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MANRICO PADOVANI (Geiger): Ich freue mich auf alles! Gespräch anlässlich seiner neuen Beethoven-CD

02.06.2021 | Instrumentalsolisten

Ich freue mich auf alles!

 Ein Gespräch mit dem schweizerischen Geiger Manrico Padovani anlässlich seiner neuen Beethoven-CD

 Mai 2021 (Stefan Pieper)

Manrico Padovani's Web Page
Copyright: manricopadovani.com

 Der Geiger Manrico Padovani hat soeben eine temperamentvolle CD-Einspielung mit Beethovens D-Dur-Klavierkonzert, der Romanze F-Dur und der Sonate für Violine und Klavier D-Dur vorgelegt. Für den sinfonischen Teil standen ihm mit den Prager Philharmonikern und dem Russischen Philharmonischen Orchester gleich zwei hochmotivierte Klangkörper zur Verfügung. Die eingespielte Musik wirkt so schwungvoll und frisch, ebenso wie der in der Schweiz geborene Sohn italienischer Eltern mit Optimismus in die nahe Zukunft blickt. Vor allem freut er sich darauf, hoffentlich bald wieder vor echtem Publikum musizieren zu können.

 

Herr Padovani, Sie haben Spaß an virtuosen Herausforderungen. Manche Geiger sagen, dass Paganini schwieriger klingt als er zu spielen ist – verglichen mit anderen Komponisten?

Nennen Sie mir doch mal im Gegenzug ein Werk, dass sich nicht so schwierig anhört aber schwieriger als Paganini zu spielen ist.

 

Ich sehe das im Fall von Paganini nicht ganz so. Vor allem heute, im Vergleich zu vor 50 Jahren, ist die Erwartung auf technische Perfektion dermassen gestiegen, dass diese Perfektion bei Paganini, vor allem live, heute fast nicht mehr erreichbar ist. Generell verhält es sich so: Wenn ein Violinist das virtuose Repertoire beherrscht, unterschätzt er oft die grossen, klassischen Werke wie Beethoven, Mozart und vielleicht noch mehr Schubert. Und genau da scheitert er oft.

Was kann eine Stradivari, was ein anderes Instrument nicht kann?

 

Ich denke, man dürfte es anders formulieren: Was kann ein Spieler auf einer Stradivari, das er auf einem anderen Instrument nicht kann?

In der Theorie sollte eigentlich kein Unterschied sein. In der Tat, wenn eine Stradivari klanglich perfekt eingerichtet ist, kann man plötzlich neue unerwartete Klangfarben finden, die den Spieler selbst überraschen. Das inspiriert und treibt den Performer sehr oft und unerwartet zu einer neuen Interpretation und auch zur Hochleistung. Und auch ohne neue Klangfarben ist schon die Tatsache von großer emotionalen Bedeutung, dass man auf einer originalen Stradivari mit ihrer ganzen Geschichte musizieren darf.

Wie verhält es sich bei Beethoven? Was sind die technischen und
gestalterischen Herausforderungen? Welche Prioritäten haben Sie gesetzt?

 

Beethoven ist bekanntlich sehr heikel zu spielen. In seinen Werken ändert sich die musikalische Situation sehr oft innerhalb weniger Noten. Seine grossen Crescendi direkt nach einem „pianissimo“ kommen auch sehr häufig vor. Technisch sucht Beethoven genauso oft neue Klänge und technische Möglichkeiten  und landet sehr oft im obersten Register des Instrumentes und vieles mehr. Alle diese Eigenschaften müssen auf der Bühne problemlos gemeistert werden. Und das ist immer eine grosse Herausforderung.

Das Beethoven-Violinkonzert ist, anders als oft bei Beethoven, nicht sehr dramatisch. Die Dramatik ist durch eine innige und tiefe Gelassenheit, Süße und Tiefsinnigkeit ersetzt. Beethoven, das Genie in Sachen heftiger, zerreißender und überraschender Durchführungen, zieht unerwartet im Mittelteil des ersten Satzes ein ätherisches Cantabile in g-Moll vor, was einen Hauch von Ewigkeit vermittelt.  Eine himmlische Ruhe stellt sich ein, die wir übrigens auch im wunderbaren Larghetto finden. Dennoch möchte ich im ersten Satz auch die kleine chromatische Solokadenz von acht Takten erwähnen, die den Mittelteil beendet und die vom Solisten in Triolen und im Pianissimo gespielt wird.

