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Martin SCHLÄPFER über sein Programm für die 1. Spielzeit an der Wiener Staatsoper:

„Ich will mit Qualität auf allen Ebenen das Publikum ansprechen und überzeugen.“

22.05.2020 | Tänzer

Martin Schläpfer über sein Programm für die 1. Spielzeit an der Wiener Staatsoper:

„Ich will mit Qualität auf allen Ebenen das Publikum ansprechen und überzeugen.“

Martin Schläpfer: "Keine Frage des Spitzenschuhs" - Wiener Zeitung ...
Martin Schläpfer bei der Probe. Foto: Gert Weigelt

Für seine erste Saison als Direktor des Wiener Staatsballetts hat Martin Schläpfer eine interessante Auswahl an Werken und Choreografen getroffen. Wie im Saisonbuch nachzulesen ist, möchte er „neugierig machen auf einen künstlerischen Weg, der die Wiener Ballett-Tradition pflegt, gleichzeitig aber auch nach vorne geht“. Denn: „kann die Tanzkunst doch nur blühen und auf Augenhöhe neben den anderen Künsten stehen, wenn wir die Vergangenheit mit dem Heute verbinden.“ Er will Zeitgenössisches noch mehr und konsequenter integrieren als das bisher der Fall war. Deshalb fiel auch in seinem Bestreben choreografische Qualität und musikalischen Anspruch zu paaren, seine Wahl auf Stücke von Paul Taylor, Mark Morris und Alexei Ratmansky, um in seiner ersten Spielzeit Piecen dieser hochkarätigen Choreografen erstmals nach Wien zu holen. Während durch die beiden ersteren Zeitgenössisches integriert wird, ist Ratmansky d e r neoklassische Choreograf. Bekannt u.a. durch seine Rekonstruktion von „La Bayadère“, sucht er in seinen Stücken den akademischen Tanz vorwärts zu bringen – und ist damit auch zeitgenössisch, weil jetzt agierend. Von Paul Taylor ist „Promethean Fire“ zu Musik von Johann Sebastian Bach namengebend für die Premiere am 15. Mai in der Volksoper, wo auch „Beaux“ von Mark Morris (Musik: Bohuslav Martinů) zu sehen sein wird. Eingebettet dazwischen  vervollständigen in dieser vierten Premiere zwei Miniaturen von Martin Schläpfer „Lontano“ und „Ramifications“ den Abend – diese zwei kleinen Arbeiten zu Kompositionen von György Ligeti fand er, dass sie dramaturgisch gut durch die zeitgenössische Musik dazu passen.

Damit das Wiener Publikum Martin Schläpfer und seine choreografische Arbeit kennenlernt, gibt er seinen Einstand als Chefchoreograf in der zweiten Premiere der Saison: am 24. November findet in der Staatsoper die Uraufführung von „4“ statt – zur 4. Sinfonie von Gustav Mahler werden alle Tänzer aus Staatsoper und Volksoper einbezogen. Er hat Mahler gewählt, weil er wichtig für Wien ist und niemand seine Kompositionen besser spielt als die Wiener Philharmoniker, wie er sagt. Dazu kombiniert er „Live“ von Hans van Manen, der dieses 1979 für das HET Nationale Ballet geschaffene Werk für zwei Tänzer, eine Pianistin und einen Kameramann damit erstmals einer anderen Compagnie überlässt.  

Schläpfers langjährige Verbundenheit mit Hans van Manen hat nicht nur ermöglicht, dass mit „Live“ zu Musik von Franz Liszt ein Stück Tanzgeschichte zu sehen sein kann; für die erste Premiere der Saison am 20. September in der Volksoper kehrt „Adagio Hammerklavier“ zurück auf die Bühne. Unter dem Titel „Hollands Meister“ vereint dieser Abend neben diesem Werk von Altmeister Hans van Manen noch Sol León & Paul Lightfoot mit „Skew-Whiff“ und Jiří Kyliáns „Symphony of Psalms“. 

