„Es reicht nicht, nur gut zu spielen!“
Die Geigerin Maria Solozobova bricht eine Lanze für Schweizer Komponisten
Die Violinistin Maria Solozobova und der Komponist Paul Joun erscheinen von ihrem Lebenswerk her stark miteinander verwandt: Beide wurden in Russland geboren, aber lebten bzw. leben heute in der Schweiz. Für ihr aktuelles CD-Album hat die international gefragte Geigerin die romantischen Violinkonzerte der Schweizer Komponisten Paul Juon (1872-1940) und Hans Huber (1852-1921) wiederentdeckt und mit dem Collegium Musicum Basel unter der Leitung von Kevin Griffith eingespielt. Im Interview sprach sie über ihre künstlerische Selbstverwirklichung.
Das Interview führte Stefan Pieper (2017)
Maria Solozobova. Foto: Homepage Solozobova
Frau Solozobova, Sie sind international gefeierte Solistin, lehren als Professorin an der Musikhochschule, veranstalten Konzerte und Festivals. Wo nehmen Sie die Energie für dies alles her?
Es ist sehr interessant, verschiedene Sachen zu machen. Wenn man etwas gern tut, kommen die Ressourcen von selbst. Wir Menschen können doch vielmehr, als wir oft denken. Vorausgesetzt, man ist mit ganzem Herzen dabei!
Sind Sie streng mit sich selbst?
Vor allem bei der Geige sind die Technik und die Musik unmittelbar miteinander verbunden. Wenn alles miteinander gut ist, gehen viele Türen auf! Ich habe eine sehr gute Schule bekommen, das ist heute sehr hilfreich. Wer in jungen Jahren viel übt, braucht dies später nicht mehr so viel. Ich lehre heute meinen Schülerinnen und Schülern, gezielter vorzugehen und dadurch mit weniger Üben auszukommen. Ich selbst habe heute ein solides Fundament und spiele besser als früher. Es ist nicht so, dass das Spiel schlechter wird, wenn man älter wird. Bei mir ist es eher umgekehrt.
Sie haben die denkbar besten Ausbildungen absolviert, allen voran das Musikgymnasium Gnissin und das Tschaikowski Konservatorium. Und kommen einmal nicht aus der „üblichen“ musikalischen Familie!
Meine Eltern war Ingenieure aus dem Flugzeugbau bei Tupolew. Ich habe ganz von selbst zur Musik gefunden, weil ich nichts mathematisches technisches wollte. Ich habe erst im Alter von 10 Jahren mit der Geige begonnen, was vergleichsweise spät ist. Es gibt so viele begabte Kinder in Russland. Da wird deine strenge Auswahl getroffen und ich hatte wirklich Glück. Aber ich hatte eine gute Lehrerin, die bei mir Perspektiven erkannte und auch einen Schulwechsel angeregt hat. Dadurch fing ich an, die Profimusik anzustreben.
Wie sind Sie dann in den Westen gekommen?
Das Tschaikowski-Konservatorium ist eine der besten Musikhochschulen. Dann empfahl mir die Professorin, mich auf die Wiener Klassik zu konzentrieren und dafür einen Ortswechsel vorzunehmen. Ich ging auf ihre Empfehlung im dritten Jahrgang nach Wien. Es erwies sich für mich als besser, in einem westlichem Land Karriere zumachen. Russland ist zwar ein großes Land, aber die Konkurrenz unter guten Musikern ist sehr anstrengend. Vieles hat sich verändert. Zu Sowjetzeiten wurden Sport und auch Musik viel mehr vom Staat gefördert.
Was für Erfahrungen haben Sie gemacht durch diesen Aufbruch?
Es reicht nicht, nur gut zu spielen. Man muss pragmatisch denken und kämpfen. In Russland war ja alles staatlich. Hier im Kapitalismus ist jeder auf sich selbst gestellt. Also ist man auch auf wirtschaftliche Unterstützung angewiesen. Ich habe mich in Westeuropa viel besser entwickeln können Ich bin hier freier und kann spielen, was ich möchte und nicht mehr das, was von mir verlangt wird. Mein Ziel war vor allem, mich als Solistin zu realisieren, ich wollte mehr sein als „nur“ Orchestermusikerin.
