MARIA JOSÉ SIRI: „Abigaille ist für mich eigentlich eine Belcanto-Partie“
Maria José Siri. Copyright: Amati e Bacciardi
Die urugayische Sopranistin Maria José Siri ist ein gern gesehener Gast an der Wiener Staatsoper, wohin sie am Montag als Abigaille in Nabucco zurückgekehrt ist. Die in Verona lebende Sängerin gab im Jahr 2013 als Tosca ihr Debüt im Haus am Ring und war dort anschließend als Maddalena in Andrea Chénier, erneut als Tosca, als Leonora in Il trovatore und in der Titelrolle von Madama Butterfly zu erleben. Die Abigaille ist die jüngste Verdi-Rolle der Künstlerin, die mittlerweile über zehn Partien des Komponisten aus Busseto im Repertoire hat. Isolde Cupak sprach mit Maria José Siri über die drei Jahre seit ihrem letzten Auftritt in Wien, die heikle Rolle der Abigaille, die Wiener Produktion von Nabucco, anstehende Projekte, neue Rollen und mehr.
Frau Siri, zuletzt waren Sie in der Spielzeit 2017/18 als Cio-Cio-San in Madama Butterfly an der Wiener Staatsoper zu erleben. In den drei Spielzeiten seit Ihrer Abwesenheit ist viel passiert. Was waren die künstlerischen Höhepunkte seit Ihren letzten Vorstellungen in Wien und wie haben Sie die so schwierigen letzten eineinhalb Jahre erlebt?
Ich habe seit der Wiener Butterfly einige neue Rollen gesungen, unter anderem Zandonais Francesca da Rimini in einer Neuproduktion an der Mailänder Scala, wo ich auch als Manon Lescaut in der Urfassung des Werks unter Riccado Chailly auf der Bühne stand. In Florenz habe ich meine erste Giorgetta in Il tabarro gesungen. Dort habe ich auch als Abigaille debütiert, im Oktober letzten Jahres mit Plácido Domingo als Nabucco und wie jetzt in Wien unter Maestro Carignani. Eine weitere Rolle, die ich sehr liebe habe ich im März 2020 erstmals in Bari interpretiert, und zwar die Adriana Lecouvreur. Was mich auch gleich zur Situation der letzten zwei Jahre führt, da in Bari die Serie der Absagen ihren Anfang nahm. Vor der Premiere kam der Dirigent zu mir in die Garderobe und sagte, dass vielleicht gar nicht gespielt werden könne, da am selben Tag in Italien das Dekret verabschiedet wurde, nach dem dort alle Theater schließen sollten. Das trat dann doch erst am nächsten Tag in Kraft, und wenigstens die Premiere konnte stattfinden. Natürlich in einer merkwürdigen Atmosphäre, da wir alle wussten, dass ab dem nächsten Tag die Theater alle schließen würden und es bei dieser einen Vorstellungen bleiben sollte. Mir tat das sehr für die Zweitbesetzung leid, da für sie alle Proben umsonst waren. Darauf folgten für mich wie für so gut wie alle Sänger viele Monate zu Hause, die aber nicht nur Negatives hatten. Ich konnte so viel Zeit mit meiner Tochter verbringen wie schon lange nicht mehr. Das war wirklich schön. Es war auch eine Zeit, um ein wenig zu sich selbst zurück zu finden. Ab Sommer 2020 hatte ich das Glück, doch verhältnismäßig viel auftreten zu können und habe Konzerte in der Arena di Verona und in Triest gesungen. Dann debütierte ich wie gesagt im Oktober 2020 als Abigaille. Im Winter folgten dann einige gestreamte Vorstellungen, unter anderem Il tabarro in Verona. Ab März 2021 trat ich dann wieder mit Publikum auf, unter anderem als Adriana Lecouvreur in Las Palmas und beim Maggio Musicale Fiorentino und viel in der Arena di Verona. Dort habe ich unter anderem mein Rollendebüt als Santuzza in Cavalleria rusticana gegeben. Andere Sänger hat es wirklich nochmal sehr viel härter getroffen als mich und ich bin dankbar dafür, dass ich in dieser so schwierigen Zeit doch relativ viel auftreten konnte.
