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MARK S DOSS: Voll und ganz auf der Bühne zu Hause

09.03.2023 | Sänger

MARK S DOSS: Voll und ganz auf der Bühne zu Hause

Mark S Doss ist seit Jahrzehnten eine feste Größe auf den wichtigsten Opernbühnen der Welt. Der unglaublich vielseitige Künstler kann mittlerweile auf über 100 Rollen zurückblicken, darunter William Daley in „The Time of Our Singing“, eine moderne Oper von Kris Defoort, die im Jahr 2021 am La Monnaie in Brüssel Weltpremiere feierte und bei den letzten International Opera Awards zur Uraufführung des Jahres gekürt wurde. Das Stück ist ein klares Statement gegen Rassismus und ab dem 11. März 2023 auf dem Spielplan des Theaters St Gallen, wieder mit Mark S Doss als William Daley. Wir haben mit dem amerikanischen Bassbariton über diese Oper, seine Karriere im Allgemeinen, seine Erfahrungen an der Wiener Staatsoper, Stimmfächer, Repertoireauswahl und vieles mehr gesprochen. 

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Mark Doss. Foto: Agentur

Wie haben Sie gemerkt, dass Sie eine Stimme haben, die für die Oper geeignet ist und wie haben Sie die Oper für sich entdeckt? Wann haben Sie zu sich gesagt, dass Sie Sänger werden wollen?

Meine Musiklehrerin in der 5. Klasse bat mich, für ein Frühlingskonzert das Solo „The Wells Fargo Wagon“ aus dem Film The Music Man zu singen, und ich habe es so gut gesungen, dass sie sagte, es sei wunderschön und ich könne sofort nach New York gehen und viel Geld verdienen. Das machte mir ziemliche Angst, und so sang ich bis mindestens sechs Jahre später nicht mehr in der Schule, bevor ich ins katholische Priesterseminar eintrat, wo ich studierte, weil ich Priester werden wollte. Über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren sang ich die Hauptrolle in Godspell, eine Originaladaption von Der Zauberer von Oz und in Der Mann von La Mancha. Als ich dann in meinem zweiten Jahr am College/Seminar einen Wettbewerb des Metropolitan Opera District gewann, wurde mir klar (nachdem mein zweiter Gesangslehrer mich darauf hingewiesen hatte), dass ich das Talent hatte, ein professioneller Sänger zu werden, wenn ich nicht weiter ins Seminar gehen würde. Als ich „Sunrise, Sunset“ als Solo in einem Konzert mit dem Hochschulchor im Grundstudium sang, hat sich mir offenbart, dass ich auf der Bühne voll und ganz zu Hause war.

Da Sie Bassbariton sind, singen Sie neben den Rollen, die normalerweise mit einem solchen Stimmfach verbunden sind, wie Der fliegende Holländer auch echte Baritonrollen wie Rigoletto, Nabucco und Macbeth und Basspartien wie Zaccaria in Nabucco oder Sarastro in Die Zauberflöte. War es schwierig zu lernen, mit so einem großen Stimmumfang umzugehen? Hat es Ihnen jemals Probleme bereitet, dass Sie in einem derart breiten Repertoire zuhause sind?

In der Tat habe ich mich in letzter Zeit auf Rollen konzentriert, die traditionell als Bassbariton angesehen werden, aber im Jahr 2021 startete ich eine Online Videoserie mit dem Titel „Fachually Correct“, in der ich Arien aus SECHS verschiedenen Fachkategorien vorstellte, vom hohen lyrischen Bariton (Figaros Largo aus Der Barbier von Sevilla) bis hin zu tiefen Bassrollen, wie die des Sarastro mit seiner Arie „O Isis und Osiris“).  Ich präsentierte Ausschnitte der größten Sänger aller Zeiten (Robert Merrills Largo und Alexander Kipnis‘ O Isis) dieser Fächer, bevor ich die gesamte Arie selbst sang. Ich war und bin in der Lage, sowohl die hohen, als auch die tiefen Töne dieser Arien authentisch zu singen, und so gab mir das eine Art neuen Fokus für mein gesamtes Repertoire. Ich begann privaten Gesangsunterricht zu nehmen als ich ein Studienanfänger im College-Seminar war, aber ich war vorher bereits stark vom Gesang von Mario Lanza beeinflusst, da ich seine Filme im Fernsehen sah (ich singe immer noch viele meiner Spitzentöne mit seiner Stimmlage im Hinterkopf), und so kam es, dass ich, als ich bei der Lehrerin meines zweiten Gesangslehrers Gesang studierte, von ihr gebeten wurde, Sarastros „O Isis und Osiris“ zu lernen, und sie war überglücklich, als ich ein sehr resonantes tiefes F am Ende der Arie traf. Aber ja, es ist mir schon ein paar Mal gesagt worden, dass meine große Bandbreite an Repertoire einige Casting-Direktoren verwirrt. Das war der Fall bei einem regionalen Met-Wettbewerb, nachdem ich meinen ersten Met-Distrikt-Wettbewerb gewonnen hatte, als einer der Juroren in Chicago sagte, ich müsse mich entscheiden, ob ich Bass oder Bariton sein will, um eine erfolgreiche Karriere zu machen. Über 30 Jahre später singe ich immer noch sowohl Bariton- als auch Bassrollen.

