Interview mit Maria José Siri beim 100. Festival di Arena di Verona – September 2023
Maria José Siri. Copyright: Billand
Anlässlich des Auftritts der bekannten uruguayischen Sopranistin Maria José Siri beim 100. Festival der Fondazione Arena di Verona interviewte ich vor der „Aida“ die sympathische Sängerin in einem Restaurant vor der Arena. Leider war es zeitweise in italienischer Art und Weise recht laut. Aber wir konnten das Interview gut zu Ende führen…
- Was sind die darstellerischen und stimmlichen Unterschiede zwischen den drei Rollen, die Sie dieses Jahr in Verona singen werden, Aida, Abigaille und Madama Butterfly?
Ich habe Aida hier in Verona seit 2013 jedes Jahr gesungen, und open air ist immer eine besondere Herausforderung. Seit zwei Jahren singe ich auch „Nabucco“ und damit in diesem Jahr zum dritten Mal hintereinander beide Rollen gleichzeitig. Zusätzlich wurde ich heuer eingeladen, Madama Butterfly zu singen. Das war besonders schwer hier, da Cio-Cio-San praktisch die ganze Zeit auf der Bühne steht und die Temperaturen zum Zeitpunkt der Aufführungen noch sehr hoch waren.
Stimmlich ist Abigaille die leichteste Rolle für mich. Es ist purer Belcanto und von Verdi, den ich sehr liebe, sehr gut geschrieben, besser als Aida übrigens. Butterfly ist ganz anders als die beiden anderen Rollen. Natürlich kann man nicht sagen, dass die eine oder die andere der drei Rollen die leichteste sei, alle sind sehr herausfordernd. Butterfly ist aber sicher die schwerste. Für eine Mutter wie mich, ich habe eine Tochter, ist Butterfly natürlich auch dramaturgisch und emotional recht schwer. Aida kommt an zweiter Stelle und Abigaille, zumal sie so gut geschrieben ist, an dritter. Auch darstellerisch ist Butterfly die schwerste Rolle, weil sie sehr dramatisch konzipiert ist, wohl das Dramatischste, was Puccini schrieb. Suor Angelica ist auch dramatisch, aber viel kürzer.
Wenn ich gefragt würde, sänge ich Abigaille am liebsten, dann Butterfly, zumal ich immerhin mittlerweile schon 160 Mal die Aida gesungen habe und auch schon 100 Mal die Tosca! Die Butterfly singe ich schon gern, aber nicht so häufig im Jahr, weil die Rolle eben doch schauspielerisch sehr fordernd ist, nicht so sehr stimmlich. „This little girl makes me always very sad.“ sagt sie mit einem Funken sehr authentischer Emotion. Und die Rolle ist sehr dramatisch! So kann sie nicht verstehen, dass ein soprano leggero diese Partie singt.
- Wie ist ihre Erfahrung mit diesen drei Rollen?
Maria José Siri war in 28 Produktionen als Aida engagiert und in 22 Produktionen als Tosca. Auch einige Produktionen von „Manon Lescaut“ zählt sie schon als bedeutsam für ihre bisherige Karriere. Wir stellten amüsiert fest, dass ich sie im letzten Winter bei einem Gastspiel als Aida in Las Palmas de Gran Canaria bei den Amigos Canarios de la Ópera in erlebt und besprochen habe.
Die Aida habe ich fast schon überall gesungen, sogar vor den Pyramiden von Gizeh. Abigaille singe ich seit 2020, in Wien, in Italien und anderswo. Auch dieses Jahr stehen wieder einige Produktionen von „Nabucco“ an. Sie möchte aber auch die anderen Verdi-Rollen pflegen. Im Dezember ist sie in „Don Carlo“ an der Mailänder Scala zu hören, bis Januar 2024. „Man muss sehr aufpassen mit Verdi. Wenn man Butterfly singt, kommt man zu Puccini oder man geht von Puccini.“ Maria José Siri ist „müde“, von der voce verdiana zu hören. Die geliebte und sehr weise Renata Scotto, (nur drei Wochen vor diesem Interview in Savona verstorben, Anm. d. Verf.) sagte einmal, es gebe keine Verdi-Stimmen, es gebe nur Stimmen, die Verdi singen können! Man muss also sehr gut planen, was man singen will.
