MARINA REBEKA
Die Arbeit muss Spaß machen!
Marina Rebeka kommt von einer „Don Giovanni“-Probe in der Wiener Staatsoper und ist sehr vergnügt: „Herrlich, dabei zuzuschauen, wie Ildar Abdrazakov und Erwin Schrott zusammen spielen, wie Don Giovanni und Leporello sich auf Augenhöhe begegnen!“ Sie ist keine Sängerin, die einfach nur ihre Partie abliefert, für sie ist alles wichtig, war rundum auf der Bühne passiert – im Gespräch springt vor allem ihre musikalische und interpretatorische Kompetenz ins Auge, eine Künstlerin, die über alles nachdenkt, was der Beruf für sie bereit hat.
Von Renate Wagner
Frau Rebeka, Wiens Opernfreunde haben Sie schon vor Ihrer Donna Anna an der Staatsoper wahrgenommen, als Sie im September 2008 in der Volksoper die Traviata gesungen haben. Damals hatten Sie gerade den Bertelsmann-Wettbewerb „Neue Stimmen“ gewonnen und wurden als „Stimme des Jahres 2007“ angekündigt. Wenn ich mich selbst zitieren darf, damals habe ich geschrieben: „Es fällt nicht schwer zu prophezeien, dass Lettland nach der Garanca wieder einen (potentiellen) Star in die Opernwelt geschickt hat.“
Das sind viele Stichworte, welches soll ich zuerst beantworten? Lettland vielleicht, meine Heimat – es ist wirklich wunderbar, wie viele Sängerinnen jetzt plötzlich von dort kommen und erfolgreich sind. Nicht nur Elina Garanca, mit der ich 2010 als Micaela in „Carmen“ unter Zubin Mehta in Valencia gesungen habe, auch Maija Kovalevska, die jetzt auch gerade in Wien singt, oder Kristine Opolais. Ich denke, ich kann das auch erklären – es ist einfach unsere Ausbildung. Die war am J. Medins Riga Music College überaus gründlich, in allen Fächern, wir haben nicht nur das Spielen gelernt und die Sprachen, sondern auch musikalisch bis ins Detail gearbeitet, in die Analysen der Partitur – gerade, dass wir nicht selber Fugen schreiben mussten. Als ich dann nach Italien kam, wo ich in Parma und Rom weiterstudierte, habe ich auch den Unterschied gesehen – wir hatten in Riga täglich eine Gesangsstunde, in Italien hatte man eine oder höchstens zwei pro Woche.
Stichwort: Wettbewerbe. Wie sinnvoll sind sie?
Ich würde sagen, sie sind die Brücke zwischen dem Studium und dem Berufsleben. Wie soll ein junger Sänger beispielsweise sonst einen Agenten finden – zu den Abschlussveranstaltungen der Studierenden kommt ja niemand von Bedeutung. Bei Wettbewerben steht man zwar unter schrecklichem Stress – man hat fünf Minuten, um alles zu zeigen, was man kann, und wenn man das nicht schafft, ist es vorbei. Aber wenn es gut geht, dann wird man vielleicht zu Vorsingen eingeladen und es geht vielleicht los. Zuerst gewann ich in Italien einen Preis bei einem ganz kleinen Gesangswettbewerb, den nächsten dann schon in Rom, dann war es Barcelona, da bekam ich den dritten Preis, und schließlich war es dann der Bertelsmann-Preis.
