Marco Armiliato: Ich liebe Wien und die Staatsoper, und ich möchte jeden Abend mein Bestes geben!
Zur Staatsopern-Premiere „Il Trovatore“ von Giuseppe Verdi
(Januar 2017 / Renate Publig)
Marco Armiliato © Wiener Staatsoper
Seit 1996 steht Marco Armiliato regelmäßig am Dirigentenpult der Wiener Staatsoper – 227 Aufführungen von 29 verschiedenen Opern waren es, die er bis Ende Januar 2017 leitete. Am 5. Februar fügt er ein weiteres Werk seiner „Wiener“ Liste hinzu, wenn er die Premiere von Giuseppe Verdis Il Trovatore dirigiert, ein Werk, das 17 Jahre nicht mehr auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper stand. Il Trovatore wird nun in einer neuen Inszenierung von Daniele Abbado zu sehen und zu hören sein.
Maestro Armiliato, Sie sind mittlerweile Wahlwiener– herzlich willkommen! Was macht Wien für Sie so speziell?
Vielen Dank, ich bin wirklich sehr froh darüber, dass ich eine Wohnung gefunden habe, ich liebe diese Stadt!
Ich bin mit ganzem Herzen Musiker, und Wien ist die Stadt der Musik! Die Kultur, die Kunst, auch mag ich die Bevölkerung, weil die Menschen in Wien schätzen, was wir Künstler machen. Sie sind sehr respektvoll.
Wie viel Zeit verbringen Sie in Wien?
So viel wie möglich! Ich bin natürlich oft auf Tournee, aber wann immer es sich ausgeht, bin ich hier in meiner neuen Wohnung.
Am 5. Februar dirigieren Sie die Premiere von Il Trovatore, nur einen Tag danach Otello, direkt hintereinander zwei „Schwergewichte“ der Opernliteratur. Nicht, dass es für einen Dirigenten „leichte“ Opern gäbe, aber die diese beiden Werke sind schon aufgrund ihrer Länge sowohl geistig als auch körperlich besonders anstrengend?
Es gibt tatsächlich keine leichten Opern, denn Il Barbier oder L‘Elisir d’amore mögen für das Publikum entspannend zum Anhören sein, von einem Dirigenten erfordern diese Werke die gleiche Konzentration. Natürlich sind sowohl Trovatore als auch Otello besondere Herausforderungen, aber … während meiner ganzen Laufbahn sieht mein Terminplan schon vergleichbar aus, man gewöhnt sich daran!
Wie schaffen Sie es, für derartige Herausforderungen fit zu bleiben?
Der Schlüssel liegt in meiner Herangehensweise: Würde ich Il Trovatore im Gedanken beginnen, dass morgen Otello am Plan steht, würde ich wahrscheinlich davonlaufen! Ich widme mich jedoch meinen Aufgaben einen Tag nach dem anderen. Wenn ich dirigiere, denke ich nicht an die Zukunft, sondern fokussiere mich auf den Moment, achte sehr sorgsam auf den Augenblick und koste jede Sekunde aus. Was am nächsten Tag stattfinden wird, darum kümmere ich mich am nächsten Tag. Letzten Monat in den USA hatte ich 22 Aufführungen in 26 Tagen, drei verschieden Opern. Doch fühle ich mich sehr wohl damit und bin ich mit meiner Philosophie, einen Tag nach dem anderen im Fokus zu haben, sehr gut durchgekommen. Dirigieren ist mein Leben, es schenkt mir wesentlich mehr Energie, als es mich kostet.
Für diese Neuproduktion wünschten Sie sich eine attraktive Inszenierung mit einem schönen Bühnenbild. Ging Ihr Wunsch in Erfüllung?
Absolut, die Produktion ist sehr klassisch. Die Bühnendecke besteht aus einem Bogen, was die Stimmen der Sänger sehr schont. Der Klang ist wesentlich kompakter und kann sich viel besser entfalten, es klingt natürlicher. Eigentlich sollte es immer so sein! Daniele Abbado leistet eine hervorragende Arbeit.
