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Marlies WAGNER – Lech Classic Festival. Eine Retrospektive und ein Blick in die Zukunft

Interview mit Marlies WAGNER zum Lech Classic Festival – eine Retrospektive und ein Blick in die Zukunft – Susanne Lukas


Marlies Wagner. Foto: Susi Lukas

Marlies Wagner organisiert seit nunmehr 9 Jahren das Lech Classic Festival mit großem Erfolg und Begeisterung bei Künstlern, nationalen und internationalen Gästen und der Lecher Bevölkerung. Heuer war die Vorbereitung besonders herausfordernd, da das Festival mit Schwerpunkt „Beethoven“ wegen der Corona-Krise in der stimmungsvollen Lecher Kirche abgesagt werden musste und Frau Wagner ab Ende Mai 2020 ein völlig neues, vielfältiges Programm – im kleineren Rahmen (ohne Chor) in der adaptierten Mehrzweckhalle von Lech/Arlberg – auf die Beine gestellt hat.

 

Wie funktioniert es, 5 umfangreiche Veranstaltungen mit Orchester, Dirigent, vokalen und musischen Solisten innerhalb von nur 2 Monaten vorzubereiten?

 

Ich habe so eine Kraft gespürt und es ist so eine Freude aufgekommen, dass man sich nachher oft selbst fragt, wie man das geschafft hat. Die Familie hat mich dabei aufopfernd unterstützt. Das war ein wesentlicher Grund, dass schlussendlich alles so gut funktioniert hat. Wir wollten unserem Publikum kein „abgespecktes“ sondern ein „opulentes“ Programm bieten, unter größtmöglicher Berücksichtigung der Künstlerwünsche. Da waren wir zeitlich gefordert.

 

Welche Herausforderungen kommen auf die Mitwirkenden zu?

 

Die Orchestermitglieder werden von mir individuell ausgesucht. Es sind in der Mehrzahl arrivierte junge Profimusiker von mitteleuropäischen Spitzenorchester. So waren Mitglieder der Wiener. Philharmoniker, Wiener. Symphoniker, sowie vom Staatsopern-Orchester, Bruckner-Orchester, Mozarteum, Landestheater Coburg in diesem Jahr anwesend und man hat sich untereinander, bei dieser hohen Qualität, sehr wohl gefühlt. Das Notenmaterial wird einen Monat vorher verschickt und alle kommen studiert am Arlberg an und dann gibt es nur noch eine Orchesterprobe, Generalprobe und Aufführung. Das ist ein „höllischer“ Rhythmus. Kein Werk wird wiederholt! Aber alle Musiker wissen, was sie in Lech erwartet. Das Programm reichte heuer von Mozart bis Wagner und dazwischen Bizet, Verdi und Tschaikowski. Piotr Beczala hat etwa in 4 Sprachen an einem Abend gesungen! Das sind alle enorm gefordert.

 

 

Welche Bedeutung kommt dem Dirigenten bei einem Festival zu, der mit Musikern arbeitet, die normalerweise nicht in einem Klangkörper eingespielt sind?

 

Einen versierten, routinierten Dirigenten zu finden, der mit der speziellen Situation zurechtkommt, ist nicht einfach. Er muss nicht nur dirigieren, sondern mit Souveränität ein optimales Zeitmanagement beherrschen bzw. eine Struktur hineinbringen. Eine perfekte Vorbereitung ist selbstverständlich, wie maximale Flexibilität, um auch kurzfristig auf die Wünsche der Solisten eingehen zu können. Die größte Herausforderung in Lech ist, dass wir viele Bearbeitungen für eine kleine Orchesterbesetzung haben. So hatte z.B. der „Tosca“-Block eine andere, viel kleinere Bläserbesetzung als in der Partitur vorgesehen.

Der Dirigent Michael Güttler hat das alles souverän mit enormer Musikalität professionell gelöst und wir sind ihm zu großem Dank verpflichtet.

 

Was ist für Sie die größte Schwierigkeit bei Planung und Umsetzung des Festivals und was hilft Ihnen besonders?

 

Mein Vertrauen in Gott ist sehr groß. Die größte Herausforderung ist tatsächlich das Finden einer Zuhörerschaft, die bereit ist, über die natürliche Barriere des Arlbergs, nämlich über den Flexenpass in das auf 1500 Höhenmeter gelegene Bergdorf Lech anzureisen. Und da gilt es jedes Jahr aufs Neue, unser Publikum von Programm und Aufführungsqualität zu überzeugen.