Stichwort: La Traviata
Ja, damit hat alles eigentlich begonnen. Nach meinem dritten Preis in Barcelona schickte man mich zu Vorsingen, und dann suchte Erfurt ganz, ganz dringend eine Traviata, das war im April 2007, die Premiere war schon im Juni. Es gab Rezensionen in den großen deutschen Zeitungen wie Süddeutsche und FAZ, und danach hat man mich überallhin zum Vorsingen eingeladen, auch an die Volksoper, wo ich dann als Traviata debutiert habe. Die Inszenierung von Hans Gratzer fand ich übrigens sehr schön und interessant. Die Traviata ist die Rolle, die ich noch immer am öftesten gesungen habe – in Hamburg und an der Deutschen Oper Berlin, in meiner Heimatstadt Riga, in Covent Garden und in Florenz. Heuer im Juli singe ich sie dann in München bei den Opernfestspielen und im Herbst in Chicago, und sie wird auch an der Met kommen und in Zürich. Es ist schon sehr interessant, immer wieder in verschiedenen Inszenierungen auf der Bühne zu stehen, in Berlin hat Götz Friedrich das Stück beispielsweise in eine Jugendstilwelt gestellt. Und es kommt natürlich auch immer darauf an, welchen Partner man hat – ist der Alfred ein ganz junger, stürmischer Mann, dann reagiert man anders als wenn es ein nobler, nicht mehr ganz so junger Liebhaber ist…das ist durchaus spannend, aus der Chemie mit den anderen Sängern etwas Neues zu finden.
Und die andere Rolle, die Sie immer wieder singen, ist offenbar die Donna Anna, mit der wir Sie jetzt auch in Wien hören?
Ja, die Violetta und die Anna sind meine „Cavalli di Battaglia“, wie man in Italien sagt. Ich werde mein Engagement in Zürich antreten, indem ich im Mai in einer Neuinszenierung des „Don Giovanni“ dort debutiere. In New York hatte ich mit der Donna Anna an der Met – sie ist damals in die Kinos übertragen worden – solchen Erfolg, dass wir fixiert haben, dass ich jede Saison mindestens ein-, zweimal an die Met komme.
Gibt es für Wien weitere Pläne?
Ich werde nächste Saison in „Hoffmanns Erzählungen“ die Antonia singen, es ist keine richtige Premiere, aber eine Wiederaufnahme mit Piotr Beczala in der Titelrolle, und ich freue mich, weil ich mich in nächster Zeit ein wenig auf das französische Fach verlegen werde – mit der Leila in den „Perlenfischern“, die ich nächste Saison in Zürich singe, der Juliette in „Romeo und Juliette“, mit der ich im Sommer in der Arena von Verona debutiere, und der Marguerite, auf die ich mich besonders freue, die ja wirklich zwischen der „leichten“ Juwelenarie und dem ganz dramatischen Schluss eine große Herausforderung darstellt. Meine Traumrolle ist dann ohnedies die Manon von Massenet.
Sie haben ungewöhnlich viel Rossini gesungen, und zwar nicht den heiteren, sondern den „dramatischen“, der ja nicht so häufig auf unseren Bühnen zu finden ist?
Rossini ist mein Schicksal, aber ich möchte nicht als Rossini-Sopran festgelegt werden. Er ist mir nur vor allem zu Beginn meiner Karriere oft begegnet – als ich in Parma zum allerersten Mal auf der Bühne stand, war das ein „Barbier“ für Kinder und ich sang die Rosina. Dann habe ich in der Accademia Rossiniana mit Alberto Zedda studiert und mit zwei Partien – der Contessa Folleville und der Madama Corteses in „Il Viaggo a Reims“ – auf der Bühne des Teatro Rossini debutiert. Dann kam das Angebot, 2008 beim Rossini Opera Festival in Pesaro die Anna in „Maometto II“ zu singen, das ist eine gewaltige Rolle, etwa dreimal so groß wie die Traviata, da singt man den ganzen Abend, und dann kommt noch eine Arie, die über 17 Seiten geht und 13 Minuten lang ist – eine großartige Sache, dieser Rossini. Dann hat mich die Scala für die Contessa di Folleville in „Il viaggio a Reims“ geholt, und dann kam schon das Vorsingen für Salzburg für „Moise et Pharaon“ unter Riccardo Muti. Und jetzt habe ich eben erst im Jänner in Amsterdam die Mathilde im „Guillaume Tell“ gemacht, die Rolle ist nicht ganz so schwer, aber die Oper ist riesig – wir haben fünf Stunden gebraucht, wenn Graham Vick die Oper im Sommer in Pesaro macht – das ist für mich nach München und vor der Arena von Verona – , soll sie angeblich sechs Stunden dauern, das habe ich schon erfahren. Da wird dann Juan Diego Florez auch dabei sein. Man meint übrigens, die Koloraturen bei Rossini seien so schwer – sicherlich, aber Händel ist viel, viel schwieriger, in „Teseo“ hatte ich sieben Arien und er ändert in den Koloraturen immer die Struktur und die Tonalität, das ist viel schwerer als die Virtuosität bei Rossini.
