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Mariusz KWIECIEN: Die Liebe zur Oper in die Herzen des Publikums säen

18.03.2018 | Sänger

Mariusz Kwiecien: Die Liebe zur Oper in die Herzen des Publikums säen

Februar / März 2018

Renate Publig

 
Mariusz Kwiecien © Mikołaj Mikołajczyk

 Ende Februar stand Mariusz Kwiecien in der Titelpartie von Piotr Iljitsch Tschaikowskis Oper Eugen Onegin auf der Bühne der Wiener Staatsoper. Es ist ein besonderes Erlebnis, über diese komplexe Oper mit einem der führenden Onegin-Darstellern zu diskutieren, wobei er sich lachend für die Ausführlichkeit seiner Antworten entschuldigt. Müsste er nicht, sein Enthusiasmus steckt an, wenn er etwa voller Leidenschaft über Oper und über jene Figuren spricht, die zu seinen Paraderollen wurden. Und er nimmt sich dabei kein Blatt vor den Mund zu Themen wie Gesellschaft, Macht … und Schöngesang

 

Derzeit stehen Sie als Onegin auf der Bühne der Wiener Staatsoper, eine Ihrer Paraderollen – wie auch Don Giovanni; zwei zutiefst enigmatische Figuren!

 

Zwischen diesen beiden Partien existieren tatsächlich Parallelen, beide Männer sind jung, reich, verrückt nach Frauen, nach Sex, nach Alkohol. Onegin verfügt jedoch nicht über Giovannis Mut: Giovanni hat alles durchlebt – bis auf den Tod. So opfert er sein Leben, um diese weitere Erfahrung zu machen. Das klingt krass, doch in der Glamour-Welt von Hollywood oder in der Welt der Popmusik erleben wir ähnliche Phänomene: Die reichen Stars, die zunächst denken, alles erreicht zu haben – bis zu dem Zeitpunkt, wenn sie realisieren, dass Glück sich nicht kaufen lässt. Das führt zu Depressionen, zu Drogenmissbrauch – manchmal leider bis zu ihrem Tod.

 

„Eugen Onegin“, diese Oper lädt aufgrund der vielschichtigen Charaktere zu unterschiedlichen Deutungen ein?

 

Der Inhalt ist einfach erzählt und dennoch komplex: Onegin ist noch sehr jung, er genießt das Leben in vollen Zügen. Als er Tatjana begegnet, war sie in etwa 16, und er nicht viel älter als 20.

Nun gesteht ihm ein 16-jähriges Mädchen seine große Liebe, doch Onegin ist sicher, dass sie bloß die Verliebtheit eines Backfisches zeigt. Also weist er sie zurück, wobei er in seiner Arie – musikalisch betrachtet! – fast sanft mit ihr umgeht. Zu Lenski ist Onegin wesentlich grausamer als zu Tatjana! Dennoch ist sie natürlich tief verletzt.

Sechs, sieben Jahre später kehrt er zurück und sieht Tatjana, die zu einer schönen, erwachsenen Frau herangereift ist. Er selbst ist in der Zwischenzeit rastlos herumgereist, vergeblich versuchte er, sein Lebensglück zu finden. In Pushkins Zeit galt man mit 27 nicht mehr als junger Mann! Er versucht nun, Tatjana zurückzugewinnen, hofft, dass sie ihn immer noch liebt. Doch obwohl sie tatsächlich noch Gefühle für ihn hegt, weist sie nun ihn zurück, hält ihrem älteren Ehemann die Treue. Denn Fürst Gremin bietet ihr Sicherheit, aber auch Liebe und Wertschätzung! Onegin realisiert, dass er nicht nur Tatjanas Liebe verloren hat.

Vieles aus Onegins Geschichte gilt auch für die Menschen von heute. Manche haben Angst vor Gefühlen und meinen, das Leben wäre unendlich, und dass sie jederzeit die große Liebe finden können. Doch irgendwann ist es vielleicht zu spät!

 

Onegin selbst ist eine komplexe Figur?

