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MANNHEIM: PARSIFAL – bewegende Momente im Zeitfenster. Karfreitagsvorstellung

15.04.2017 | Oper

„Parsifal“ im Nationaltheater Mannheim: BEWEGENDE MOMENTE IM ZEITFENSTER

Parsifal“ von Richard Wagner am 14.4.2017 im Nationaltheater/MANNHEIM


Copyright: Nationaltheater Mannheim

Die Frage, ob man Wagner wirklich versteht, entscheidet sich an „Parsifal“. Es ist ein Werk, das letzte Dinge in besonderer Weise anspricht. Es ist gerade die Zeitlosigkeit, die bei Hans Schülers Inszenierung überzeugt, die seit 60 Jahren auf dem Spielplan des Nationaltheaters Mannheim steht (Bühne: Paul Walter; Kostüme: Gerda Schulte).

Ein durchsichtiger Vorhang gibt im ersten Akt die Bühne frei. Man sieht runde Säulen, die schon fast eine anthroposophische und metaphysische Wirkungskraft besitzen. Die Assoziationen zu Wieland Wagners Neu-Bayreuther Stil sind hier unübersehbar, jeder dekorationsreiche Bühnenrealismus fehlt. Auffallend ist allein die subtile Lichtregie. Der Rundhorizont nimmt das Auge gefangen, handgemalte Projektionen lassen den Wald, die Gralsburg und Klingsors Zaubergarten in einer geradezu sphärenhaft-überirdischen Aura entstehen. Vor allem der zweite Akt mit den Blumenmädchen in Klingsors Zaubergarten ist Hans Schüler ausgezeichnet gelungen. Dabei hat der Chor der Blumenmädchen im Orchestergraben Platz genommen, die Statisterie befindet sich hingegen auf der Bühne. Im Halbkreis stehen die Gralsritter vor dem kranken Gralskönig Amfortas, dessen Wunde sich nicht schließen will. Der Verführungsszene von Parsifal durch Kundry kann Schüler durchaus ein magisch-erotisches Flair abgewinnen, dessen Intensität sich steigert. Im dritten Aufzug dominieren wiederum unheimliche Lichteffekte, die den Blick auf das Allerhöchste, den Gral, unmittelbar freigeben. Auf dem Bühnenvorhang sieht man schemenhafte Gestalten in einem Licht-Zeitfenster, das sich ständig bewegt. Die Wirkungskraft dieser Szene ist gewaltig – vor allem dann, wenn sich die Ritter im Gralstempel versammeln. Amfortas‘ Verzweiflung erreicht die höchste Stufe, in höchster Erregung fordert er den Tod. Parsifal erscheint und verkündet die Sühne seiner Schuld.

Der Speer erhält bei Hans Schüler seine ursprüngliche Wirkung zurück, er ist bei vielen Szenen präsent – auch im zweiten Akt, wenn Klingsors heiliger Speer von Parsifal im Zeichen des Kreuzes aufgefangen wird. Alexander Soddy dirigiert Opernchor und Bewegungschor des Nationaltheaters Mannheim sowie das Nationaltheater-Orchester Mannheim mit ausladenden Tempi, aber nicht so „betonbreit“ wie der unerreichbare Hans Knappertsbusch. Tatsache ist, dass sich der unbeschreibliche Zauber dieser Musik vor allem im dritten Aufzug erst mit einem zeitlupenhaften Tempo entwickeln kann, der alle Sinne erfasst. Die Diatonik der Gralswelt hat Alexander Soddy als Dirigent gleichwohl im Griff, auch wenn manche Details noch präziser sein könnten. Die dämonische Chromatik des Zauberers Klingsor im zweiten Aufzug könnte noch schärfer herausgearbeitet werden, Thomas Jesatko als Klingsor agiert hier zwar nicht mit rabenschwarzem Bass oder der unheimlichen Aura eines Franz Mazura, vermag seiner Rolle aber durchaus starkes Profil zu geben. Gespenstisch wirkt die Gralszene mit Philipp Alexander Mehr als ehemaliger Gralskönig Titurel. Will Hartmann vermag als Parsifal deswegen zu überzeugen, weil er trotz stimmlicher Strahlkraft den inneren Wandlungsprozess des Titelhelden auch gesanglich nachvollziehbar macht. Sehr gut gestaltet auch Thomas Berau als Amfortas seine leidenschaftlichen Klagen. Heike Wessels ist eine gesanglich machtvolle Kundry, die ihren Spitzentönen im zweiten Aufzug die notwendige schneidende Schärfe und das runde Volumen verleiht. Alexander Soddy arbeitet mit dem Nationaltheater-Orchester Mannheim den Zusammenhang zwischen Leitmotiv und musikalischem Satz durchaus plausibel heraus, wobei die thematischen Zusammenhänge nicht verwischt werden. Rhythmische Prägnanz besitzt das Abendmahlsmotiv, schwebende Unbestimmtheit artikuliert sich in den Synkopen. Der Bewegungsimpuls wird bei dieser Interpretation glücklicherweise nie außer Acht gelassen, die Klangaura der Themen kann sich so gut entfalten. Dies gilt auch für die geheimnisvolle Schichtung der klanglichen Phänomene, die mit dem Bühnengeschehen gut korrespondieren. Pulsierende Elemente lösen sich in den Bläserakkorden auf. Gelegentlich wünscht man sich bei dieser Wiedergabe allerdings noch mehr Durchsichtigkeit des Klangbilds – dies würde nämlich noch besser zu Hans Schülers Inszenierung passen, die der Bühne ja hinter durchsichtigen Schleiern einen ungeheuren Raum gibt. Obwohl es sich bei „Parsifal“ ja eigentlich um eine eher statische Partitur handelt, sollte man die suggestiven Effekte nicht vergessen. Das Fließen dieser Musik kommt bei der Mannheimer Aufführung manchmal zu kurz, denn Wagners Musik erinnert zuweilen an ein Meer, dessen Endlosigkeit den Hörer gleichsam bestürzt und fesselt. Grals- und Glaubensmotiv erhalten bei Alexander Soddy durchaus eine klare Bewegungskontur. Der Motivkern setzt hier eine eigenartige Dynamik frei, der den Sängern allerdings entgegenkommt. Dies spürt man auch bei Sung Ha als Gralsritter Gurnemanz. In weiteren Rollen gefallen David Lee als erster und Valentin Anikin als zweiter Gralsritter. Die Knappen Iris Kupke, Julia Faylenbogen, Uwe Eikötter, Pascal Herington zeigen ebenso klare Präsenz wie die opulenten Blumenmädchen Iris Kupke, Estelle Kruger, Iris-Marie Sojer, Nikola Hillebrand, Katharina Göres und Julia Faylenbogen. Als Altstimme aus der Höhe überzeugt zudem Julia Faylenbogen.

Die kreisläufige Abwärtsbewegung des Glaubensmotivs zeigt zu Hans Schülers Inszenierung eine besondere Verbindung auf. Auch die Anklänge zu den „Meistersingern von Nürnberg“ sind bei dieser insgesamt doch gelungenen Wiedergabe unüberhörbar. Die harmonische Spannungskurve verläuft hier auch in Terzen, die die skalenförmige Bewegung vorantreiben. Hans Schülers Inszenierung kommt den Intentionen Wagners stark entgegen. Es ist eine Inszenierung, die auch nach 60 Jahren nichts von ihrer unmittelbaren Magie eingebüßt hat.

Das Publikum reagierte am Karfreitag begeistert.

Alexander Walther

 

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