ZUM LECH CLASSIC FESTIVAL – INTERVIEW mit MARGARITA GRITSKOVA
Margarita Gritskova in Lech. Foto: Lukas
Die russische Mezzosopranistin hat nach ihren Klavier- und Gesangsstudien in ihrer Heimatstadt am Staatlichen Konservatorium St. Petersburg und nach 2 Jahren Fixanstellung im Weimarer Staatstheater im September 2012 an der Wiener Staatsoper debütiert und bleibt als spielfreudiges, vielseitiges Ensemblemitglied (bis 2020) mit breitem Repertoire in bester Erinnerung. Auch als Konzert- und Liedsängerin ist sie in den großen Konzertsälen wie z.B. Musikverein Wien, Covent Garden London und Carnegie Hall New York bekannt.
Erinnern sie sich noch an ihren ersten Auftritt an der Wiener Staatsoper? Waren sie sehr aufgeregt?
Es war in „Don Carlo“ als Tebaldo (Anmerkung: unter Welser-Möst) und ich war erst 3 Tage an der Wiener Staatsoper beschäftigt. Danach folgte gleich mein Fjodor mit Ferruccio Furlanetto als Boris Godunow. Das war etwas einfacher, weil ich auf russisch singen konnte, aber ich war sehr nervös, weil ich mir der großen Verantwortung bewusst war. Alle waren aber so lieb, haben mir geholfen und mit dem Vertrauen, vieles geschafft zu haben, habe ich heute vor Vorstellungen nur noch eine gewisse Anspannung, aber ich will nicht ganz ruhig sein, sonst wird es langweilig und monoton.
Wie sind sie zum Lech Classic Festival gekommen?
Es hat sich sehr spontan ergeben. Als mich Herr Wagner angerufen hat, habe ich mich so gefreut, nach 10 Jahren wieder die Dorabella singen zu dürfen. Bei meinem Debüt (Anmerkung: Jänner 2014 an der Wr. Staatsoper) hat Barbara Frittoli meine Schwester gesungen; aber nur im 1. Akt, denn sie hatte eine Vergiftung und Caroline Wenborne musste kurzfristig einspringen. Nun war es so eine große Freude für mich, liebe Kollegen von früher wiederzusehen, wie Jennifer (O´Loughlin), Pavel (Kolgatin) und Peter (Kellner). Die Zeit miteinander war nur kurz, aber ich habe sie sehr intensiv erlebt. Zuerst war vereinbart, dass wir nur konzertant auftreten sollten, doch am Ende war alles da, was wir gebraucht haben: die Perücke und Servierschürze für Despina, die Kostüme für die Männer und das Medaillon für mich. Das Spiel miteinander hat uns daher sehr viel Spaß gemacht und wir wurden viel gelobt und bejubelt. Auch die Akustik im neuen Saal war sehr gut und Lech ist bezaubernd. Ich habe mich gefühlt wie in einem Märchen und sogar das Wetter hat mitgespielt – es war wundervoll!
Sind sie einer Dorabella oder anderen Opernfiguren sehr nahe? Wie stark müssen sie die Personen, die sie interpretieren, verstehen?
Für mich ist am wichtigsten, von diesen Frauen zu lernen, um meine Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Ich kann mich selten mit den Rollen zu 100 % identifizieren, denn ich bin nicht so, aber mir hilft ein Rollenstudium oder ein intensives Beschäftigen, um mich selbst besser kennenzulernen, mehr zu verstehen oder aber auch, mir selbst nach einem Fehler leichter zu verzeihen. Mozart und Da Ponte sind sehr großzügig und großmütig mit ihren Figuren und das gefällt mir gut so. Die Musik ist so stark, und obwohl ich mich nach Lech nun mit Donizetti beschäftige, habe ich noch immer Mozarts Klänge in meinem Ohr.
Sie haben bisher die Seymour in „Anna Bolena“ gesungen, was folgt als nächstes von Donizetti und auf welche Aufführungen mit ihnen dürfen wir uns freuen?
