Mannheim / Rosengarten: „DER RING AN EINEM ABEND“ Derniere 25. Juni 2023
In Ermangelung des ausgedünnten Spielplans am Nationaltheater Mannheim gab es im ersten Jahr der Sanierung keinen „Karfreitags-Parsifal“ aus welchen fadenscheinigen Gründen auch immer, griff man erneut zum altbewährten „Ring an einem Abend“ von Richard Wagner zur Textur von Loriot. Vermutlich um zum Einen das großartige Ensemble zu beschäftigen, zum Anderen Mannheims Publikum nicht vollends zu vergraulen, denn DIE waren größtenteils zugegen um Künstler*innen zu feiern und dem großen Meister zu huldigen. Hatte ich während der letzten Saison über die 41. Aufführung berichtet, zog es mich erneut zur vorletzten und heute zur 43. vorerst letzten Vorstellung dieses Events und wurde dafür musikalisch in überreichem Maße belohnt.
Liebevoll, humoristisch verlas Thomas Maria Peters erneut die ironisch-anekdotische Textur, führte charmant durch die Handlung und stark gekürzte Ring-Partitur. Nach dem wogend-grumelnd 136-Takte -Vorspiel zum „Rheingold“ trieben die törichten Rheintöchter Estelle Kruger, Rebecca Blanz, Julia Faylenbogen ihr frivoles Spiel mit Alberich alias Marcel Brunner mit jugendlich, hervorragend disponiertem Bariton gesegnet. Um es vorweg zu nehmen: Es war eine Freude alle Mitwirkenden agieren und in vortrefflichem Spiel erleben zu dürfen. Zu den bedeutungsvollen Worten Wotan, Gemahl erwache leitete Jelena Kordic als Fricka das unvermeidliche göttliche Ehedrama ein. Wie bereits am Abend zuvor überraschte Thomas Jesatko mit großartiger Vokal-Disposition. Ebenso prächtig bei Stimme sang die zynisch-tenoralen Zwischentöne des Loge (Uwe Eikötter). Wären die Rheintöchter Alberich etwas entgegenkommender gewesen, hätte man sich drei weitere zeitraubende Opern ersparen können, so das Loriot-Zitat. Welch furchtbarer Gedanke für uns Wagnerianer! Vortrefflich instrumentiert und wunderbar ausmusiziert geleitete das bestens disponierte Orchester des Nationaltheaters unter Janis Liepins gen Walhall.
Über Jahre hinweg trug Wotans legendäre Potenz überreiche Früchte, schuf sich mit 8 Töchtern eine Amazonenstreitmacht, auch blieb der Gedankenaustausch mit der allwissenden Erda nicht ohne Folgen und sie gebar ihm seine Lieblingstochter Brünnhilde. sowie eine Menschenfrau schenkte ihm als Wälse das Zwillingspaar Sieglinde/Siegmund, deren Schicksal der Gott besonnen lenkte und so seinen Sohn ins Hause Hunding, die Ehefrau fand den Fliehenden am Herd zum Ausspruch Ein fremder Mann, ihn muss ich haben – pardon fragen. Dem heimkehrenden finsteren Gatten verabreichte die Hausfrau einen stärkeren Schlaftrunk und so verschlief dieser eines der schönsten Duette aus der Feder Wagners. Viktorija Kaminskaite hell-strahlender jugendlich-dramatischer Sopran vereinte sich mit Jonathan Stoughtons kraftvoll-strahlkräftigem exquisitem Heldentenor-Timbre und verschenkten zum Entzücken des begeisterten Publikums, Wagner-Wonnen pur.