Für Verdi ist ganz entscheidend, eine gute und passende Technik zu haben. Sonst wäre es nicht möglich, in einer Woche „Nabucco“ zu singen, in der nächsten die Butterfly und so fort. Die Technik ist eines, die Stimme ist eines, was sich ändert ist der Stil. Puccini ist theatralischer, hat mehr Emotion. Das erlaubt einem, mehr Klangfarben zu singen als Verdi erlauben würde. Er verlangt eine viel striktere Technik, während bei Puccini die vokale Gestaltungsform, auch im Hinblick auf dem Text, freier ist. Puccini ist ein bisschen wie Kino mit all seinen Emotionen. Aber Verdi mit seiner Technik bedeutet: „If you cannot sing Verdi, you cannot sing the others.“ Wenn man aber die Verdische Technik beherrscht, kann man alles singen. Ich kann mit der Verdi-Technik ohne weiteres Verismo singen, lyrische und dramatischere Rollen, und dabei verliere ich nie das Piano und die Bruststimme. Wenn man diese Technik beherrscht, kann man auch gut spielen auf der Bühne. So sollten wir Sänger zunächst Verdi singen, um die Technik zu erlernen, die uns alles öffnet.
Dann kommt Maria José Siri auf „Don Carlo“ zu sprechen und betont ihre Liebe für die fünfaktige französische Fassung, die sie in Bilbao gesungen hat. Auch „Otello“ liebt sie sehr. „Now I am waiting for Turandot in Venice.“ Im August 2024 ist es so weit!
Dr. Klaus Billand, Maria José Siri. Copyright: Billand
- Oper in Südamerika
Als ich ihr von meiner Zeit für die Vereinten Nationen in Argentinien erzählte und wir darauf kamen, dass ich die Sommerferien im Dezember mehrfach in der kleinen Stadt Atlantida an der uruguayischen Küste verbrachte, bricht es emotional regelrecht aus Maria José Siri heraus: „I live there, I am from there, I am from Atlantica…!“ und das scheint nun der emotionale Hit des ganzen Interviews zu werden. Genau zu Weihnachten ist ihr Geburtstag, und da war ich mit der Familie mehrere Jahre dort. So geht sie auch jedes Jahr zu ihrem Geburtstag am 24. Dezember nach Atlantida. „So, we must have been in Atlántida at the same time for some years!” ruft sie begeistert aus. Man hätte sich treffen können… Immerhin lebte sie bis 2005 dort und zog dann nach Verona in die Nähe des Gardasees, was für die Stimme besser ist.
Was die Oper in Südamerika angeht, besonders in den Ländern des MERCOSOR im Süden, ist die Lage der Oper recht schwierig, vor allem finanziell. Es ist nicht so, dass man kein Geld hätte, aber man will es nicht für die Kultur ausgeben. In Uruguay gibt es zwei sehr schöne Theater, das Teatro Solis und das Teatro Sodre. Sogar wenn Künstler aufgetreten sind, hapert es oft mit der Zahlung der cashés.
Politisch ist das Interesse an Kultur in den Ländern des MERCOSUR gering, auch wenn sie hörte, dass das Teatro Colón in Argentinien die cashés zahlt. Sie sang in Kolumbien, El Salvador, und es war etwas geplant im September mit Placido Domingo in Paraguay und Venezuela. In den uruguayischen Theatern hat man zwar weniger Geld für die Kultur, aber man zahlt die Künstler.
- Die Entwicklung der Oper als Kunstform weltweit
Es geht meines Erachtens mehr in die Richtung von modernen Effekten und weniger in die Richtung der Emotion, die bekanntlich in erster Linie mit der Oper verbunden wird, meint Maria José Siri hierzu. Sie hat nichts gegen neue Sichtweisen auf der Bühne, also auch neue Regiekonzepte. Aber man sollte die Tradition mit dem Neuen verbinden, nicht das eine durch das andere ersetzen. „We have to renew the Opera. And that can be done in many ways, and there are a few stage directors, who can do it meaningfully.”
- Ihre künftigen Pläne
Nach ihrer Aida an der Staatsoper Berlin und „Tosca“ in Tokyo wird sie singen „Don Carlo“ an der Mailänder Scala, „Ein Maskenball“ in Verona, Santuzza in Monte Carlo, „Nabucco“ in Triest, das Verdi Requiem in Dresden, „Attila“ konzertant in Graz, „Nabucco“ am Teatro Maestranza in Sevilla, und die Turandot in Venedig. Ihre Verdi-Technik ermöglicht ihr offenbar diese Vielfalt.
Aber: “The story of the night is Atlantida!” meint Maria José Siri am Ende des Interviews… Und wenn sie mal wieder nach Wien kommt, möchte sie gern Ileana Cotrubas besuchen. Sie ist ihr offenbar stark verbunden. Und wir werden ein gutes Glaserl Wein haben. In Ruhe!
(Das Interview wurde in Englisch geführt).
Klaus Billand