 

Wann sprechen Sie von einem erfolgreichen Jahr?

 

Mein Ziel ist es natürlich immer, dass wir ausverkauft sind. Das Marketing soll so gut funktionieren, dass sich die Besucher nahezu um die Karten bemühen müssen. Heuer war wegen Corona aber alles anders als bisher. Vor allem unsere Sponsoren, Förderer und Freunde waren glücklich und sehr dankbar, dass dieses Festival möglich wurde. Bei den Künstlern war der „Hunger“ nach Normalität und wieder-auftreten-zu-können deutlich spürbar. So entstanden 2020 außergewöhnliche Momente und zuletzt waren alle erleichtert, dass alles gut gegangen ist.

 

Wie groß war Ihre Angst, dass, trotz umfassender Vorsichts- und Sicherungsmaßnahmen, in Lech ein Cluster entstehen könnte?

 

Die Zusammenarbeit mit Lech Zürs Tourismus GmbH war professionell, das war sehr beruhigend. Natürlich hat sich das Publikum heuer nicht getraut, am Ende der Konzerte „Bravo“ zu rufen, die Disziplin kommt scheinbar noch vor der Emotion. Obwohl ich bei einigen Programmpunkten die Tränen in den Augen mancher Zuhörer entdeckt habe. Das kultivierte „Lecher“ Publikum hat die Konzerte als besonderes Geschenk empfunden.

 

 

Die ursprüngliche Idee vor dem ersten Lech Festival war auch, der ländlichen Bevölkerung hochwertige Klassik näher zu bringen. Wie gut konnte das in 9 Jahren umgesetzt werden?

 

Unser wichtigstes Vereins-Ziel war und ist dieser Gedanke und da ist meinen Mitstreitern und mir wirklich etwas gelungen! Menschen, die anfangs Vorbehalte hatten, konnten einen Zugang zur klassischen Musik finden und freuen sich jedes Jahr auf dieses Festival. Das ist in einem beachtlicheren Ausmaß, als ich es mir je vorgestellt habe, geglückt. Natürlich mussten wir einen Teil unseres Publikums behutsam an diese Art von Musik heranführen und wir wollen auch künftighin niemanden mit einem zu ambitionierten Programm überfordern. Die Bevölkerung in der Region arbeitet hart und die wollen dann einfach eine Stunde glücklich sein und sich bei „Dreiklängen“ wohlfühlen. Dieses Ziel habe ich teilweise geschafft.

 

Wie groß ist der Druck für Sie, jedes Jahr die Qualität zu steigern oder das hohe Niveau vom heurigen Programm mit großen Welt-Stars wie Camilla Nylund und Piotr Beczala wenigstens zu halten?

 

Das haben sich manche schon 2016 bei der Aufführung des 1.Aktes der „Walküre“ mit Linda Watson, Christopher Ventris und Ain Anger gedacht. Aber -wie man sieht- gelingt es uns immer wieder, neu zu überraschen und zu faszinieren. So werden wir im nächsten Sommer das Beethoven-Jahr an insgesamt 6 Tagen nachfeiern und dieser Komponist ist ja ein Kunstwerk für sich – da ist die Freude beim Publikum schon jetzt spürbar. Wir haben heuer alle Karten sofort zurückerstattet, als die Verordnungen der Bundesregierung die Ehrung des Jubilars Beethoven unmöglich gemacht haben. Viele wollten aber ihr Geld nicht zurück, sondern unbedingt gegen Karten fürs Jahr 2021 wechseln.

 

Wie konnten Sie es finanziell bewerkstelligen, die gesamten Einnahmen zurück zu erstatten?

 

Unser Förder- und Freundeskreis hat uns gerade jetzt – in diesen schwierigen Zeiten – unglaublichen Rückhalt gegeben und war dann während des Festivals auch vor Ort. Da wir keine öffentlichen Förderungen erhalten, würde das Festival ohne diese treue Gemeinschaft nicht funktionieren.