Doch das Glück der liebenden Geschwister gewährte nur kurz, Frickas Ehrenkodex forderte seinen Tribut, denn der Göttin missfiel was Anderen Spaß machte, so Loriot: Inzest und Ehebruch! Siegmund wurde ihr Opfer und Brünnhilde bereite den Helden auf seinen Gang nach Walhall vor. Daniela Köhler sang in berührender Weise die Todesverkündigung in dualem Einklang und intensiv bewegendem Spiel mit dem Todgeweihten. Zu den bereits genannten Sängerinnen der Rheintöchter sowie Fricka gesellten sich die Damen Frédérique Friess, Marie-Belle Sandis, Shachar Lavi, Maria-Theresa Ullrich zum aufjauchzenden Walkürenritt. In großartiger würdevoller Vokal-Manier nahm Wotan-Jesatko orchestral prächtig umflort, Abschied von seiner Wunschmaid und entließ das Publikum in die Pause.
Brünnhilde lag nun 20 Jahre im Tiefschlaf, Wagner schrieb inzwischen die Meistersinger sowie Tristan und Isolde. Sieglinde fand sich nach Irrwegen in Mimes Schmiede ein, gebar Siegfried mit des Zwerges Hilfe, was allerdings die Wöchnerin nicht überlebte, Siegfried jedoch wuchs und gedieh zum Modellathleten, wie Loriot sinnig bemerkte. Ja und das für wahr denn Jonathan Stoughton verkörperte nun den jungen Helden (so auch in Bern ab 14. April 2024), sang mit Mime-Eikötter den nervigen Dialog, träumte mit tenoralem Edelmetall, herrlichen Piani von der lieben Mutter, erhielt Ratschläge vom instrumentalen Waldvöglein, bot in kerniger Tongebung Großvater Wotan Paroli und fand sich schließlich zu Loriots Anmerkungen: Ein gesunder Eros brach sich seine Bahn, zu Daniela Köhlers höhensicherem Silberglanz-Sopran verlor sich das Paar im Kosmos der alles verzehrenden Töne zum Finalduett. Vom Aufschrei der Begeisterung im Saal quittiert.
Unter Janis Liepins sensibler Stabführung intonierte das herrlich aufspielende NTM-Orchester eine der schönsten Wagner-Intermezzi Morgendämmerung und leitete ins eigentliche Drama des „Götterdämmerung“-Untergangs über. Der finstere Hagen gab den Gibichungen-Geschwistern Gutrune von Viktorija Kaminskaites Sopran anmutig intoniert, sowie Gunther markant von Marcel Brunner verkörpert, fatale Ratschläge. In kernig-sonorer bestens timbrierter Bassmanier profilierte Patrick Zielke den Intriganten, sang einen höchst differenzierten Wachgesang. Vergeblich warnte Waltraude-Sandis vor den verheerenden Folgen des verfluchten Rings. Brünnhilde, heilige Braut innig, bewegend nahm Siegfried-Stoughton Abschied von dieser Welt, mächtig prächtig musiziert erklang der Trauermarsch. Grane mein Ross – sei mir gegrüßt mit diesem alles überstrahlenden Liebesbekenntnis nahm Brünnhilde Abschied vom Geliebten. Überirdisch schön erhob der orchestrale Ausklang.
Dem Ernst der Stunde wehmütig wohl bewusst, dass dies wohl das letzte Wagner-Event der nächsten 14 Monate sein dürfte, feierte das Auditorium alle Mitwirkenden mit langen, lautstarken Ovationen.
Bleiben uns Parsifal etc. nächste Spielzeit in Mannheim verwehrt, sollten sich Wagnerianer organisieren zum Besuch in Wiesbaden (RING, Lohengrin, Tannhäuser), Frankfurt (Tannhäuser), Essen (Tristan) usw. Möge es unseren selbsternannten NTM-Göttern endlich dämmern, sobald sie zu ihren geliebten „Barockoko“-Werken vor halbvollen Sälen spielen.
Fehlt unseren Machern absolut jegliche Phantasie Wagner konzertant, wie während der letzten Sanierung aufzuführen? Gewiss sind die Saalmieten inzwischen horrend gestiegen, dennoch nichts ist unmöglich!
Gerhard Hoffmann