Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

Mathis HUBER, Intendant des Festivals „STYRIARTE“: „Wir werden spielen. Plan B, C, oder D, was immer kommt, wird die Kunst nicht in die Knie zwingen.“

Interview mit Mathis HUBER, Intendant des Festivals „STYRIARTE“

„Wir werden spielen. Plan B, C, oder D, was immer kommt, wird die Kunst nicht in die Knie zwingen.“

22.7. 2020 – Karl Masek


Der Intendant, auch des Grazer Osterfestivals PSALM, mit dem „Corona“-Osterlämmchen“ (C: privat)

Am 15.5. 2020, noch mitten im Pandemie-Lockdown, sagten Sie bei einer Pressekonferenz zwei Sätze, die viel über Ihre Persönlichkeit verrieten: Ein couragierter Kulturoptimist, ausgestattet mit sprühenden Ideen, hohem Potenzial an Eigeninitiative, planerischer Kreativität, Improvisationsgabe, Kampfgeist und wohl auch einer Portion an „Steirischer Dickschädeligkeit“, wie das der steirische Landeshauptmann bei der Eröffnungsrede sehr pointiert festgestellt hat. „Wir schreien nicht, wir arbeiten!“ und: „Die Styriarte 2020 findet ab 1.7. FIX statt!“, sagten sie mit großer Überzeugungskraft. Was machte Sie so sicher?

Sicher war da gar nichts. Wir alle standen einem Virus gegenüber, das niemand berechnen konnte, aber es war klar, dass es eine Zukunft geben würde, und der nächste Termin, an dem in Österreich Zukunft des Konzertbetriebes denkbar war, war der 1. Juli. Bis dahin waren unsere Tempel regierungsseitig geschlossen. Warum also hätte ich nicht annehmen sollen, dass wir unser Festival da starten werden? Die gravierendere Frage war ja: Wir sperren auf, aber werden die Besucherinnen kommen, oder werden sie sich um ihre Gesundheit Sorgen machen und einmal abwarten? Unser Publikum ist ja nicht 20, im Schnitt eher 60 Jahre alt.

Sie sind auch Biobauer, wie ich gelesen habe, bewirtschaften einen kleinen Bauernhof mit Hühnern und Schafen, haben einen großen Garten dabei. Das Grazer Osterfestival PSALM musste abgesagt werden. Aber schon hier hatten Sie mit einer originellen  Improvisation „geantwortet“. „Psalm im 7-Minuten-Takt“. Mit einem Kamerun-Lämmchen, kurz entschlossen auf  „Corona“ getauft, als Film-Star für den PSALM-Blog. Für jeden Tag der Karwoche ein kurzes Video mit den geplanten Mitwirkenden.   „Erdet“ diese naturverbundene Tätigkeit auch zusätzlich für Ihre Intendantenarbeit? Gibt es da nicht für den Biobauern  auch immer wieder Unabwägbarkeiten, Herausforderungen „bis knapp an den Abgrund“, wenn ich an die häufigen Wetterkapriolen gerade auch in der Steiermark denke? Ich vermute, auch hier kann Sie nicht so bald etwas erschrecken?

Ja doch. Das Thema von PSALM 2020 lautete „for future“ und das war als Hommage an Greta Thunberg und ihr Weltrettungsprojekt gedacht. Was da klimatisch noch auf uns zukommt, auch auf uns Bauern, das wird uns bestimmt erschrecken. Da war Corona ein Spaziergang dagegen. Wir werden das „for future“-PSALM-Festival daher zu Ostern 2021 nachholen, das ist das wichtigste Thema unserer Zeit.


Die Titelseite des adaptierten Festspielprogramms  styriarte 2020 RELOADED ( C: styriarte/Claudia Tschida)

Ein paar Zahlen zur styriarte 2019: 55 Vorstellungen, 32 Projekte, 30 000 BesucherInnen. Wie fällt das Resümee jetzt, gegen Ende des Festivals „Geschenke der Nacht RELOADED“, aus? Wie viele Projekte wurden es trotz Corona? Fast alle der neu geplanten Programme wurden ja 3x angeboten, um z.B. in der Helmut-List-Halle jeweils 750 ZuschauerInnen die Gelegenheit zu geben, die veränderten und adaptierten Programme sehen und hören zu können. Ist man wenigstens „mit einem blauen Auge“ davongekommen?