 

Sehen Sie sich auch ein bisschen als Vorreiterin, als Sie als eine der ersten VeranstalterInnen, „ein kleines Salzburg“ ab 5.8. erfolgreich abgehalten haben und so den Kulturschaffenden Hoffnung schenken konnten?

 

Ja, es war sicherlich nach den vielen Absagen rundherum sehr mutig. Aber das ganze Unternehmen ist leichter vorzubereiten, wenn der ganze Ort hinter einem steht. Es war

gerade jetzt sehr wichtig, mit großem Orchester zu spielen, also nicht auf Kammermusik auszuweichen, und gleichzeitig für höchste Sicherheit zu sorgen; mit Abstand halten, Maskenpflicht, Durchtestungen und viel gelebter Eigenverantwortung von Künstlern und Besuchern. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ja, alle Mitwirkenden waren ehrlich dankbar für diese Initiative. Es ist richtig, dass wir einer der Ersten waren, die sich entschlossen haben, dem Coronavirus zu trotzen.

 

 

Was treibt Sie persönlich an, so ein Festival auf die Beine stellen zu können?

 

Leidenschaft. Das fängt schon bei den Proben an, die ich besonders liebe. Generalprobe und Aufführung steigern nochmals diese große Begeisterung und die enorme Freude aller Beteiligten. Da werden riesige Emotionen frei, die das Leben so lebenswert machen. Ich verliere mich dann oft bei Goethe:“… Augenblick verweil, du bist so schön“ Aber da ist Vorsicht geboten. Wir wissen ja, das könnte auch schlecht ausgehen, wenn der Pakt eingelöst werden muss. Schön ist es auch zu sehen, wie unsere Musiker einen persönlichen Kontakt mit dem Publikum aufnehmen. Es findet ein offener Austausch statt- auf der Straße oder in den Lokalen nach den Vorstellungen.

 

Wie wird Covid19 das Leben mit Kunst und Kultur, Ihrer Meinung nach, verändern?

 

Ich glaube, es wird sich viel ändern. In Kunst und Kultur wird es eine Flurbereinigung geben müssen. Man wird sich wieder auf die wahren Werte und auf seriöse Schönheit der Kunst besinnen. Es wird in den nächsten Monaten schon noch eine kompliziertere Zeit geben, aber die Impfungen werden bald kommen und dann wird der Kulturbetrieb – ohne größere Einschränkungen – fast normal weitergeführt. Hoffentlich. Für Österreich ist die Kultur absolut essenziell. Das fängt beim Neujahrskonzert an, und spannt den Bogen über das Sommernachtskonzert in Schönbrunn, Live-Ball und Wiener Festwochen bis zu den hochwertigen Opernaufführungen jeden Sommer am Rathausplatz, die gratis erlebt werden können. Ich gehe auch gerne spontan in den Musikverein und stelle mich auf den Stehplatz, oft nur um einen interessanten Solisten zu hören. Das fehlte mir persönlich während dem Lockdown extrem; ebenso Staats- und Volksoper-Besuche. Am meisten tut es mir um die vielen KünstlerInnen leid, die soviel können, desorientiert oft nicht mehr wissen, wofür sie üben und wofür sie neue Stücke einstudieren sollen, weil es kaum mehr Auftrittsmöglichkeiten gibt… Da hängen Existenzen daran und es schmerzt in meinem Herzen, dass so viele Musiker ohne finanzielle Unterstützung auf die Straße gesetzt wurden. Aber jetzt geht es ja langsam wieder los mit Konzerttätigkeiten, Kirchenmessen und Operetten-Aufführungen.

 

Wie sehen Sie den Unterschied zwischen der Lage in Österreich und Deutschland?

Bei uns hat Musik schon noch einen anderen Stellenwert. In Deutschland gibt es nicht diese klassische Vielfalt auch nicht in „normalen“ Zeiten. Die Maßnahmen für Veranstaltungen sind bei unseren Nachbarn strenger, so dürfen derzeit nur 200 Besucher pro Münchner Veranstaltung eingelassen werden. Da tut sich in Österreich – zum Glück –schon viel mehr.

 

Herzlichen Dank für die herausragenden Vorstellungen des kleinen, aber feinen Lech Classic Festivals und ich bin schon sehr neugierig auf das Beethoven-Programm im nächsten Sommer mit vielen Konzerten, Sonaten, Sinfonien und „Fidelio“.

 

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