Ein Pianissimo durch 7 Takte, das sich in der Spanne von einem Takt von einem hauchdünnen pianissimo zu einem Fortissimo plötzlich steigert, um zur Reprise des Satzes durch das Orchester, ebenfalls in Fortissimo, zu führen. Dies ist ein unglaublicher und atemberaubender Moment.

Die grosse Herausforderung dieses Konzertes liegt eben darin, dass man die absolute Kontrolle nie verlieren darf. Und das schon vom allerersten Einsatz an, wo die Solovioline, absolut allein bleibt, in einer Reihe von heiklen Oktaven und danach Tonleitern von untersten bis zum obersten Register, was auch die erfahrensten Solisten schreckt. In diesem Konzert sind vor allem Ausdruck und Gesang gefragt, sehr oft im obersten Register.  Was aber nicht heißt, dass keine brillanten Momente, vor allem im dritten Satz, zu finden sind. Meine wichtigsten Prioritäten sind auf jeden Fall die Intonation, die klangliche Ausstrahlung vor allem in den tiefsinnigen Momenten, aber auch die Intensität vom inneren Credo und dem Farbenreichtum. Am wichtigsten ist, das dies alles ganz authentisch wirkt.

 

Mich fasziniert im Besonderen das Thema im Ersten Satz im Violinkonzert
D-Dur. Was passiert aus Ihrer Sicht? Mich fasziniert diese chromatische
Figur, die mehrmals auftaucht. Was bedeutet Ihnen Beethovens Lust an der
Regelübertretung?

 

Beethoven hatte bekanntlich ein wenig Mühe, Themen zu finden, die für ihn befriedigend waren. Sehr oft suchte er lange, bis ein Thema endgültig war. Wenn das Thema endlich da war, hat er mit Variationen und Bearbeitungen unglaubliches daraus gemacht. Sein Hauptthema im Violinkonzert ist wunderbar. Und mir gefällt besonders der Teil, wo das Thema in Moll vom Orchester gespielt wird, während die Solostimme das Geschehen in Triolen begleitet.

 

Beethovens Lust an Regelübertretungen fasziniert nicht nur, sondern hat auch richtig für musikalischen Fortschritt gesorgt. Wie gesagt, ein Violinkonzert hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch nie mit einer Kadenz begonnen. Diese brillante Idee verwendete er, wenn auch ein wenig in einer kleineren Form, auch im vierten und fünften Klavierkonzert.

Oder wie bei der Neunten Sinfonie, wo plötzlich im vierten Satz ein gesamter Chor und vier Gesangssolisten im Einsatz kommen, die bis zu diesem Zeitpunkt nur als Zuhörer auf der Bühne sitzen.

Das sind überraschende Neuheiten. Aber auch im technischen und im dynamischen Bereich wagt Beethoven immer viel. Im letzten Satz der Kreutzer-Violinsonate schreibt er so viele Sforzandi, dass man sich als Zuhörer fragt, ob es wirklich so gemeint ist.

Was kann Beethoven den Menschen heute sagen? Woran sollte appelliert
werden mit Musik?

 

Das größte Gefühl, was Beethoven mitteilt,  ist bekanntlich Brüderschaft und Liebe unter den Völkern.

Aber in seiner Musik können wir alles finden: Leidenschaft, Liebe, Religion, Melancholie, Mystik, Traurigkeit, Gewalt, viele Kontraste, Fragmente, Aggressivität, Spaß. Es ist nur wenigen gegeben, so viele Stimmungen überzeugend zu kreieren.


Was schätzen Sie an den beiden Orchestern, mit denen Sie aufgenommen haben?

 

Im musikalischen Bereich fand ich das Niveau beider Orchester sehr hoch. Und beide waren sehr flexibel! Ich habe meine Ideen richtig umsetzen können, auch dank der Unterstützung des Schweizer Dirigenten Boris Perrenoud, mit dem ich schon an mehreren Projekten (Violinkonzerte von Brahms, Prokofjew, Beethoven und Paganini 1 und 2) gearbeitet habe.

Was kann eine Live-Aufnahme mehr als eine Studioaufnahme? Erzählen Sie
mir über Igor longato?

 

Die Spontaneität einer Live Aufnahme kann man im Studio nicht nachmachen. Ungewiss bleibt bei Live-Auftritten der Aspekt der Technik und Präzision. Live kann schon einiges schiefgehen.

Igor Longato, den italienischen Pianisten und Dirigenten, schätze ich als einen wunderbaren Klavierpartner, auf den ich mich musikalisch und technisch auch bei unerwarteten Situationen verlassen kann. Vor allem dank seinem Temperament und seiner mentalen Geschwindigkeit. Wenn wir uns aber nicht einig sind, kann es schnell zu Reibungen kommen. Zum Glück war dies bei Beethoven nur wenig der Fall.