Sie erzählen immer, dass Ihr erster Operneindruck die „Norma“ war und Sie daraufhin beschlossen haben, Sängerin zu werden. Wollen Sie auch einmal die Norma singen?
Ja, eines Tages, hoffentlich.
Wie steht es mit dem russischen Repertoire – Sie sind ja halbe Russin?
Mein Vater stammt aus Weißrussland, meine Mutter ist Lettin, wurde aber in Sibirien geboren, wohin ihr Vater zur Stalin-Zeit verbannt war, also Russisch und Lettisch sind meine „Vater“- und „Muttersprachen“. Bisher habe ich nur einmal, 2008 in Cagliari, die Tatjana in „Eugen Onegin“ gesungen, die kann ich also bei Bedarf jederzeit abrufen. Und wahrscheinlich kann und werde ich eines Tages auch Iolanta oder Zarenbraut oder Natasha in „Krieg und Frieden“ singen, oder die Francesca da Rimini. Aber ich habe derzeit ein so großes Repertoire und noch so viel vor, dass ich das nicht mit Gewalt forcieren muss.
Ihre Pläne beziehen sich auch auf Mozart?
Ja, ich werde meine erste Fiordiligi in Zürich singen, bisher habe ich ja nur die Elettra und die Donna Anna in meinem Repertoire, aber ich werde 2017 die Donna Elvira an der Met machen, und darauf freue ich mich besonders, denn ich mag diese Rolle viel mehr als Donna Anna. Elvira ist ein gerader, aufrechter Mensch, man weiß, was sie denkt und fühlt, und was sie tut, stimmt damit überein. In der Figur der Donna Anna liegen so viele Widersprüche, dass man sie gar nicht auflösen kann. Ich habe die Donna Anna in vielen Inszenierungen gesungen und eigentlich ist es nie gelungen, den Widersprüchen der Figur gerecht zu werden. Man muss sie dann als solche darstellen – all die Gefühle, zwischen denen sie hin- und hergerissen wird. Als Sängerin hat man das Problem, sich nicht zu sehr von Emotionen davontragen zu lassen – aber natürlich darf auch nicht die Technik des Singens merkbar werden. Donna Anna ist immer schwierig. Die Inszenierungen plagen sich mit der Figur – wenn ich jetzt in Wien als Donna Anna zu Beginn Don Giovanni Handschellen anlegen muss, um zu zeigen, dass ich ihn halten will, dann frage ich mich natürlich, wer hat schon Handschellen im Nachtkasten?
Aber ich denke, das ist sicher nicht das Schlimmste, was man so im Laufe einer Sängerkarriere – und die Ihre ist ja eigentlich erst sechs, sieben Jahre jung – an Inszenierungen erlebt und mittragen muss?
Man erlebt wirklich unglaubliche Dinge. Am schlimmsten war für mich Händels „Teseo“ an der Komischen Oper in Berlin, da hat der Regisseur Benedikt von Peter das ganze Werk in eine Schlammlandschaft gestellt, man war über und über bekleckert, wenn man Pech hatte, bekam man das auch in den Mund – und für mich war es besonders schwer, weil ich fast einen Reinlichkeitsfimmel habe, ich putze wirklich gern, dass alles sauber ist… Ja, bei einer Traviata, ausgerechnet in meiner Heimatstadt Riga, verlangte der Regisseur, dass ich mich auf einen Tisch setze und auf meinem Hintern ganz schnell rotiere. Ich fragte: Warum? Er meinte, weil ich so glücklich sei. Ich habe es dann in abgeschwächter Form irgendwie gemacht… Dann gab es einen berühmten Regisseur, der seine Inszenierung jeden Tag geändert hat, noch bei der Generalprobe: Ich versichere ihnen, das ist entsetzlich für die Sänger. Und wenn ich denke, dass es angeblich im Mai beim Züricher Don Giovanni, den Sebastian Baumgarten inszenieren wird, lebende Schlangen auf der Bühne geben soll?