Wir haben in unserer Corona-Version 23 Projekte in 77 Vorstellungen von einer Stunde Dauer gespielt. Wir haben mehr als 16.000 Besucherinnen erreicht, also etwa halb so viel wie in einem normalen Festspielsommer. Wir haben 12 unserer Projekte im Internet als Stream ausgestrahlt, das kann man immer noch nachsehen, für unsere Gäste, die sich nicht in Menschenmengen begeben wollten. Wir haben unglaubliche Rückmeldungen von unserem Publikum, aber auch von unseren Künstlern, für die die styriarte 2020 nicht weniger anstrengend war als für uns Veranstalter. Also rundum Glück, und es ist auch in der Kassa glatt ausgegangen.

Bemerkenswert war, dass bei einer Styriarte-Eröffnung erstmals ein Bundespräsident anwesend war. Bund und Land waren mit ihren höchsten Repräsentanten vertreten. Gibt es finanzielle Unterstützungen, wird Ihnen vom Bund, von der Steiermark, konkret und nachhaltig geholfen? Sind diesbezüglich Gelder auch bereits angekommen?


Mathis Huber empfängt im Foyer der Helmut List Halle Bundespräsident Alexander van der Bellen und dessen Frau, Doris Schmidauer (C: Nikola Milatovic)

Die styriarte wird in einem Normalbudget zu 50% von der öffentlichen Hand getragen, vor allem vom Land Steiermark und der Stadt Graz. Wir leben also in einer durchaus komfortablen Situation. Zusätzliche Hilfsgelder haben wir daher nicht beansprucht.

Sofort zurück zum Künstlerischen: Eine Königsidee war es, noch im Juni (!) einen Opernauftrag („Die Musen vom Parnass“) zu vergeben. Ein zehn-Minuten-Operchen für 6 Frauenstimmen sollte der Eröffnungsfeierlichkeit einen passenden, zur aktuellen Situation auch satirisch-heiteren Rahmen geben, zumal es die zu erwartenden Reden dramaturgisch mit einbezog.  Noch nie habe ich eine so heitere Festivaleröffnung, ganz ohne steife Förmlichkeiten und langweilige Sonntagsreden, erlebt! Besonders Bundespräsident Alexander van der Bellen glänzte durch Witz, Schlagfertigkeit und subtilen, philosophisch hintersinnigen Humor und wurde dementsprechend akklamiert!

Wie kamen Sie auf die junge österreichische Komponistin Flora Geißelbrecht? Und, erzählen Sie bitte: Wie war überhaupt der Ablauf in dieser rekordverdächtig kurzen Zeit?

Die Eröffnung der styriarte 2020 durch den österreichischen Bundespräsidenten haben wir als große Ehre empfunden, und es lag nahe, daraus etwas Größeres zu machen. Sofort nach seiner Zusage haben wir daher ein Spektakel erfunden, in das wir die Reden und die an dem Abend schon vorhandene Musik einbauen konnten. Ich habe bewusst angesichts der vielen Männer auf der Bühne nach einer Komponistin gesucht, nach einer frechen, tollen, die schnell ist. Also nach Flora Geißelbrecht, die hatte auch in Graz studiert. Es gab dann innerhalb eines Tages das Libretto von Thomas Höft, innerhalb von vier weiteren Tagen die Musik darauf, und dann ging es schon ans Einstudieren. Man kann das Ergebnis immer noch auf unserer Website nachsehen.

Kommen wir unbedingt auch zu Ihrem „Runden Jubiläum“: Seit 1990 sind Sie nun Intendant der „styriarte“. Gratulation zur höchst erfolgreichen Langzeit-Intendanz! 30 Festivaljahre bedeutete auch ein Vierteljahrhundert Zusammenarbeit mit einer musikalischen Instanz, einer Ikone geradezu: Nikolaus Harnoncourt. War er auch so ein „Steirischer Dickschädel“? Wie war die Zusammenarbeit mit einer so starken, charismatischen Persönlichkeit? Gab es da besondere Highlights? War man mit ihm, wie es eine seiner Lieblingsmetaphern ausdrückt, „…am Rande des Abgrunds, dort wo Schönheit entsteht?“

Harnoncourt war einzigartig, kommt nicht wieder, und es gab von meiner Seite nie ein Problem mit ihm. Seine Autorität kam ja aus Überlegenheit im Wissen und im Können, im Verständnis von Kunst und in der Fleischwerdung des Geistes. Da konnte man nur immer niederknien.