Für die dritte Premiere (30. Jänner, Volksoper) wird  Martin Schläpfer sein mit dem deutschen Theaterpreis „Der Faust“ ausgezeichnetes abendfüllendes Ballett „Ein Deutsches Requiem“ einstudieren. „Das Requiem kennt man vielleicht von mir – es umfasst Orchester,  Chor und Sänger. Mit den Tänzern arbeite ich mit leiser Modernität im Schrittmaterial. Es ist mehr ein Stück über uns und unser Dasein; ein Stück, das begeistern kann – so hoffe ich – und das ein erstes starkes Zeichen setzt in der Volksoper, was meine Arbeit angeht“, meint er dazu.  

Der fünfte Premierenabend (23. Mai, Staatsoper) unter dem Motto „A Suite of Dances“ bringt Piecen von Jerome Robbins („Glass Pieces“, „A Suite of Dances“ und „The Concert“) und George Balanchine („Duo Concertant“) auf die Bühne.

Die letzte Premiere der Spielzeit (26. Juni, Staatsoper) nennt sich „Tänze Bilder Sinfonien“: Kompositionen von Igor Strawinski, Modest Mussorgski und Dmitri Schostakowitsch geben den klangvollen Rahmen für „Symphony in Three Movements“ von George Balanchine, „Pictures At An Exhibition“ von Alexei Ratmansky und „Sinfonie Nr. 15 (Uraufführung) von Martin Schläpfer. 

Im Repertoire finden sich die beliebten Klassiker „Schwanensee“ in der Choreografie von Rudolf Nurejew und „Giselle“ in der Version von Elena Tschernischova – beide Werke sind für Wien entstanden und Martin Schläpfer will damit seine Referenz erweisen. Das Programm in der Staatsoper wird durch „La Fille mal gardée“ (Sir Frederick Ashton) sowie „Juwels“ (George Balanchine) komplettiert; in der Volksoper wird „Coppélia“ (Pierre Lacotte) und gleich zu Saisonbeginn „Peter Pan“ (Vesna Orlić) getanzt.

In der Compagnie hat er mit Senior Artist eine neue Position eingeführt: „Es gibt Ausnahmetänzer, die umso besser und intensiver werden, je länger sie auf der Bühne stehen. Ich finde es schön, wenn die jungen Tänzer diese Hingabe an den Tanz von diesen erfahrenen Kollegen mitnehmen können. Der Beruf muss nicht mit 35 Jahren enden. Aber ich muss dann auch für sie kreieren.“ Solche Tänzer-Persönlichkeiten sind in seinen Augen ein Gewinn für Wien und die Compagnie. Roman Lazik ist so ein wunderbarer Ausnahmetänzer und über Yuko Kato, die er aus Düsseldorf mitgebracht hat, sagt er: „She is really an exception.“ Er selbst hingegen hat keine Ambitionen mehr zu tanzen – das letzte Mal trat er zu Hans van Manens Geburtstag auf.  „Ich möchte in Regie und Choreografie ein guter Künstler und Chef sein“, meint er.

Unter den Tänzern, die er vom Ballett am Rhein mitbringt, findet sich mit Masha Tolstunova auch ein hier bekannter Name, hat sie doch in Wien die Ballettakademie absolviert und war von 2013 – 2015 Mitglied des Wiener Staatsballetts, danach tanzte sie beim Hamburg Ballett und war seit 2019 im Ballett am Rhein engagiert. Jetzt kehrt sie als Halbsolistin ins Wiener Staatsballett zurück. Die Schweizerin Claudine Schoch, zuletzt am Basler Ballett tätig, war für Schläpfer für viele Jahre eine wichtige Ballerina und da sie immer schon weiter mit ihm zusammen arbeiten wollte, kommt sie als Erste Solotänzerin ins Wiener Staatsballett. François-Eloi Lavignac hat Schläpfer in Stuttgart vorgetanzt, als er dort im Februar sein Stück kreiert hat. Der gebürtige Franzose ist seit 2013 beim Australian Ballet und ab Herbst im Wiener Staatsballet als Halbsolist unter Vertrag.