Wenn Sie jetzt doch eine Menge neuer Rollen lernen – die Juliette, die Antonia, die Leila in den „Perlenfischern“ – wie schnell und mit wessen Hilfe lernen Sie neue Rollen?
Wenn mir eine Rolle leicht fällt wie die Juliette, dann geht das sehr schnell. Natürlich ist man sehr froh, wenn man an einem Opernhaus einen guten Coach findet, das kann sehr helfen. Aber eigentlich setze ich mich ans Klavier und lerne alleine. Man hört sich CDs an oder sieht ein Video, aber die letzte und einzige Wahrheit liegt in der Partitur. Das Alleine-Lernen habe ich mir notgedrungen angeeignet, weil ich zu den Sängern gehöre, die nicht von ihren Lehrern schwärmen können – ich hatte nur Pech. Zuerst in Riga, dann in Parma. In Rom hatte ich zwei Lehrer, jeder sagte etwas anderes, der eine ließ mich die Königin der Nacht singen, der andere die Tosca, und alles, was man da erreichen kann, ist seine Stimme einzubüßen. Da ist mir klar geworden, dass die einzige, auf die ich mich verlassen kann, ich selbst bin – ich und mein Recorder. Immer wieder anhören, immer wieder überprüfen. Das machen übrigens mehr Kollegen so, als man weiß.
Ihr Privatleben hat sich in den letzten Jahren ja dramatisch verändert?
Ich habe in Riga 2009 den „Liebestrank“ gesungen, und der Nemorino zu meiner Adina war Dmytro Popov – ja, und 2010 haben wir geheiratet. Unsere Tochter Katrin ist zwei Jahre alt, und glücklicherweise haben wir Dmytros Mutter, die immer bei uns ist und mit dem Kind hilft. Dmytro stammt aus der Ukraine, hat schon viel an großen Opernhäusern gesungen und war in Stuttgart engagiert. Im Jänner ist er in London für Rolando Villazón in der „Boheme“ eingesprungen und hatte Riesenerfolg. Weil ich aber jetzt für drei Jahre Ensemblemitglied in Zürich geworden bin, werden wir von Stuttgart dorthin übersiedeln, obwohl eigentlich Wien meine Traumstadt wäre, um hier zu leben. Es ist ja erstaunlich, wie viele Opernsänger hier wohnen! Ja, und ich freue mich schon sehr darauf, dass ich sowohl in der Deutschen Oper Berlin wie auch in Covent Garden je zweimal „La Traviata“ mit Dmytro als Partner singen werde…
Ist es nicht schwierig, mit einem Sänger verheiratet zu sein, den seine Engagements dann monatelang vielleicht ans andere Ende der Welt führen?
Ja, derzeit ist er in Sydney und singt Don José, und da werde ich ihm mit dem Kind nicht nachreisen, dazu ist es zu weit. Aber wenn er dann wo immer engagiert ist und ich frei bin, kommen wir natürlich mit. Wenn ich dann im Herbst nach Chicago muss, ist es wahrscheinlich besser, wenn er mit dem Kind und seiner Mutter nach Riga geht. Aber es ist doch so: Wenn man etwas will, dann macht man es auch und dann ist es nicht schwer. Singen ist ein Hobby, das dann irgendwann zum Beruf wird. Wichtig ist, immer wieder Ruhepausen einzulegen. Und sich seines Lebens freuen: Mein Mann ein wunderbarer Koch, und ich putze furchtbar gerne, wir sind also ein fast ideales Paar zuhause, das auch schrecklich gerne miteinander schwimmen und in die Sauna geht. Das Leben ist schön für mich, die Arbeit muss Spaß machen – dann ist es wunderbar.
Was wünschen Sie sich?
Ein zweites Kind, ein paar schöne CDs – und die Manon.