Mannheim / Rosengarten: „TSCHAIKOWSKY-NACHT“ – 04.12.²017. Ein Abend kontroverser Überraschungen…
Zum Konzert mit ausschließlich Kompositionen aus der Feder Peter Iljitsch Tschaikowskys hatte Pro Arte die Russische Staatskapelle Moskau geladen. Im Mittelpunkt des Programmablaufes stand der serbische Geiger und Echo-Preisträger Nemanja Radulovic.
Der smarte temperamentvolle Solist offerierte eines der schönsten Exponate für dieses Instrument das „Violinkonzert“ des russischen Meisterkomponisten. Nun eilt dem Virtuosen der Ruf voraus, dass er bei der Suche nach äußerstem Ausdruck schier vor nichts zurückschreckt. Der Auftritt zur exzentrischen Aura Radulovics gestiefelt mit unbändiger Löwenmähne brachte die Damenwelt besonders reiferen Semesters in verzückte Rage. In bewundernswert-extrovertierter Virtuosität ging er dem traditionellen Glanzstück der Konzertliteratur zugange, seine Tschaikowsky-Interpretation lebte von der Kunst des Schattierens, vom hellen alles überstrahlenden Geigenton, der individuellen Variation der Allegro moderato Gesangsthemen. Zunächst breit gedehnt von Generalpausen unterbrochen erklang die Kadenz geprägt vom folgenden dynamischen Zugriff.
Seelenvolles Spiel zelebrierte der charismatische Solist zur lyrisch-hingebungsvoll musizierten Canzonetta und versah die schlichte traumhaft schöne Weise des Andante mit zarten Nuancen und leidenschaftlichen Valeurs. Man gewann den Eindruck zwischen Radulovic und der begleitenden Russischen Staatskapelle herrschte während der Tempi kein befriedigendes Einvernehmen. Valerij Polyanski zügelte das präzise aufspielende Orchester während der sensibel innigen Momente zu sehr, dehnte das Instrumentarium schier zum Stillstand und setzte den temperamentvollen Sequenzen eine schier radikale Klangökonomie dagegen.
Superlative Akzente schenkte der Geigen-Künstler dem finalen Allegro, entlockte seinem Instrument feinste Tönungen zu den höllisch schnell gespielten Rhythmen. Bar so viel Expressivität reagierte das (Fach)Publikum begeistert auch zwischen den Sätzen und wurde von Nemanja Radulovic mit der eigenwillig variierten „Caprice No. 24“ (Paganini) bedankt.
Zielstrebig in expansiven Tempi eröffnete der „Krönungsmarsch“ (zur Inthronisation des Zaren Alexander III. komponiert) den kontroversen Abend. Keineswegs aristokratisch mehr in militärischer Manier kam der sechsminütige Marsch mit den Flöten-Trillern, den 1812-Motiven daher und wurde mit verhaltenem Beifall quittiert.
Nun schraubte ich meine Erwartungen einer authentischen Wiedergabe der „Symphonie Pathetique“ allzu hoch und wurde von der Animation des Dirigenten und des merkwürdigen Musizierstils seiner „Kapelle“ gründlich enttäuscht. Wie bereits während des Violinkonzerts blieb der Dirigent seiner gedehnten Version treu und somit erlebte ich die bisher langweiligste Interpretation dieses Werkes. Nach allererstem Konzert in Teenager-Tagen nahm mich dieses musikalisch-biografische Portrait des unglücklichen Tschaikowsky derart gefangen und zählte seitdem zu meinen russischen Symphonie-Favorit. Inzwischen dutzendfach live erlebt, wäre ich am liebsten nach dem ersten Satz zur Garderobe geeilt. Derart zerpflückte Motive der dunklen Streicher, eine so gedehnte Stimmung der Bratschen, Holzbläser und Violinen vernahm ich noch nie, zu viele Generalpausen brachten den Orchesterapparat schier zum Erliegen. Meine Empfindungen und negativen Wahrnehmungen steigerten sich von Satz zu Satz und ich sehnte das Finale herbei. Zur Ehrenrettung seien jedoch die hervorragenden Blechbläser-Fraktionen der russischen Staatskapelle vermerkt, ansonsten empfand ich den wie abgespult wirkenden Ablauf, oft als mulmigen Klangbrei wie unprofessionellen Kommerz. Plätschernder Applaus des Publikums. Ein Konzertmarathon an vier Tagen in vier Städten hintereinander absolviert, hat aus meiner Sichtweise wenig mit künstlerischer Verantwortung zu tun.
Die Zugaben in ebenso wenig qualitativer Wiedergabe der für Orchester arrangierten „Vocalise“ (Rachmaninow) sowie des mehr lärmend denn feinfühlig beschwingt vorgetragenen „Nussknacker-Blumenwalzers“ konnten mich keineswegs versöhnen.
Gerhard Hoffmann