 

Die Figur lässt sich tatsächlich nicht in zwei Sätzen beschreiben, man kann ihn auf so viele unterschiedliche Arten porträtieren. Der wunderbare Dmitri Hvorostovksy legte ihn als kalten sibirischen Prinzen an – das liebte das Publikum! Peter Mattei oder Simon Keenlyside bringen jeweils andere Sichtweisen, und jeder hat auf seine Weise Recht. Die Sicht auf diese Figur ändert sich auch im Laufe von Jahren, erst gestern meinte eine Dame, ich hätte diese Rolle früher viel aggressiver angelegt. Das mag stimmen, doch mittlerweile ist Aggression für mich nicht das, was Tschaikowsky in dieser Partie ausdrücken wollte.

 

Liebt Onegin Tatjana, und wenn ja, gleich von Beginn an oder erst im Lauf der Geschichte?

 

Das lässt sich schwer beantworten, also überlasse die Deutung gerne dem Regisseur. Meiner eigenen Meinung nach… nein, ich glaube nicht, dass er sie aufrichtig liebt. Im letzten Akt wird ihm allerdings bewusst, dass sie die einzige Frau ist, die für ihn tiefe Liebe empfindet. Bisher hat er Menschen lediglich benutzt – und umgekehrt. Nun ist dieses unschuldige Wesen herangereift, sie ist schön, erfolgreich, begehrenswert. Und je strikter sie ihn zurückweist, umso mehr glaubt er, sie zu lieben. Doch in Wahrheit treibt ihn nur der Reiz des Unerreichbaren. Es macht ihm Angst, sein Leben nun endgültig in Einsamkeit verbringen zu müssen.

Mariusz Kwiecien als Onegin © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

 

Das Duell mit Lenski … in der Musik finden sich Hinweise, dass die beiden sich fast versöhnen könnten …?

 

Lenski ist ein Träumer, ein Poet, er bewundert Onegin und eifert ihm ein bisschen nach, sieht Onegin als älteren Bruder. Er müsste wissen, dass Onegins Flirt mit Olga nicht ernst gemeint ist, doch er ist blind vor Liebe, außerdem ist zu viel Alkohol geflossen. … Ihm wird noch m gleichen Moment, in dem er Onegin zum Duell fordert, sein Fehler bewusst. Das drückt die Musik wunderbar aus, sie ist von Wehmut und Zärtlichkeit geprägt!

Vor dem Duell gäbe es eine letzte Möglichkeit, einzulenken, und je nach Regiekonzept sind die Männer nur einen Hauch entfernt, einander zu vergeben. Doch in ihrem Stolz ist keiner der beiden bereit, den ersten Schritt zu machen.

Nach dem Duell empfand Onegin wohl Mitleid, meiner Meinung nach allerdings mehr mit sich selbst als mit Lenski. Denn ein paar Jahre später zählt Onegin den Tod des Freundes als eines seiner „Erlebnisse“ auf, in einem Atemzug mit seinen Reisen! Und dass er fortgezogen ist, hängt damit zusammen, dass er vor der Gesellschaft floh, die ihn für den Tod Lenskis verantwortlich machte.

 

Wenn man Sie auf der Bühne beobachtet, gewinnt man es den Eindruck, dass Sie in diesem Moment nicht bloß die jeweilige Partie spielen.

 

Absolut. Das ist natürlich nicht immer möglich, wenn ich mich körperlich angeschlagen fühle, muss ich verstärkt auf die Kontrolle meiner Stimme achten. Aber ansonsten: Egal, welche Rolle ich verkörpere, wenn ich auf der Bühne stehe, versuche ich tatsächlich in die Figur zu schlüpfen und zu vergessen, wer ich bin.

Menschen, die Oper nicht ausstehen können entgegne ich, sie müssen eine gute Vorstellung mit echtem Theater besuchen, nicht schönes Singen an der Rampe!

 

Wie halten Sie sich ihre Paraderollen lebendig?

 

Ich versuche jedes Mal, Kleinigkeiten zu ändern, um die Wirkung frisch zu halten, für das Publikum, für mich, aber auch für die KollegInnen. Mit KollegInnen wie Anna Netrebko, Rolando Villazon, Erwin Schrott, Elina Garanca, Matthew Polenzani – ach, die Liste könnte ich noch ewig weiterführen! – ist man in einer Luxusposition. Denn diese KünstlerInnen reagieren auf einander, was auch immer man auf der Bühne macht. Das schafft Sicherheit und Vertrauen, gemeinsam die Oper jedes Mal neu zu interpretieren. Ich möchte in meiner Rolle aufgehen. Dafür ernte ich gelegentlich Kritik – ebenso wie andere singende Schauspieler, wie ich uns bezeichne.