Ihr Repertoire ist mit 100 Rollen überaus umfangreich. Was ist Ihr Geheimnis, wie Sie all diese Rollen lernen?

Ich habe mich selbst dazu gedrängt, viele verschiedene Stile der Opern-, Oratorien- und Liedliteratur zu lernen, und es gab einige Momente, in denen ich nicht weiterkam, aber ich habe immer wieder neue Wege des Lernens gefunden, um aus den vorherigen Fehlern zu lernen. Der Prozess, den ich anwende, ist ziemlich intensiv und gründlich. Im Jahr 2013 wurde ich gebeten, an der Universität von Michigan eine Masterclass zum Thema Rollenvorbereitung zu geben, in der mein Einsatz von Notationssoftware, Solfeggio, Metronom, Sprachsoftware, Jonglieren zum Erlernen von Wörtern, Pantomime, kreative Visualisierung und der Einsatz von Fitnesselementen wie einem Springseil und einem beschwerten Hula-Hoop-Reifen gezeigt und hervorgehoben wurde.
 
Ihr Repertoire reicht von Barock- und Belcanto-Rollen bis hin zur romantischen Oper, zur Oper des 20. und 21. Jahrhunderts. Wo fühlen Sie sich am meisten zu Hause?

Ich würde sagen, dass ich mich in der Romantik immer noch am wohlsten fühle, wobei sich die Rollen von Verdi, Wagner und Puccini wie alte Freunde anfühlen, zu denen ich immer wieder zurückkehre.
 
Wie haben Sie es geschafft, die schwierigen Koloraturen von Rollen wie Argante in „Rinaldo“ und Alidoro in „La Cenerentola“ zu bewältigen?

Koloraturen gelingen mir in der Regel gut, wenn ich meine Atemübungen mache, hechelnd, mit sprudelnden Strohhalmen, Yoga-Atmung und Vokalisen, die Koloraturen hervorheben. Und natürlich ist das Repertoire selbst oft der beste Lehrmeister. Wenn ich eine Rolle habe, die mehr stimmliche Bewegung erfordert, nehme ich so viele andere Werke, die ich in der Vergangenheit gemacht habe, um von einem zum anderen zu gelangen.

Sie sind in praktisch allen renommierten Opernhäusern und Festivals der Welt aufgetreten. Wo haben Sie sich am wohlsten gefühlt? Und können Sie uns etwas über Ihre Erfahrung an der Wiener Staatsoper als Amonasro im Jahr 2011 erzählen?

Die neun großen Rollen, die ich am Teatro Regio in Turin gesungen habe waren fantastisch, von Mustafa in „L’Italiana in Algeri“ bis zu Simone in „Die florentinische Tragödie“, und meine Erfahrungen an der Scala waren extrem aufregend, von Argante in „Rinaldo“ über Jochanaan in „Salome“ bis zu Amonasro in „Aida“. Die San Francisco Opera ist ebenfalls ein Haus, an dem ich eine Vielzahl von Rollen verkörpert habe, und ich habe dort einige meiner besten Erfahrungen gemacht, ebenso wie an der Lyric Opera von Chicago, wo ich meine ersten Erfahrungen auf der Bühne gemacht habe. Mein Debüt als Amonasro an der Wiener Staatsoper habe ich nach nur einer Handvoll Proben (es handelte sich nicht um eine Neuinszenierung) und dann stand ich auf der Bühne und sang die Rolle, die ich nur zwei Jahre zuvor an der Scala interpretiert hatte. Es ist sehr hilfreich, in solchen Situationen viel Erfahrung zu haben.

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Scarpia in „Tosca“ an der Washington National Opera. Foto: Richard Hubert Smith
 
Sie werden am Theater St. Gallen in der Oper „The Time of Our Singing“ des Komponisten Kris Defoort mitwirken, die Sie vor zwei Jahren bei der Uraufführung in Brüssel gesungen haben. Was sind Ihre Eindrücke von diesem Werk und Ihrer Rolle?