Martin Schläpfer: "Keine Frage des Spitzenschuhs" - Wiener Zeitung ...
Martin Schläpfer in Hans van Manens „Alltag“. Foto: Gert Weigelt

Wie wird der Start in die neue Ära sein? „Der offizielle Beginn ist am 1. September – dann sind auch die neu engagierten Tänzer da – wenn sie reisen durften. Für die erste Vorstellung von „Peter Pan“ am 4. September wird bereits Ende August Probenbeginn sein. Es wäre schön, wenn der Beginn möglich wäre, wie geplant“, spielt er auf die aktuelle Pandemie-Situation an. „Eine gewisse dunkle Wolke ist da; aber wir gehen davon aus, dass wir spielen können.“

„In meinem Programm für meine erste Spielzeit stecken viele dramaturgische Gedanken drin, es gibt viele Erwartungen an mich – es gab die Gefahr für mich sich zu verlieren, aber ich bin mir treu geblieben. Ich zeige neue Wege, das war mir ein Anliegen – die zweite Spielzeit wird darauf aufbauen, aber eine Entwicklung braucht seine Zeit. Es gibt viele kleine Querverbindungen, die insgesamt etwas Stimmiges aufbauen“, fasst er seine Programm-Zusammenstelllung für seinen Einstand in Wien zusammen. So geht in „Live“ die Tänzerin alleine ins nächtliche Wien hinaus. Als Kontrast dazu sind dann nach der Pause für die vierte Sinfonie von Gustav Mahler alle Mitglieder der Compagnie – also aus Staatsoper und Volksoper – auf der Bühne vereint. Ratmanskys „Pictures At An Exhibition“ entstand 2014 für das New York City Ballet – was wiederum eine Verbindung zu Balanchines Piece im selben Abendprogramm gibt und dem Typ der sogenannten Balanchine-Ballerina, die sich hier wiederfindet. Eine andere Verbindungslinie geht von dem bekannten Ausstatter Keso Dekker aus, der sowohl viel mit Hans van Manen gearbeitet hat, also auch für Schläpfer z.B. bei „Lontano“. So lassen sich noch viele weitere Querverbindungen finden, die sich Martin Schläpfer für Wien überlegt hat.

Seinem hohen Qualitätsanspruch folgend, setzt Martin Schläpfer auf exquisite Gäste, was die musikalische Umsetzung seines Spielplans betrifft. Axel Kober, der Generalmusikdirektor der Deutschen Oper am Rhein, der u.a. auch für Schläpfers Ballettabende in Düsseldorf am Pult stand und in Wien bereits den „Ring des Nibelungen“ dirigiert hat, kehrt nicht nur für „Les Contes d´Hoffmann“ an die Wiener Staatsoper zurück, sondern wird auch die Uraufführung „4“ dirigieren. Für „Live“ konnte die vielseitige Pianistin Schaghajegh Nosrati gewonnen werden; für „Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ wird Alina Bercu an der Wiener Staatsoper debütieren. Unter den Dirigenten werden u.a. Benjamin Pope und Robert Reimer erstmals die musikalische Leitung von Ballettabenden des Wiener Staatsballetts innehaben.

 Martin Schläpfer ist es auch ein besonders Anliegen, auf das Publikum zuzugehen mit Veranstaltungen wie der neu geschaffenen Veranstaltungsschiene Tanzpodium, weiters wird es eine Einführungsmatinee zu „Mahler, live“ geben (22. November) und eine Ballettwerkstatt für „Das Deutsche Requiem“ (27. Jänner). „Ich will nach außen treten. Die Tanzkunst hat ein großes Spektrum, sie ist etwas Wunderbares, sie ist reichhaltig. Ich will nicht trennen, es gehört alles dazu für die Compagnie und den Kosmos Wien.“ Die Jugend anzusprechen ist ihm ebenso wichtig: „Es ist wichtig, Programm für Kinder zu machen wie Peter Pan, aber Kinder können auch für schwierige komplexe Stücke begeistert werden. Daher plane ich jetzt nicht explizit für junges Publikum; ich hoffe aber, dass mein angebotenes Spektrum Menschen aller Altersstufen anspricht.“

Ira Werbowsky

 

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