Johann Joseph Fux: Hier schlummern noch jede Menge an Schätzen in den Archiven, zumal es sich bei seinen Opern um Auftragswerke des Wiener Kaiserhofs handelte. Diese wurden zu besonderen Festlichkeiten, wie Geburtstagen des Kaisers/der Kaiserin, aufgeführt – und dann nie mehr. Heuer war das 3. „Fux-Jahr“, begeistert akklamiert. Was kommt nächstes Jahr? Auf welche „Erstaufführung“ außerhalb des Kaiserhofs kann man sich freuen? Gibt es schon einen Übertitel für das Programm 2021? Was wollen/können Sie uns da schon verraten

Die nächste Oper von Fux, die wir machen, heißt „Psiche“, eine wilde Geschichte um Lust und Sex. Überraschend an einem sehr katholischen Kaiserhof. Ein Auftrag von Karl VI., und mehr will ich einmal nicht verraten.

Sie haben in den letzten Jahren sehr erfindungsreich szenische wie konzertante Projekte auch außerhalb der üblichen Säle eines bürgerlichen Konzert- und Opernbetriebs in der Tradition des 19. Jahrhunderts angeboten. Ich erinnere an „Stationen-Konzerte“ mit vokalen und instrumentalen Beiträgen vom Barock bis zu steirischer Volksmusik, quer durch Graz, oder die Einbeziehung von Locations, quer durch die Steiermark. An das Pferde-Ballett vor ein paar Jahren! Wie sind diese Projekte (auch mit „Wanderungen durch Wald & Wiesen“) angekommen? Wurden und werden damit neue Publikumsschichten erreicht, sprechen Sie damit gezielt ein junges Publikum an?

Das wäre schön. Ein wenig funktioniert es auch. Aber es geht einfach darum, dass wir einen reichen und reichsten Schatz an Kunsterbe haben, der nicht ins bürgerliche Konzertformat gehört. Der braucht andere Präsentationsformen, an denen wir experimentieren.

Eine Erfolgsgeschichte ist auch das styriarte Festspiel-Orchester. Aus welchen Klangkörpern kommen da die MusikerInnen? Dirigenten wie Alfredo Bernardini, Michael Hofstetter und Andrés Orozco-Estrada, sind sie „Künstler-in-Residence“? Wird Orozco-Estrada weiterhin für Graz Zeit haben, jetzt, wo er ab Herbst 2020 Chefdirigent der Wiener Symphoniker wird? Und: Wollen Sie (weiterhin) Dirigentinnen am Pult forcieren?

Das Orchester ist fast immer historisch organisiert, spielt auf Darmsaiten, oft auf historischen Blasinstrumenten. Unser Festival hat doch viel Harnoncourt in seiner DNA. Und die Quellen unserer Musikerinnen sind unser eigenes Orchester recreation, dazu dann aber Leute aus dem Concentus Musicus, aus dem Chamber Orchester of Europe und aus einigen anderen europäischen Klangkörpern. Orozco-Estrada ist nächstes Jahr wieder dabei. Dem gefällt das sehr. Hofstetter hoffentlich auch. Der ist ja sozusagen der Gründer der Band. Und Dirigentinnen gehören bei uns zur Normalität, das muss man nicht mehr als das Besondere verkaufen.

Gesetzt den Fall (obwohl wir daran gar nicht denken wollen!), Covid 19 beschäftigt alle 2021 noch immer mit voller Wucht, auch weil Impfstoffe vermutlich noch nicht zur Verfügung stehen werden. Ist eine zweite Durchführung eines Festivals unter solchen Bedingungen überhaupt denkmöglich? Gäbe es in Ihrem Kopf abermals einen „Plan B/C…“?

Wir werden spielen. Plan B, C, oder D, was immer kommt, wird die Kunst nicht in die Knie zwingen.

Vielen Dank für das Interview! Schon jetzt alle guten Wünsche für PSALM nächste Ostern und „STYRIARTE“ 2021!

 Karl Masek   

 

Diese Seite drucken