Anderen Sängern mag es wichtiger sein, mit perfekter Technik wunderbare Töne und endlose Legati zu produzieren. Schöne Klänge sind fein, aber nicht die Hauptsache, diese Art von Oper ist tot! Die neue Ära erfordert selbstverständlich schöne Stimmen mit perfekter Technik … doch darüber hinaus ist es mir wichtig, vor dem Publikum zu 100 Prozent als Figur aus Fleisch und Blut zu stehen und nicht bloß eine Rolle zu spielen.

 

Wie schwierig ist es, mit Umbesetzungen umzugehen, mit Kollegen auf der Bühne zu stehen, die man nicht kennt?

 

Die Inspiration basiert auf Gegenseitigkeit – neue Kollegen bringen oft neue Perspektiven, die für mich interessant sind! Es ist immer ein Teamwork, deshalb liebe ich die Probenarbeiten, ein paar Tage, in denen man einander kennenlernen kann; in denen man herausfindet, wie der Partner singt, sich bewegt, die eigene Rolle sieht. Das ist der Zauber! Kennt man die anderen gar nicht, besteht die Gefahr, dass man einander nicht vertraut und seine Partie mechanisch singt.

 

Doch wenn es sich nicht um eine Premiere handelt, sinkt die Anzahl der Proben …

 

Dabei ist wenigstens eine Bühnenprobe mit dem Orchester essentiell! Denn zwischen Orchester, Dirigent und Sänger besteht eine ähnliche Verbindung wie zwischen Sängern untereinander. In einer Klavierprobe kann man auf Tempi, auf Dynamik eingehen. Die Akustik im Probensaal unterscheidet sich jedoch deutlich von jener auf der großen Bühne. Plötzlich sieht man sich einem 80-köpfigen Orchester gegenüber – im Fall von Wien übrigens einem fantastischen Orchester! Doch ohne zuvor gemeinsam musiziert, also kommuniziert zu haben, wird es für beide Seiten schwierig.

Natürlich ist das eine finanzielle Frage, doch wenn man ein herausragendes Ergebnis haben möchte, lohnt sich die Investition. Setzt man beim Hausbau auf billige Rohstoffe und unerfahrene Bauarbeiter, wird das Ergebnis nicht für die Ewigkeit sein. Und in gewisser Hinsicht sehe ich auch uns als „Hausbauer“. Ist das Ergebnis nicht zufriedenstellend, wird das Publikum der Oper fernbleiben. Nach einer Vorstellung sind Herz und Seele der Zuhörer bereichert … oder eben nicht. Wenn wir die Liebe zur Oper in die Herzen säen, kommt das Publikum wieder, es ist auch bereit zu zahlen. Ein Perpetuum mobile: Wenn wir mehr geben, bekommen wir mehr! Eigentlich ganz einfach.

 

Eine weitere Paraderolle, auch wenn die Oper selten zu hören ist, ist „Król Roger“ (König Roger), eine Oper von Karol Szymanowski. In einem Interview las ich, dass dieses Werk Ihre Ansicht über Oper verändert hat?

 

Nicht nur meine Ansichten über Oper. Als ich vor rund 10 Jahren das Werk erstmals in Paris sang, durchlebte ich eine Art Katharsis. Auf der Bühne ging ich buchstäblich aus mir heraus, ich stand neben mir, war nicht mehr ich selbst nach der Vorstellung. Diese Partie ist ein Sinnbild für die Komplexität der Arbeit eines Opernsängers: Sie ist schwierig zu singen, weil die Tessitur sehr hoch liegt, bei einer mächtigen Orchesterbesetzung. Der Inhalt ist von hoher Komplexität, wobei das Werk insgesamt nur knapp mehr als 1 1/4 Stunden dauert. In dieser Zeit muss es uns gelingen, das Publikum in eine andere Realität zu ziehen. Die Musik ist reichhaltig und ein wenig mit den Klanggeweben von Zemlinsky, Strauss oder sogar Mahler vergleichbar, in den üppigen Klängen ist dennoch Szymanowskis unverkennbare Tonsprache zu hören.

Nun verstehen die meisten Zuhörer kein Polnisch, sie lesen daher die Übersetzung auf den Monitoren, was vom Bühnengeschehen ablenkt. Wir Darsteller müssen daher besonders überzeugend sein, um das Publikum mitzureißen, gleich vom ersten Takt weg, zum „Aufwärmen“ bleibt keine Zeit!