Ich habe mir dann für den Aufbau einer Karriere Unterstützung gesucht. Es gibt ja eine große Schweizer Firma mit russischen Wurzeln (Gazprom), die ich als Sponsor gewinnen konnte. Für die passte mein Profil bestens – als russische Geigerin, die in der Schweiz lebt. Heute erlaubt mir diese Unterstützung sogar, eigene Festivals zu veranstalten.
Kann es sein, dass Sie ein gutes Händchen haben, im richtigen Moment auf die richtigen Leute zu treffen?
Es ist wichtig, Menschen aufzuspüren, die selber eine starke persönliche Affinität zur klassischen Musik haben. Ohne das geht es überhaupt nicht. Aber das ist noch nicht alles. Man muss etwas spezielles anbieten, um einen eigenen Platz zu finden. Und vor allem sein Publikum begeistern können!
Was ist Ihnen bei der Programmplanung von Konzerten wichtig?
Ich will mein Publikum verstehen und ein Gespür dafür entwickeln, was die Leute gerne hören möchten. Aber es sollte auch etwas spezielles auf den Programmzetteln stehen. Wichtig ist, namhafte Künstler einladen zu können. Große Namen spielen immer eine Rolle. Zugleich muss man schlau integrieren können, vor allem wenn ich mit dem Violinkonzert von Paul Juon ein gänzlich neues Stück präsentiere. Ich möchte in die Köpfe der Menschen bringen, dass dies etwas gutes ist!
So nordisch-düster, wie im Booklet beschrieben, klingt Paul Juons Violinkonzert eigentlich gar nicht. Da liegt viel frischer Esprit in der Luft. Wo liegen die Herausforderungen dieser Komposition?
Sie haben recht: Die Musik ist sehr humoristisch, aber auch extrem schwierig zu spielen.
Eine Kadenz in einem Paganini-Violinkonzert ist damit verglichen viel einfacher, weil alles so angenehm für Finger und Hände gesetzt ist. Paul Juons Konzert ist viel komplizierter gesetzt. Wegen seiner Schwierigkeiten ist es früher von keinem gespielt worden, obwohl es schon gedruckt war.
War das der einzige Grund, warum es länger als ein Jahrhundert bis zu seiner Uraufführung durch Sie gedauert hat?
Es war gewissermaßen so wie heute auf dem Musikmarkt: Paul Juon hatte einfach nicht das Glück, gute Werbung zu bekommen. Tschaikowski hingegen wurde von mächtigen Mäzenen unterstützt, um in der Öffentlichkeit ein großer Name zu werden.
Stilistisch gehört Paul Juon zum Umfeld Borodin, Tschaikowski, Mussorgsky, Rimski-Korsakow. Man kann keine eindeutigen Bezüge oder Zitate ausmachen, alles ist sehr eigenständig geschrieben. Das Violinkonzert ist noch in Russland entstanden. Trotzdem sind beide Eltern Schweizer, die aber in Moskau geboren sind. 1917 war Revolution in Russland, deswegen sind die Eltern nach Berlin emigriert.
Mit Hans Hubers Violinkonzert haben Sie ein weiteres, frühes Meisterwerk aus der Versenkung geholt!
Ich habe das Manuskript per Zufall in Basel in der Musikbibliothek entdeckt. Ich habe mich gewundert, dass nur die Partitur vorliegt, aber keine anderen Stimmen. Hans Huber ist eigentlich kein Unbekannter in der Schweiz, er ist immerhin der Gründer der ersten Musikhochschule. Seine Tonsprache in diesem Konzert ist purer romantischer Stil – vielleicht etwas wie Glasunow oder Mendelssohn, aber mit eigenem Gesicht. Die Musik hat viele Farben. Es braucht eine dichte Besetzung.