Ist dies die erste Gemeinschaftsproduktion?
Ich leitete die Wiederaufnahme von Don Carlo, habe also eine Inszenierung von ihm dirigiert, doch dies ist unsere erste Zusammenarbeit an einer Neuproduktion.. Daniele ist einer der angenehmsten Regisseure, seine Kreationen sind so wunderbar durchdacht – man merkt, wie fundiert seine Kenntnisse über Oper generell und über dieses Werk im besonderen sind. Er geht sehr sorgsam mit den Sängern um, die Proben verlaufen harmonisch.
Wie viel Mitspracherecht wird Ihnen bei einer Neuinszenierung gewährt?
Das hängt sehr stark von den Regisseuren ab, wie kooperativ und offen sie für andere Meinungen sind. Manchmal kommen Regisseure mit den verrückesten Ideen, die schlicht gegen den Sinn eines Stückes sind. Bei Il Trovatore wäre es widersinnig, das Stück auf dem Mars anzusiedeln, die Handlung ist kompliziert genug, wenn man sie „richtig“ präsentiert! Doch diese Sorgen muss man sich glücklicherweise bei Daniele Abbado nicht machen. Er hat eine Inszenierung mit klaren Strukturen entwickelt, die genügend Raum lässt, um den Fokus auf die psychologischen Kontroversen und Verstrickungen der vier Protagonisten zu lenken. Dem Publikum wird die Inszenierung ganz sicher gefallen!
Enrico Caruso meinte einst, es gäbe ein ganz einfaches Rezept für eine erfolgreiche Aufführung von Il Trovatore: Man benötige nur die besten SängerInnen der Welt in ihrem Fach!
Mit Anna Netrebko, Roberto Alagna, Luciana D’Intino und Ludovic Tézier steht mir eine Traumbesetzung zur Verfügung, was mir meine Arbeit ungemein erleichtert. Und es sind nicht nur hervorragende Sänger, sondern darüber hinaus unglaubliche Schauspieler, die sich ihren Partien mit großer Leidenschaft und Hingabe widmen. Und mit Jongmin Park, der den Ferrando verkörpert, haben wir den fünften erstklassigen Sänger, da kann man von einem beeindruckenden Endergebnis ausgehen! Ein derart ausgewogenes Ensemble für Trovatore zu finden ist eine Herausforderung. Das gleiche gilt für Ernani, eine Oper, die ebenfalls unglaublich schwierig zu besetzen ist. Man braucht vier außergewöhnliche Stimmen, ansonsten lässt man lieber die Finger von diesem Werk.
Es reicht ja leider nicht, „nur“ Spitzensänger zu besetzen, das Zusammenspiel ist gerade bei diesen Werken essentiell.
Das wäre tatsächlich bei so einem hochdramatischen Werk fatal, es lediglich auf die schöne Musik zu reduzieren, wenn zwischen den Akteuren keine Funken sprühen! Doch diese Gefahr besteht bei dieser Besetzung zum Glück nicht.
Ich gehe davon aus, dass Sie über die Besetzung einer Neuproduktion bereits im Vorfeld informiert sind. Beeinflusst es Ihre Interpretation, wer Ihre Sänger sind?
Stimmen sind für mich die perfekten Instrumente im Orchester, das Wichtigste an Oper überhaupt. Ich habe dieses Werk sehr oft dirigiert, und auch diese Künstler haben ihre Partien in vielen verschiedenen Produktionen gesungen. Dennoch entsteht jeden Abend etwas Neues. Weil die Stimmung jeden Abend unterschiedlich ist!
Trovatore ist eine hochkomplexe, dramatische, grausame Geschichte. Wie würden Sie die „menschlichen“ Qualitäten der vier Hauptpartien beschreiben? Verdis große Stärke besteht unter anderem ja darin, dass seine Protagonisten äußerst vielschichtig sind!