Wie ist die Situation für die Kultur in der Schweiz aktuell?

 

In der Zeit des ersten Lockdowns war die Situation in der Schweiz mit der in den Ländern natürlich sehr ähnlich. Zum Glück kamen die sogenannten „Lockerungen“ hierzulande wesentlich früher als zum Beispiel in Deutschland oder Österreich. Das ist einerseits von den benachbarten Ländern als „etwas zu mutig“ bezeichnet worden – auf der anderen Seite hat es zum Glück für mehr Möglichkeiten in der Musikszene gesorgt. Jedenfalls ist es eine sehr schwierige Zeit für die internationale Bühnenkunst im Allgemeinen.

 

Sie haben ja viele spannende Projekte überall. Was hat Ihnen in der
letzten Zeit am meisten bedeutet?

 

In der Covid-Zeit fand ich das Online-Auftreten sehr merkwürdig und dennoch höchst interessant. Wir hatten Live-Projekte mit USA und Asien, mit unangenehmen Zeitverschiebungen und mit der ganzen Problematik der digitalen Technik, was mit Klangqualität und Synchronisation zu tun hatte. Aber man konnte richtig viel daraus lernen. Ein anderes wichtiges Projekt war das Musizieren für einen Song über Flüchtlinge für Interlife Onlus, das ist eine italienische humanitäre Organisation, die sich für die Sensibilisierung zu diesem Thema sehr bemüht. Ich habe meine Violinstimme selber geschrieben und in den tiefsinnigen Song hineingebaut. Das Resultat fand ich sehr berührend.

 

 

Erzählen Sie etwas über Ihre Zusammenarbeit mit Anne-Sophie Mutter. Haben
sie sich auch über kulturpolitische Dinge unterhalten? Sie hat sich ja sehr für die Situation der Kultur in Pandemie Zeiten stark gemacht. Stimmen Sie damit überein?

Die Zusammenarbeit mit Anne-Sophie Mutter und mit den Teilnehmern der Europa Tournée war sehr motivierend und auch sehr spielerisch und lustig. Dank Frau Mutter sind wir ausschließlich in den größten und wunderbarsten Konzertsälen aufgetreten (wie Musikverein Wien, Kölner Philharmonie etc). Es war kurios zu merken, wie dank der lockeren Stimmung der Teilnehmer, das Lampenfieber schnell verschwand und man sich nur auf die Werke freuen konnte.

 

Anne-Sophie Mutters Einsatz für die Kultur und für die Künstler war natürlich sehr wichtig und richtig passend. Leider konnte auch sie nicht viel bewirken, aber ihre Stimme für die Kultur war sicherlich sehr wichtig.  Die Pandemie hat sehr sehr viel Leid mit sich gebracht. Doch in der Tat: Menschen mussten beweglicher werden und ihr Denken aus eingefahrenen Bahnen lösen. Viele Menschen haben dadurch sehr viel gelernt. 

 

Worauf freuen Sie sich in naher Zukunft?

 

Natürlich freue ich mich riesig auf normale Auftritte, wo die Publikumsenergie ein wichtiger Teil der Show ist. Und ich habe noch weitere CD-Produktionen in Planung – darunter die 24 Capricen von Paganini, die großen Werke für Violine und Klavier von Franz Schubert und Live-Mitschnitte von Aufritten mit Violinkonzerten von Prokofjew, Spohr, und sogar das Streichquartett in e-Moll von Giuseppe Verdi. Ferner bin ich momentan auch an der Arbeit für die Publikation meines ersten Buches, welches die klassische Musik Menschen nahebringen soll, die bislang noch keinen Zugang zu ihr hatten. 


Wie läuft es gerade bei Ihnen? Können Sie wieder Konzerte spielen?
Worauf freuen Sie sich am meisten? 

 

Tatsächlich kommen mit der „frischen Luft“ auch neue spannende Projekte hinzu – zusätzlich zu den Konzerten, die wegen der Pandemie verschoben worden sind. Ich freue mich auf den Austausch mit den anderen Musikern, auf das Reisen in bekannte und neue Länder, auf die vielen Begegnungen – in und außerhalb der Musikwelt. Allgemein: Ich freue mich auf alles!

 CD:

Manrico Padovani: Beethoven Works for Violin
Prague Philharmonic
Boris Perrenoud

 

 

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