Ich hatte die Möglichkeit das Buch zu lesen und das Hörbuch von Richard Powers Roman zu hören, bevor und während ich die Rolle des Dr. William Daley in Brüssel sang und das hat mir sehr geholfen, die Figur zum Leben zu erwecken.  Powers Roman ist sehr komplex, da er in mehreren Rückblenden von einer Szene zur nächsten springt, aber die Oper verwendet hauptsächlich die wesentlichen Teile des Werks, um die Musik hervorzuheben. Somit ist es eine sehr spannende Sache, Teil dieser Produktion zu sein. Das Buch liefert ziemlich lebendige Beschreibungen von Dr. Daley, und ich konnte meine Eindrücke an das Regieteam weitergeben und glaube, wir haben einen Zugang zu der Rolle gefunden, die ziemlich zufriedenstellend ist. Die Rolle ist nicht sehr groß, aber ich fand, dass der Charakter eine sehr wichtige Rolle in der Geschichte spielt. Er hat nicht so viel zu singen, seine Musik ist aber extrem kraftvoll.

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Mark S Doss als Dr. William Daley in Kris Defoorts Oper. Foto: Bernd Uhlig
 
Sie sind bekannt für Ihre extreme Vielseitigkeit und die bemerkenswerte Anzahl von Sprachen, in denen Sie regelmäßig auftreten. In diesem Frühjahr werden Sie – auf Tschechisch – die Rolle des Alexandr Petrovič Gorjančikov in „Aus einem Totenhaus“ singen.

Ja, in dieser Produktion in Rom werde ich meine vierte Janacek-Rolle singen (drei auf Tschechisch und eine auf Englisch), und ich habe bereits in zwei Dvorak-Opern gesungen (sowie seine Biblischen Lieder), so dass mir die Sprache inzwischen sehr vertraut ist.
 
Sie werden am Teatro dell’Opera in Rom den Gorjančikov singen, den moralischen Mittelpunkt in dieser Ensemble-Oper. Wie würden Sie diese Rolle und die Oper im Allgemeinen beschreiben?

Der Protagonist Aleksandr Petrovič Gorjančikov ist ein Gentleman, der mit der Bosheit des überwiegend von Bauern bewohnten Gefängnisses zu kämpfen hat. Allmählich findet er sich mit seiner Situation ab und erlebt in den unablässigen Mühen des Strafvollzugs ein geistiges Wiedererwachen. Das Buch von Dostojewski jetzt zu lesen und auch das Hörbuch seiner Werke zu hören, ist eine sehr spannende Erfahrung.  Aus einem Totenhaus ist zum einen eine Sammlung von Memoiren, die thematisch zusammenhängen und das grausame Leben der Sträflinge schildern. Der Autor greift auf seine eigenen Erfahrungen im Gefängnis zurück, um außerdem das Elend, die Entbehrungen und die Strenge eines sibirischen Lagers mit unerbittlichen Details zu schildern. Dostojewski enthüllt die Charaktere vieler anderer Sträflinge (und Janacek ist davon nicht weit entfernt), einschließlich der Verkommenheit und das Verderben, das viele der Charaktere durch ihre psychischen und physischen Leiden zu erwarten haben. 
 
Sie haben bereits begonnen, Meisterkurse zu geben: Macht Ihnen das Unterrichten Spaß?
Ja, ich habe damit begonnen Meisterkurse zu geben, kurz bevor und nachdem ich in den späten 1990er Jahren an der Michigan State University Gesang unterrichtete. Die Meisterklasse für Rollenvorbereitung habe ich 2013 an der University of Michigan in Ann Arbor gegeben und ein paar Jahre später beim Dorset Opera Festival in Großbritannien wiederholt, als ich dort die Rolle des Méphisto in „Faust“ sang. Es ist eine etwas andere Erfahrung, wenn man eine Rolle singt und einen Meisterkurs gibt, weil man auf das Repertoire, das man singt, zurückgreifen und den Teilnehmern des Meisterkurses Beispiele geben kann. Ich habe in Orlando, Florida, einen Workshop für Gesangsmethoden für Highschool-Schüler gegeben, und auch das hat mir sehr viel Spaß gemacht.

Wer ist Mark S. Doss, wenn er nicht gerade auf der Bühne steht?

Meine kanadische Frau Dawn und ich bleiben viel zu Hause in unserem Haus in Toronto (während ich neue Musik lerne), und ich besitze auch ein Haus in Erie, Pennsylvania, in dem ich ziemlich viel Zeit verbringe, um Projekte abzuschließen, die Fachwissen in den Bereichen Elektrizität, Klempnerarbeiten und Tischlern erfordern. Wenn ich zwischen diesen Projekten Zeit habe, spiele ich Computerschach, trainiere Kampfsportarten und spiele gelegentlich eine Partie Tennis oder Tischtennis. Da ich nicht nur Musik, sondern auch Soziologie studiert habe, lese ich ständig zu allen möglichen Themen, wobei Sprachen, Geschichte, Religion, Recht, Philosophie und Psychologie einen großen Teil meiner zusätzlichen Zeit in Anspruch nehmen. Natürlich versuche ich, wann immer ich kann, auch einen Moment oder zwei für ein Gebet und eine Runde meditieren zu finden.

Susanne List sprach mit dem Sänger im März 2023

 

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