango, im Wienerischen, gleichermaßen zu Hause ist. Breit gefächert sind hier die Partnerschaften mit dem Jazzbassisten Georg Breinschmid und Willi Resetarits, dem vormaligen „Kurt Ostbahn“ bis zum Crossover Ensemble „Faltenradio“. Und dann auch „Woodmaster“ beim „Woodstock der Blasmusik“ in Ort im Innkreis! Erzählen Sie bitte ein bisschen darüber!
Schubladen oder Genres haben mich nie interessiert. Ich kann so vieles (noch) nicht und möchte lernen und genießen, mich aus meiner eigenen Komfortzone rausbewegen. Von mir aus auch scheitern. Hauptsache nicht stehenbleiben und vor allem das Feuer nicht verlieren. Musik bzw. die Bühne scheinen „mein“ Medium dafür zu sein. Das fühlt sich gut an.
Otto Schenk sagte immer, wenn es um seine vielen künstlerischen Standbeine ging, er erhole sich als Intendant des Theaters in der Josefstadt vom Theaterspielen, beim Theaterspielen vom Regieführen, beim Regieführen von seinen Lesungen, bei den Lesungen vom Filmen, beim Filmen vom Intendantendasein,… Ist das für Sie ähnlich? Ganz diszipliniert mit philharmonischem Samt-Ton im Orchester (jetzt eben bei einer Wiedergabe im Fernsehen beobachtet, Konzert in Macao mit Antonin Dvořaks „Neuer Welt“), ein Kraft- und Temperamentsbündel, das auch gelegentlich „die Sau rauslässt“ bei den „nicht-klassischen“ Aktivitäten. Oder Ihre Aktivitäten für die „Haltestelle für Kunst aus allen Richtungen“ im ehemaligen Bahnhof Altenmarkt-Thenneberg im Triestingtal! Und Sie brauchen diese ständige Abwechslung!
Ich mach all das gerne, es zwingt mich ja keiner. Das eine befruchtet das andere. Vielleicht bin ich einfach jemand, der gerne 5 Bälle gleichzeitig in der Luft hält. Manchmal fällt einer runter, dann muss man ihn halt wieder aufheben, abwischen und weiterspielen … Mir macht das Spaß und ich bin dankbar das alles tun zu dürfen.
Abschließend der Blick auf eine „Zeit nach Corona“: Die Wiener Staatsoper spielt bis 30. Juni betrüblicherweise nicht mehr. Hofft man immer noch, dass die Salzburger Festspiele 2020 stattfinden können – Intendant Markus Hinterhäuser war da schon vor Wochen pessimistisch – Entscheidung soll aber nach Wissensstand Mitte April erst Ende Mai fallen? Was wären die Aktivitäten so ab Herbst 2020 im Crossover-Bereich, etwa auch im „MuTh“, für die nächste Saison? Welche Tourneen sind bei den Philharmonikern geplant? Welche Herausforderungen kommen in der Wiener Staatsoper der Direktion Bogdan Roščić und mit Philippe Jordan?
Niemand von uns weiß momentan ob wir die diesjährigen Salzburger Festspiele so bestreiten können, wie wir uns das alle wünschen. Vielleicht können wir in absehbarer Zeit zumindest proben oder in kleineren Besetzungen spielen … wir werden sehen. Im Herbst ist eine große philharmonische Asien-Reise geplant, außerdem soll unsere „Faltenradio-Tour“ fortgesetzt werden und natürlich würde ich lieber heute als morgen meinen Kulturbahnhof in Altenmarkt-Thenneberg wieder aufsperren. Im Muth spiele ich nächste Saison ein ganz spezielles Konzert mit meinem „musikalischen Blutsbruder“ Christoph Gigler (Tuba) und gestalte einen Stummfilmabend aus der Zeit des Europäischen Jahrmarktkinos. Darüberhinaus beginnt in der Staatsoper die Ära Bogdan Roscic, der wir alle mit großer Spannung entgegensehen … alles fließt und bleibt aufregend. Schön!
Ich bedanke mich sehr herzlich für das Interview unter besonderen Umständen und wünsche Ihnen alles Gute für „die Zeit danach“!