 

Eines der Hauptthemen von „Król Roger“ ist die Macht der Religion, ein weiteres der Charakter des Königs, ein Machtinhaber mit Schwächen. Zwei höchst zeitgemäße Themen!

 

Es erstaunt mich, wie wir uns wieder und wieder in die gleichen Situationen hineinmanövrieren. „Król Roger“ wurde 1926 komponiert, und wir wiederholen gerade die Probleme dieser und früherer Zeiten – wir lernen nicht dazu!

Diese Oper steht für alles, wofür ich kämpfe: Ich bin gegen die Macht von Religionen, gegen dumme Politiker – fast alle streben nach der Macht von Geld, eine sehr dumme Macht, denn sie bringt nichts für die Gesellschaft!

Davon handelt die Oper: Der Erzbischof stiftet an, alles zu töten, was das Volk nicht kennt. Die Figur des Hirten stellt sich jedoch gegen eine Religion des Hasses, er verkündet, dass Gott Liebe bedeutet, der für alles steht, was schön ist: Blumen, Schmetterlinge, zwei Menschen, die einander lieben, warmes Wetter, Schnee, der auf deine Nase fällt … Dafür steht Gott! Nicht für dieses „Auge um Auge“-Prinzip.

Auf der anderen Seite sehen wir den König, das schwächste Glied in der Gesellschaft. Selbst seine Frau hat mehr Macht. Als der Hirte auftaucht, folgt sie ihm, ebenso wie das Volk. Der König verliert alles.

Und ich hoffe, dass Ähnliches in der Realität passiert. Weg mit den Nationen mit Gesetzen, die man nicht vertreten kann. Und mit all den Machtgierigen, die keiner benötigt, weil es eine verdorbene Macht ist, die keine Zukunftsvisionen zulässt …ich hoffe, dass diese Tyrannen vom Volk verlassen werden. Das ist leider eine Utopie! Diese Oper sollte vor Donald Trump gespielt werden. Und vor der polnischen Regierung. Wahrscheinlich vor vielen weiteren Politikern – wir sollten alle in die Wiener Staatsoper einladen, wenn Wien dieses Werk aufs Programm setzt! (lacht)

„Król Roger“ ist keine Geschichte wie Tosca oder Traviata – wunderbare Opern, doch sie spiegeln nicht in dieser eindrücklichen Weise die Probleme unserer Gesellschaft wider. „Krol Roger“ zeigt hingegen so viele Aspekte, beispielsweise denke ich, Roger verzehrt sich selbst vor Liebe zum Hirten, was er jedoch unbedingt verbirgt. Das kann man auch in unserer Gesellschaft beobachten, und wer sich outet, wird als mutig betrachtet. Wieso? Warum urteilen wir über Menschen?

 

Sie machen sich viele Gedanken über die Opern und über Ihre Rollen – können Sie Ihre Sicht über diese Partien in eine Produktion einbringen?

 

Meiner Meinung nach hat jeder Künstler die Möglichkeit, eigene Gedanken einzubringen. Man muss nur fragen! Manchmal passen die Ideen eines Regisseurs die nicht zu unserer Körpersprache oder unserer Mentalität. Ich erinnere mich an eine Produktion von „I Pagliacci“ – der Regisseur meinte, ich müsse blond sein, rasiert, ich müsse meine Körpersprache ändern – eigentlich sollte ich alles andern. Also fragte ich, warum ich besetzt wurde und nicht ein Kollege, der seinen Vorstellungen entspricht? Und wir arbeiten gelegentlich mit mittelmäßigen Regisseuren, dann liegt es an uns Darstellern, unseren Rollen Persönlichkeit einhauchen.

Mir geht es um eine gute Zusammenarbeit, denn Oper bedeutet Teamwork. Und folge ich jeder Anweisung so gut es mir möglich ist, wenn Regisseure brillante Ideen anbieten!

 

Sprache übt einen großen Einfluss auf Musik aus; Sie singen in Italienisch, Französisch, Russisch, Polnisch, Deutsch … hat die Sprache eine Auswirkung auf Ihre Stimme bzw. Ihren Gesang?