Sehen Sie die aktuelle Einspielung als Beitrag, die Schweizer Musikgeschichte bekannter zu machen?
Ich bin selbst so fasziniert, diese Werke aufzuführen. Meine eigene Konzertreihen helfen, um dies präsentieren zu können. Es ist schwierig bei etablierten Labels so was anzubringen!
Wie reagieren etablierte Labels, wenn ihnen unbekanntes Repertoire angeboten wird?
Das ist immer mit einem Risiko verbunden. Andererseits ist es wichtig, dass gerade unbekanntes Repertoire auf einem renommierten Label erscheint. Der CD-Markt ist schwierig geworden, seit es Internet gibt. Man kauft nur noch selten eine CD als Produkt.
Trifft es zu, dass diese CD als physischer Tonträger nur in Asien und Amerika vertrieben wird?
Ja leider. Es ist eine Politik von den Labels, nur in Asien und Amerika zu verkaufen. Da ist so viel Konkurrenzdenken zwischen Deutschland und der Schweiz im Spiel. Der Direktor von Sony-Schweiz hatte die Produktion schon angenommen und mir zugesagt. Aber der musste wiederum seinen Chef aus Berlin fragen, der das Projekt wiederum abgelehnt hat. Die haben so viele andere Geigerinnen, die sie verkaufen müssen. In der amerikanischen und asiatischen Abteilung gibt es nicht so viele Geigerinnen. Ich wollte es aber trotzdem schaffen. Und man kann die CD natürlich auf allen Konzerten und im Internet kaufen.
Kann man die CD in Europa gar nicht kaufen?
Im Internet und auf allen Konzerten. Es ist eine Politik von den Labels, nur in Asien und Amerika zu verkaufen. Da ist Konkurrenzdenken zwischen Deutschland und der Schweiz im Spiel. Die haben andere Geigerinnen, die sie verkaufen müssen. In der amerikanischen und asiatischen Abteilung gibt es nicht so viele Geigerinnen.
Sie haben gute Förderer für sich gewinnen können und saßen mit vielen Weltstars auf dem Konzertpodium. Wie sind Sie Marta Argerich begegnet?
Martha Argerich habe ich seit meiner Kindheit bewundert und mir so sehr einen persönlichen Kontakt irgendwann mal gewünscht. Aber es ist schwierig, so eine Person kennen zu lernen. Martha hatte erst keine Zeit. Ich hatte schließlich das Glück, über jemand anders einen Kontakt zu ihr zu bekommen. Ich habe sie gefragt, ob wir mal privat spielen könnten. Ich habe ihr die c-Moll-Sonate von Cesar Franck vorgeschlagen und dann war sie einverstanden – was für ein großes Glück! Wir trafen uns in Genf und haben gespielt. Sie hat nicht viel gesprochen, danach hat sie ein leckeres Essen für uns gekocht. Es war ein guter Abend geworden. Ein paar Monate später meldete sie sich, dass sie in unserer Konzertreihe mit mir spielen würde. Ich war überrascht und merkte, dass sie wirklich zufrieden war. Das Eis war gebrochen. Dann habe ich Mischa Maisky kennen gelernt. Auch da gab es eine tolle Zusammenarbeit!
Sie lehren ja auch am Zürcher Konservatorium? Was möchten Sie Ihren Schülerinnen und Schülern auf den Weg geben?
Ich bin ein ganz normaler Mensch mit einem eigenen Schicksal. Ich empfehle meinen Studenten, möglichst viel auszuprobieren, um einen eigenen Weg zu finden. Aber auch, ein möglichst hohes Niveau zu erreichen und sich in allen Richtungen auszuprobieren. Man soll nichts unversucht lassen. Optimismus ist der wichtigste Punkt im Leben!
CD:
Maria Solozobova
Une Révélation
Paul Juon: Violin Concerto
Hans Huber:Violin Concerto
Maria Soloboza: Violine
Collegium Musicum Basel
Ltg. Kevin Griffiths