Wiener Staatsballett: Chef Martin Schläpfer und seine Lust am schöpferischen Prozess
Martin Schläpfer beim Training in der Volksoper. Credit: Ashley Taylor
Zuerst einmal, bitte, ein Willkommen für den neuen Chef! Er ist an der Wiener Staatsoper seit deren Wiederöffnung im Jahr 1955 der Ballettdirektor Nummer zehn (plus Übergangslösungen). Über all die Höhen und doch auch einigen Tiefen der überaus groß besetzten Kompanie nun hinweg zu einem neuen Profil: Martin Schläpfer, Schweizer des Jahrgangs 1959, zuletzt als Ballettdirektor und Chefchoreograf der Deutschen Oper am Rhein / Düsseldorf & Duisburg / erprobt und gelobt, vom Newcomer-Direktor Bogdan Roscic nach Wien geholt, sucht Kontakt, strebt nach kooperativer Harmonie, und …. er will mit seinen eigenen Choreographien das Publikum für sich gewinnen.
Martin Schläpfer übernimmt ein Ensemble, welches unter seinem Vorgänger Manuel Legris höchstem technischen Standard entsprechen konnte. Schläpfer, weit kommunikativer als der sich abschottende Legris, sollte dieses Niveau halten können. Die aus Russland, der Ukraine, Italien etc. etc. in Wien engagierten TänzerInnen haben immer Charakter gezeigt. Das hat gestimmt.
Der auch als Pädagoge bewährte Schläpfer präsentierte sich bereits im Eröffnungsprogramm der Volksoper beim Probetraining vor geschlossenem Vorhang als ein Ballettmeister, der gern erklärt, ausholt, zuerst auf Ruhe, Konzentration hinarbeitet, dann aber auch eruptiv die Tänzer zu fordern vermag. Am harten Training wird sich in den Ballettsälen wohl nicht allzu viel ändern.
Kein wirkliches Glück war Legris mit den diversen modernen Kreationen nach Wien eingeladener Choreographen beschieden. Nichts schlechtes darunter, doch schon wieder vergessen. Schläpfer setzt auf neue Tanzschöpfungen – aus seiner Hand wie von den Jungen im Haus oder arrivierten Kollegen. Vorläufig hält er sich bezüglich seiner Programmierung noch bedeckt: „Wir sind an einem Neubeginn, wir gehen den Weg. Wir werden sehen, wo die Bedürfnisse liegen. Es gibt heute viele choreographische Handschriften, und diesen ist meine Wertschätzung gegeben.“
Die erste Begegnung des Wiener Publikums mit dem Choreographen Schläpfer wird am 24. November erfolgen. „Mahler, live“ steht über dem Programm, und auf Hans van Manens Videoballett „Live“ ist Schläpfers Ballett-Version von Gustav Mahlers 4. Symphonie als Uraufführung angesagt. Als Novität werden die für Staats- wie Volksoper engagierten Tänzer erstmals gemeinsam auf der Bühne des Hauses am Ring stehen, und die Erarbeitung dieses Mahlerschen ‚himmlischen Lebens‘ hat begonnen. Keine Voraussagen aus Schläpfers Mund sind dazu zu hören. Außer: „Die Verbindung mit der Musik ist so wichtig. Und man soll das Gefühl bekommen, dass etwas dahinter ist – der Tanz muss auch seine Geheimnisse, seine Magie haben.“
Schläpfer betont, dass ihn solch eine Lust am künstlerischen Schaffen stets verändert: „Das ist das Schöne – es geht um einen Prozess: das Suchen, Reiben, Verwerfen, das Streben nach Tiefe …. und weg vom Normalen. Die Art und Weise der jeweiligen Aufgabe muss man direkt erfahren – die kreativen Ideen kommen, wenn man vor den Tänzern steht.“ Sinnierend fügt er hinzu: „Jetzt muss ich mich beweisen. Ich habe Freude, ich fürchte mich nicht…. und das Publikum muss überzeugt sein!“
Meinhard Rüdenauer