 

Unbedingt. Die russische Sprache liegt relativ weit hinten im Kehlkopf, das erfordert, eine weitere Öffnung der Kehle, um die richtigen Vokale zu produzieren. Ein russisches A oder ein O entspricht nie dem offenen Klang des Italienischen! In deutscher Sprache singe ich gerne, sie eignet sich ganz besonders für Lieder – Schubert, Strauß oder Schumann, die Dichterliebe … und ich kann mir nicht vorstellen, beispielsweise Lieder in italienischer Sprache zu singen.

Zu Beginn meiner Karriere sang ich meinen ersten Figaro in auf Polnisch, und damals funktionierte es für mich, es war schließlich mein Debüt! Doch ein guter Komponist integriert die Sprachmelodie in seiner Musik. Letztes Jahr sang ich in München „La Favorite“ von Gaetano Donizetti. Ich kannte einige Teile bereits auf Italienisch, was ich durchaus passend fand. Doch in München sangen wir Französisch, in der Sprache, in der die Oper komponiert in wurde. Mit einem Mal waren die Gesangslinien so einfach und schlüssig!

Deshalb: Ja, Sprache verändert die Position der Stimme. Im Französischen ist der Sitz höher, geschlossener, Russisch ist offener, Deutsch erfordert besonders präzise Konsonanten – das hat Charakter! Und Italienisch – das singt sich von selbst. Die Sprache verändert nicht die Stimme per se, wohl aber die Klangfarbe.

 

Im Stimmfach Bariton ist die Palette der Figuren besonders breit. In Ihrem Repertoire finden wir die klassischen Bösewichte wie Alphonse in „La Favorite“, dann die Edelmänner wie Almaviva, Onegin, Giovanni, Posa, doch sogar einige humorvolle Partien sind zu finden wie Malatesta oder Belcore. Welche Charaktere porträtieren Sie am liebsten – oder ist es die Vielfalt, die ein Sängerleben interessant macht?

 

Die Vielfalt macht es. Das genialste Werk wäre furchtbar langweilig, wenn man vier Produktionen hintereinander singt. Nur noch Onegin oder Roger zu verkörpern, würde mich verrückt machen, zwischendurch ist es erfrischend, Malatesta oder Belcore zu gestalten. Das ist sowohl für die Stimme, als auch für den Geist sehr heilsam. Am Ende der Saison singe ich Don Giovanni in London, in einer höchst düsteren Produktion, in der nur Giovannis Seele stirbt. Den Schluss singen alle Figuren aus dem Orchestergraben, Giovanni bleibt als seelenlose Hülle alleine auf der Bühne zurück. Nach derart düsteren Figuren verzehre ich mich nach einer leichteren, humorvollen Partie! Doch umgekehrt, wenn ich zu viele Komödien singe, wäre mir das zu „seicht“, dann muss ich wieder eine abgründige Rolle verkörpern.

 

Ihre Karriere verlief kometenhaft, beispielsweise debütierten Sie an der MET mit 24 Jahren, im Jahr darauf an der Wiener Staatsoper – was bedeutete es damals für Sie, an diesen Häusern zu singen? Und wie geht es Ihnen heute damit?

 

Als ich mit 22 beschloss, Opernsänger zu werden, war mein größter Traum, nur ein einziges Mal auf einer großen Bühne zu stehen, selbst wenn es nur eine Minirolle wäre. Und dann debütierte ich mit 24 an der Scala, danach an der MET, Wiener Staatsoper, später Covent Garden …mein Traum erfüllte sich so rasch, ich konnte es nicht glauben.

Jetzt befinde ich mich in der schwierigsten Phase der Karriere. Man hat gewissermaßen alles erreicht – auch wenn es natürlich viele Partien gibt, die ich noch singen möchte! – und nun geht es darum, dieses hohe Level zu erhalten. Vor allem muss man sich die Paraderollen frisch bewahren, denn auf denen baut ein Sänger sein gesamtes weiteres Repertoire auf.!

 

Was machen Sie, um sich von der intensiven Arbeit zu erholen?

 

Im Frühling oder Sommer schnappe ich mir meine Angel und genieße die Ruhe eines Sees und des Waldes, der den See umgibt. Und im Winter zieht es mich nach Mexiko oder in die Karibik. Ich liebe die Sonne! Ich wurde in Polen geboren und weiß nur zu gut, was Winter bedeutet, der bei uns im Spätoktober beginnt und bis April dauert. (lacht)

 

Herr Kwiecien, vielen Dank für das Gespräch!

 

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