MATT HAIMOVITZ: TROIKA; MEETING of the Spirits – PENTATONE Oxingale Series
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Vor dem aktuell wohl größten Tausendsassa auf dem Cello, noch dazu eines mythischen über 300 Jahre alten Matteo Goffriller, ist nichts sicher. Da spielt er Jimi Hendrix in eigenen Bearbeitungen, dann eine Sonate von Shostakovich, dann Jazz. Auch Musik von John Lennon, John McLaughlin oder Miles Davies hat er schon bearbeitet und in Konzerten oder auf CD eingespielt. Die rede ist von Haimovitz, dessen musikalische Wurzeln in Bachs Cello-Suiten liegen – ein Universum, das er auch heute noch umkreist, pflegt und immer wieder neu ausleuchtet.
Das Wunderkind Haimovitz ist einem kritischen, offenen und neugierigen Geist gewichen. Matt Haimovitz ist am ersten Ton zu erkennen, er hat einen ganz spezifischen Klang entwickelt. Stets schlank und behende, beweglich und flink, reizt Haimovitz nie alle Klangreserven gleichzeitig aus. Vielmehr fächert er den Klang und seine Möglichkeiten in der Zeit auf, sein Verständnis von Interpretation erwächst sich aus der Stille und geht selten, aber wenn dann gehörig in die Volle. Dynamisch auf das Differenzierteste abgemischt, erfreut sich der Hörer auf der neuen Veröffentlichung verschiedener Schlüsselwerke der Troika. Gemeint sind die russischen Komponisten Dmitri Shostakovich (Walzer Nr. 2 und Sonate für Cello und Klavier in D-Moll, Op. 40), Sergei Prokofiev (Troika aus der Filmpartitur „Lieutenant Kijé“, Sonate für Cello und Klavier in C-Dur, Op. 119) sowie Sergei Rachmaninov (Sonate für Cello und Klavier in G-Moll, Op, 19; Vocalise). Das Album spiegelt Haimovitz‘ Sehnsucht nach künstlerischer Unabhängigkeit, Überschreitung von Genregrenzen und kreativer Vielfalt genau so wieder wie die großartige CD „Meeting of the Spirits“, auf der er Meilensteine des Jazz für eine Big Band von Cellos in Arrangements von David Sanford darbietet. So sind auf dem Album Troika außer den bereits genannten Titeln noch die Bearbeitungen von „Kukushka“ von Viktor Tsoi, und „Back in the USSR“ von John Lennon&Paul McCartney und eine Songbearbeitung von Pussy Riot zu hören.
Haimovitz‘ Label Oxingale ist eine Worterfindung, entstanden aus Ochs und Nachtigall. Voltaire soll einmal gemeint haben, als er Jean-Louis Deport auf dem von ihm ungeliebten Cello spielten hat hören: „Sir, es ist ein Wunder. Sie haben den Ochsen in eine Nachtigall verwandelt.“ Haimovitz Spiel ähnelt fast noch mehr der menschlichen Stimme, ohne die sängerischen Künste der Nachtigall mindern zu wollen. Sein Motto: Neugierde darf nie von Routine und Perfektion verdrängt werden, will man Musik nicht zu einem musealen Artefakt versteinern lassen.
In diesem Sinne sind die beiden vorgestellten Alben großartige Beispiele, wohin sich die neugierigen Geister der klassischen Musik hin ausrichten, was sie interessiert und wie sie Hörer inner- und außerhalb der „Community“ mitnehmen und begeistern können. Einen ebenbürtigen Anteil am Gelingen von Troika trägt Christopher O‘Riley, ein sensitiver Ko-Schöpfer und Pianist von Gnaden. Die CD „Meeting of the Spirits“ stützt sich neben der Künste von Matt Haimovitz auf das Celloensemble „Uccello“. Es rekrutiert sich aus der nächsten Generation an Cellisten aus der Schulich School of Music an der McGill Universität, wo Haimovitz unterrichtet. Fazit: Maßstabsetzend und für den Musikliebhaber spannend mitzuverfolgen vom Konzept bis hin zur exquisiten musikalische Umsetzung.
Dr. Ingobert Waltenberger