Diesen Facettenreichtum findet man tatsächlich in nahezu allen großen Verdipartien. Violetta in La Traviata kann man beispielsweise unter verschiedenen Aspekten betrachten, diese Oper lässt viele unterschiedliche Deutungen zu. Ebenso Simon Boccanegra mit der komplizierten Geschichte um Maria / Amelia. Welche Figur weiß über welchen Dinge Bescheid, was bleibt ihr verborgen? Diese Geheimnisse machen die Geschichte noch verzwickter. Das gleiche gilt für Il Trovatore. Wenn wir Azucena hernehmen … wer ist sie wirklich? Der innere Konflikt ihrer Partie ist höchst intensiv und spannungsgeladen, ihre Verbindung zu Manrico und die daraus resultierenden Aktionen sind richtig verrückt. Man könnte es sich einfach machen und ihre Figur eben als verrückt darstellen – doch das wäre lediglich eine Facette und würde dieser Partie nicht gerecht werden! Denn der Text, den Azucena zu singen hat, zeigt einen enormen Tiefgang. Jedes einzelne ihrer Worte hat eine Bedeutung. Glücklicherweise haben wir mit Luciana D’Intino eine italienische Sängerin, der der Umgang mit Worten ein großes Anliegen ist. Sie arbeitet derartige Feinheiten heraus, so eine tiefschürfende Darbietung habe ich mir stets gewünscht. Auch Anna Netrebko legt großen Wert darauf, was sie mit ihrem Text ausdrückt. Leonora ist einerseits dieses engelhafte Wesen, und zur gleichen Zeit eine starke Persönlichkeit. Anna bringt diese beiden Aspekte so wunderbar auf die Bühne, jedes kleinste Detail stimmt bei ihr. Meiner Meinung nach ist sie eine der besten Leonoren.
Und natürlich spürt man auch bei Ludovic Tézier und Roberto Alagna das italienische „Blut“; Roberto ist tatsächlich zur Hälfte Italiener, und Ludovic stammt aus Marseille, sehr nahe der italienischen Küste. Er ist ein sehr intelligenter Sänger mit hoher Kultur.
Die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Handlung stellt man sich bei vielen Opern besser nicht, und letztlich geht es auch nicht darum, wie realistisch eine Geschichte ist, sondern um die Kunst, wie die Geschichte vertont wurde. Doch bei Il Trovatore erstaunt es, dass man oft vergisst, darüber nachzudenken, wie glaubwürdig der Inhalt ist.
Oft besteht der Inhalt aus reinen Fantasiegespinsten, und bei manchen Opern genießt man die Musik, aber über den Inhalt denkt man lieber nicht nach. Doch bei Trovatore akzeptiert man, dass einige Dinge „etwas“ überzeichnet sind, weil es so perfekt in Szene gesetzt ist. Diese krassen Darstellungen finden sich in der Orchesterpartitur wieder: Viele Chorus-Passagen sind im dreifachen Fortissimo notiert, im nächsten Takt folgt ein dreifaches Pianissimo. Die Stille nach dem Feuer – und durch die vielen Rhythmuswechsel erlebt man ein Wechselbad der Gefühle, was es auch für das Orchester so spannend macht. Die Musiker lieben es, diese hochemotionale, intensive Musik aufzuführen!
Das klingt vielversprechend! Dürfen Sie uns verraten, ob es hier an der Staatsoper für Sie Pläne für weitere Neuproduktionen in den kommenden Saisonen gibt?
Ich werde viele Repertoirestücke wie Tosca, Traviata etc. dirigieren. Darüber hinaus wird es eine Neuproduktion geben, über die ich mich jetzt schon sehr freue: Wir werden Samson und Delilah neu inszenieren! Leider wird dieses Werk viel zu selten gespielt – was ebenfalls daran liegt, dass diese Oper schwierig zu besetzen ist. Dieser Plan ist für mich wie ein Geschenk.
Doch andererseits empfinde ich jeden Abend, den ich hier am Podium stehen darf, als Geschenk, weil das Publikum so fantastisch ist, und ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich vom Orchester und den Sängern und dem ganzen Team begeistert bin. Ich möchte wirklich jeden Abend mein Bestes geben!
Wir wünschen Ihnen für die Premiere viel Erfolg und ein herzliches In bocca al lupo!
Renate Publig