Ich würde gerne „Maria Stuarda“ einstudieren, aber vorab gibt es am 7.9. einen Liederabend mit „Donizetti-Liedern“ mit Pianistin Maria Prinz in Bad Wildbad im Königlichen Kurtheater und im Oktober wird meine Gramola-CD mit Musik von Albin Fries präsentiert. Er ist Pianist, Komponist (z.B. romantische Märchenoper Persinette – UA an der Wr. Staatsoper 12/2019) und war lange Korrepetitor an der Wr. Staatsoper. Ein weiteres großes Projekt ist die Eboli in der Nationaloper Helsinki im nächsten Jahr.
Sie singen derzeit die Amneris und Eboli. Wie kam es zum Fachwechsel zum dramatischen Mezzo-Sopran?
Der Lockdown in der Corona-Zeit hat mir dabei geholfen. Ich hatte viel Zeit, um mich neuen Aufgaben zu widmen und mich auf Rollen im „schwereren Fach“ zu konzentrieren. Den Weg zu Verdi habe ich über Donizetti und Belcanto gefunden, weil die Rolle der Seymour hat wenige dramatische Ausbrüche (auch wenn die Oper sehr tragisch ist), aber man braucht viel innere Ruhe im Körper, ich soll nicht ständig pushen. Diese Entwicklung hat mich sehr motiviert. Natürlich musste ich die Kantilenen bei „O don fatale“ oft üben, aber das fiel mir nicht so schwer, wie das Rollenstudium der Seymour davor. Die Partie der Eboli mag ich sehr gerne und mein Rollendebüt war voriges Jahr in Klosterneuburg. Dort war ich so liebevoll in das Ensemble eingebunden, sodass es sich ganz leicht angefühlt hat. Günther Groissböck hat uns so motiviert mit seiner ganzen Persönlichkeit – er verhielt sich wie ein „feuriger Drache“. Er ist nicht nur Star, er hat auch eine einmalige, unglaublich starke Energetik. Auch bei meiner ersten Amneris in Weimar 2022, hat mir sehr geholfen, alle gekannt zu haben – inklusive den Chormitgliedern – und ich fühlte mich wie zu Hause.
Welche Rollen wollen sie noch weiterhin in ihrem Repertoire behalten?
Rosina („Barbiere“) und Isabella („L´italiana in Algeri“) singe ich weiterhin, neu hinzukommen soll Donna Elvira („Don Giovanni“) – Mozart ist immer eine gute Übung für meine Stimme.
Wie bereiten sie sich auf solche Rollendebüts vor? Wie viel Zeit benötigen Sie?
Anfangs begleite ich mich selbst am Klavier. Aber ohne Hilfe von italienischen Korrepetitoren ist es unmöglich für mich, weil italienisch nicht meine Muttersprache ist und ich da viel lernen muss. Diese musikalischen Begleiter haben so exzellente Ohren und erkennen Feinheiten sofort. Das musikalische Studieren geht bei mir sehr schnell, aber bis alles sitzt, das dauert schon Wochen und Monate.
Was machen sie, wenn sie sich nicht mit Musik beschäftigt?
Ich habe immer Musik im Ohr, das geht gar nicht anders. Aber ich male auch gerne und im September werde ich klassische Massage in einem Intensiv-Kurs erlernen; eine Thai-Massageausbildung konnte ich bereits absolvieren und massiere nun meine Freunde. Beim Schubert-Wettbewerb im November werde ich erstmals in der Jury sein und das ist eine neue, sehr interessante Erfahrung. Wir haben einen Garten in der Nähe von Steyr und ich koche leidenschaftlich. Anmerkung: Frau Gritskova hat ihre Interviewpartnerin mit einer selbstgemachten Dirndlkirsche-Marmelade überrascht, die köstlich schmeckt!
Sie sind im heurigen Sommer auch als Adalgisa im Stiftshof Klosterneuburg zu erleben gewesen. Wo sehen sie die größten Unterschiede zwischen dieser Rolle und z.B. einer Dorabella?
Dorabella ist sehr oberflächig, da ist die junge Priesterin aus „Norma“ das absolute Gegenteil. Mich erinnert diese Ernsthaftigkeit, diese edle Treue – natürlich in einer anderen Geschichte und in einer anderen Zeit – mit Tatjana aus „Eugen Onegin“. Ob Dorabella am Anfang noch treu bleiben will? Ich glaube nicht, sie ist einfach noch zu jung und es ist wohl keine echte Liebe zu Ferrando. Fiordiligi ist viel konsequenter und stärker und Jennifer hat das in Lech wunderbar vermitteln können.