Nun sind Sie in einer der gefürchtetsten Sopranpartien nach Wien zurück gekehrt, als Abigaille in Verdis Nabucco. Wie gehen Sie die Rolle an?
Für mich ist Abigaille eigentlich eine Belcanto Partie, die viel Flexibilität erfordert. Verdi hat diese unglaublichen Intervallsprünge geschrieben und die Rolle ist voller Koloraturen die bewältigt werden müssen. Sie hat hochdramatische Momente, wie etwa das Rezitativ im zweiten Akt, aber auch viele lyrische Stellen. Ich denke hier etwa an die Arie, die dem Rezitativ folgt oder die Sterbeszene der Abigaille. Da ist es sehr wichtig, die Stimme immer flexibel zu halten. Ich versuche, die Partie so schlank wie möglich zu singen und sie eher lyrisch anzugehen. Die Rolle ist natürlich eine Herausforderung für eine jede Sopranistin, aber mir macht sie großen Spaß. Auch als Darstellerin! Abigaille ist derart spannend. Eigentlich ist sie einfach nur eine Frau, deren Liebe nicht erwidert wird und die darüber zerbricht. Sie liebt Ismaele, der ihre Schwester liebt. Dann findet sie heraus, dass sie eigentlich die Tochter einer Sklavin ist und wird quasi ihrer Identität beraubt. Der Vater weist sie auch ab… Für mich sind die vielen Facetten der Rolle sehr spannend. Die große Szene im zweiten Akt beispielsweise. Erst ihre große Wut, wenn sie den Brief entdeckt, dann die sehr innige Arie in der sie sich sehr menschlich und zutiefst verletzlich zeigt und anschließend die Cabaletta in der sie triumphierend den Thron vor Augen hat. So viele Gefühlswendungen und Stimmungsumschwünge in so kurzer Zeit darzustellen ist eine Herausforderung, die mir großen Spaß macht. Abigaille zeigt sehr viele Aspekte menschlicher Gefühlsregungen und das ist darstellerisch unglaublich spannend!
Die Wiener Produktion von Günter Krämer ist seit mittlerweile 20 Jahren fester Bestandteil des Repertoires der Staatsoper. Was sind Ihre Eindrücke der Produktion?
Mir gefällt die Inszenierung sehr gut. Sie bringt die Geschichte eigentlich gut auf den Punkt und beleuchtet auch die schwierigen Familienverhältnisse von Nabucco, Abigaille und Fenena auf eine interessante Art und Weise. Die Produktion funktioniert meiner Meinung nach sehr gut und scheint mir recht zeitlos zu sein. Deshalb spielt man sie hier wohl auch schon seit 20 Jahren, ohne dass sie verstaubt wirkt. Außerdem gefällt mir mein Kostüm wirklich sehr gut. Ich kann also nur Gutes über die Inszenierung sagen.
Ist die Abigaille ein erster Schritt in Richtung einer Erweiterung Ihres Repertoires in eine dramatischeres Fach?
Ich möchte tatsächlich gerne weitere Partien singen, die in etwa in diese Richung gehen. Vor allem auf Verdis Lady Macbeth, Ponchiellis Gioconda und Puccinis Fanciulla habe ich ein Auge geworfen. In diesen drei Rollen würde ich wahnsinnig gerne in Zukunft debütieren! Das sind alles spannende, starke Frauen mit so vielen Facetten.
Und was können Sie uns konkret über Ihre Pläne verraten?
In den kommenden Monaten werde ich in Italien die Tosca singen. In Spanien steht Manon Lescaut an und in Deutschland Aida und Abigaille. Ich werde nächstes Jahr auch wieder mit Plácido Domingo Konzerte singen. Und im Sommer steht natürlich wieder wie jedes Jahr die Arena di Verona auf dem Programm!
Das Gespräch führte Mag. Isolde Cupak im November 2021