Mannheim / Rosengarten: „VERDI: REQIEM“ – 09.07.2024
Beim 8. Akademie-Konzert und Saisonabschluss der Musikalischen Akademie des Nationaltheater Orchesters im Mozartsaal des Rosengartens stand Giuseppe Verdis grandioses Meisterwerk „Messa da Requiem“ auf dem Programm. Das wohl bedeutendste Sakral-Werk des 19. Jahrhunderts nannte dereinst Hans von Bülow „eine Oper im Priestergewand“. Es ist häufig darüber gestritten und diskutiert worden, ob nun dieses Opus wirklich ein sakrales, eine larvierte Oper oder eine geistliche Oper sei. Je nach Temperament und nationaler Identität fallen die Antworten der Dirigenten höchst verschieden aus.
In der heutigen Interpretation durch GMD Roberto Rizzi Brignoli schien sich die Streitfrage eindeutig zu erübrigen, denn der gebürtige Italiener schien es angesichts der monumentalen Wucht des Dies irae oder dem furchterregenden Rex tremendae – Salve me als zweiten „Otello“ aufzufassen (?) und ließ keinen Zweifel daran das Werk als religiöses Drama zu inszenieren, so erschien es jedenfalls mir persönlich, nach unzähligen bisher live erlebten Deutungen. In prächtiger Formation näherten sich der Opern- und Extrachor des NTM sowie das vortrefflich disponierte NTM-Orchester dem Heiligtum der romantischen, italienischen Sakralmusik. Prägnant, agil, in prächtiger Klangfülle, nuancierter Balance und Stimmqualität fügten sich die von Alistair Lilley einstudierten Chöre ins Geschehen. Brignoli zeichnete mit seinem Instrumentarium ein opulent-akustisches Klanggemälde von bewundernswerter Brillanz, auftrumpfender Dynamik, kantilenenseligen Lyrismen und wählte maßvolle Tempi. Großartig präsentierten sich die Blechfraktionen in nachhaltiger Akkuratesse.
Nach einem schier unhörbaren Beginn führte sich das Solisten-Quartett in Kyrie eleison mit Nachdruck ein, der schon als Attacke auf die Sinne der Zuhörer verstanden werden konnte. Julia Fayenbogen, Mannheims phänomenale Kundry etc., erwies sich erneut als individuelle Künstlerin von hohem Rang, ließ ihren herrlich timbrierten Mezzosopran in musikalischer Phrasierungskunst in fulminanter Ausdruckskraft erblühen. Betörend erklangen die samtige Mittellage, die klaren Höhenaufschwünge sowie die weichen gezügelten Piani. Beim Agnus dei mit der Sopranistin wähnte ich, zwei Seraphen seien vom Himmel herab gestiegen.
Unser neues Ensemblemitglied Zsuzsanna Ádám kränkelte erneut oder warf gar das Handtuch? Aus London wurde Anush Hovhannisyan eingeflogen, die armenische Sopranistin verfügte zwar nicht über ein besonders großes Volumen, doch verstand es die sehr engagierte großartige Sängerin mit klarem, schön timbriertem Material und betörenden Piani zu bezaubern. Zum Niederknien gerieten die Soli, Duette und Ensembles.
Draußen herrschten tropische Temperaturen, im Saal dagegen geriet man ins Frösteln. Sängerkehlen reagieren darauf oft kalkulatorisch. Noch vor knapp zehn Jahren erlebten wir Martin Muehle als sehr beliebten Spintotenor am NTM, heute übernahm der kürzlich in Wiesbaden frenetisch gefeierte Otello den Tenorpart und ließ sich wegen Indisposition entschuldigen. Muehle pflegte bis dato vorbildlich italienischen Becanto, phrasierte wunderbar auf Atem, idiomatisch den Körperklang des Timbres nutzend, schenkte dem Arioso Ingemisco tamquam reus strahlenden Höhenglanz, dass so mancher Ton forciert erklang, tut der Gesamtleistung überhaupt keinen Abbruch.
Den ruhenden Pol im Quartett bildete Sung Ha ließ seinen pastosen Bass ebenmäßig , kündete in enormer Geschmeidigkeit von Schreckensvisionen des Dies irae und leitete vehement ins Confutatis maledictis über.
Ohne Besinnungsmomente entlud sich die langanhaltende, lautstarke Begeisterung des Publikums für alle Beteiligten.
Gerhard Hoffmann