Ist es eine große Herausforderung, im Freien aufzutreten wie z.B. in Klosterneuburg? Hat man da Angst, wie die Akustik in so einem großen Innenhof wirkt?
Die Akustik war sensationell und ich war sehr froh, dass wir ohne Mikrophone singen konnten; auch gefällt mir die Atmosphäre im Stiftshof sehr gut. Natürlich ist man wetter- und windabhängig, aber für mich ist es ein besonderes Gefühl, dort zu singen, weil es so lebendig ist. Karina Flores (Norma) mochte die enorme Hitze, sie braucht es warm und trug oft einen Winterhut gegen Verkühlung. Wenn ich enthusiastisch bin, brauche ich hingegen nichts zum Wärmen. Für uns alle war es jedoch stets schwierig, wenn wir sahen, dass Gäste aufgrund der hohen Temperaturen mit der Rettung weggebracht werden mussten.
Gibt es mehr Vorteile als Ensemblemitglied oder als freischaffende Künstlerin?
Das ist schwer zu sagen. Meine 8 Jahre als fixes Mitglied an der Wr. Staatsoper waren etwas ganz Besonderes und eine wunderschöne Zeit mit einzigartigen Erinnerungen liegen hinter mir. Eine feste Organisation ist sehr gut, aber man muss im Ensemble auch sehr flexibel sein. Corona hat viel verändert und auch Gastverträge sind für mich nun sehr interessant und ich kann mich auf Konzerte, CD-Aufnahmen und andere Projekte konzentrieren – ich schaue, was kommt und freue mich darauf.
Wie schnell gelingt es ihnen, wieder aus den Rollen, die sie auf der Bühne darstellen, ins reale Leben zurückzufinden? Reicht es, das Kostüm auszuziehen und sich abzuschminken?
Nein, leider nicht. Ich bin so leidenschaftlich mit den Frauenfiguren verbunden und denke noch lange über die Vorstellungen nach. Gerne würde ich schnell Distanz finden, aber ich denke immer noch viel nach, welche Fehler mir passieren sind oder wo ich noch besser sein könnte. Zum Glück kann ich inzwischen auch genießen, wenn vieles gut geglückt ist und mir selbst verzeihen. Ich vertraue auch meiner Intuition, spüre viel positive Energie des Publikums und das hilft mir auch sehr.
Wie reagieren sie auf ein unaufmerksames Publikum oder auf Störungen wie ein läutendes Mobiltelefon?
Ich bin immer sehr konzentriert und bei Kleinigkeiten lasse ich mich gar nicht stören. Ganz anders reagiere ich, wenn ich im Publikum sitze – da können Lärm und andere Störungen sehr ärgerlich für mich werden.
Gibt es für sie Vorbilder?
Vorbilder kommen und gehen, aber die Callas war sicherlich eine der Größten – vor allem im Ausdruck. Garanča besticht durch ihre Intelligenz und ich habe noch ihren Sesto in guter Erinnerung. Auch die Bartoli ist noch immer fantastisch – auch darstellerisch.
Am Interview in Wien hat ein weiteres ehemaliges Ensemblemitglied der Wiener Staatoper teilgenommen: Miriam Albano, die mit Margarita zusammen u.a. bei „La clemenza di Tito“ im März 2016 im Haus am Ring aufgetreten ist. Die Mezzosopranistin von einst ist ins Sopranfach gewechselt und spricht in höchsten Tönen von der Zusammenarbeit mit Margarita Gritskova. Sie lobt die ehrlichen Gespräche über technische Passagen und der Bereicherung, sich im ähnlichen Fach offen austauschen zu können. Miriams nächstes Projekt wird im September unter Marc Minkowski eine konzertante Aufführung als Despina in Paris sein – womit sich der Kreis um die Lecher „Cosi“ schließt.
Liebe Margarita! Ich habe mich sehr über das persönliche Kennenlernen gefreut und vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben – auch im Namen des NEUEN MERKER. Herzlichen Dank für die köstliche selbstgemachte Marmelade und für Ihre private und berufliche Ziele wünsche ich Ihnen nur das BESTE!
Susanne Lukas, 25. 8. 2024