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Mannheim: „PARSIFAL“. 60 Jahre Parsifal im Nationaltheater – „Zum Raum wird hier die Zeit“

10.04.2017 | Oper

Mannheim: „PARSIFAL“ – 09.04. 2017.  60 Jahre  Parsifal im Nationaltheater  –

                       „Zum Raum wird hier die Zeit“

Will Hartmann-Parsifal Heike Wessels-Kundry (c) H.J. Michel
Will Hartmann (Parsifal), Heike Wessels (Kundry. Copyright: Hans-Jörg Michel

Was den Mannheimer Opernfreunden ganz selbstverständlich erscheint, dass „ihr“ Parsifal das Bühnenweihfestspiel von Richard Wagner ununterbrochen seit sechs Jahrzehnten als Reliquie den Spielplan des Nationaltheaters bereichert, scheint für Auswärtige eine Sensation. Zudem handelt es sich um die weltweit älteste noch gespielte Wagner-Inszenierung. Gingen vor Jahren die Mannheimer zur Absetzung der damals schönsten (von gastierenden Solisten immer wieder bekundet) Inszenierung „Die Meistersinger von Nürnberg“ in tumultuösen Protesten regelrecht auf die Barrikaden, wagte es seitdem kein Intendant das „Heiligtum“ Parsifal auch nur ansatzweise zu denominieren. Weshalb  auch ? Fast jede internationale Opern-Metropole beherbergt einen derartig antiquarischen Thesaurus in der Requisite. Vom Banausentum der letzten Jahre müde, bemühen sich  viele Häuser um die Renovation  sehenswerter  Produktionen von dereinst, welche zur Freude der Besucher ihre wundersame Renaissance erleben.

Gewiss mag  diese Produktion des Jahres 1957 antiquarisch gelten, lässt sie dennoch so manche neuere Inszenierung durch ihre optische zeitlose Frische und Aussage recht blass aussehen und zieht alljährlich pilgernde Opernscharen aus aller Welt unvermindert in ihren Bann. Im Stil Neu-Bayreuths jeden störenden Ballast meidend, in klarer Aussage und Sicht auf das Wesentliche schuf der damalige Intendant und Regisseur Hans Schüler mit weitsichtigem Blick diese zukunftweisende Inszenierung. Paul Walter, ein Schöpfer-Genie unzähliger grandioser Bühnenbilder lieferte die modernen atmosphärischen Entwürfe im fast leeren Bühnenraum. Dia-Projektionen kreiren naturalistische Bilder, die abstrakten Rundbögen mit der grandiosen Tiefendimension des Gralstempels, das Dornengestrüpp im zweiten Akt, Klingsors Zauberreich mit den bühnenbeherrschenden  Blütenkelchen, die stimmungsvolle Aue des dritten Aufzugs im blitzschnellen  Szenenwechsel. Nach wie vor fasziniert zu ich schreite kaum die Bewegung der Bäume (wenn auch noch immer leicht ruckelnd). Öfters erneuert doch nach wie vor wunderschön anzusehen die stilistisch passenden Kostüme von Gerda Schulte sowie die in impressionistische Lichtreflektionen gesetzte Szenerie durch Alfred Pape. Licht und Musik spielen in dieser Inszenierung eine ganz besonders transzendentale Rolle, wie auf einem Gemälde erscheinen die Bilder.

Mit einem Wochenend-Festival und umfangreichem Rahmenprogramm feierte man den „Jubilar“ Parsifal u.a. dem Festvortrag des Kunsttheoretikers Bazon Brock, der festlichen Matinee mit Anekdoten und Gedanken zum Werk.  Intendant Albrecht Puhlmann interviewte Zeitzeugen, die Ehren-Gäste: Franz Mazura, Thomas Jesatko und Waltraud Brunst (Mannheimer Morgen). Eine Installations-Performance  des Video-Künstlers Sven Mundt im Foyer des NTM mit Gabriele Schnaut, Allan Evans, Friedemann Layer u.a. im Gespräch ist kostenlos zugänglich, sowie dem Ballett-Gastspiel der Züricher 3art3 Company mit dem abgewandelten Zitat Zum Fleisch wird hier der Körper.

Gewiss wurden im Laufe der Jahrzehnte  Bühnenteile, Kostüme etc. saniert und so bedurfte es wiederum der Erneuerung des Bühnenhügels. Dank der Spende  des Richard-Wagner-Verbands in Form einer Benefiz-Gala  wurden notwendige  Reparaturen  erfolgreich finanziert.

Monika Kulczinski die Vorsitzende des RWV überreichte Intendant Puhlmann symbolisch eine Stofftasche mit dem Erlös der Benefizgala in der Christuskirche. Staunend raunendes, beifallsfreudiges Publikum würdigte die stolze Summe von 35.000 € zur Parsifal-Renovierung.

Doch sodann öffnete sich der Vorhang zur Jubiläums-Aufführung dieser ehrwürdigen Produktion deren Geburtsstunde ich selbst als blutjunger Opern-Eleve im Jahre 1957 miterleben durfte. Gewiss ich leugne es nicht, war der damalige Teenie in seinem ersten Opernjahr von der musikalischen Wucht Richard Wagners erschlagen ja regelrecht überfordert, doch sollte sich dies schnell ändern, der junge Spund kostete früh von Fafners Blut und verfiel dem Genre des Bayreuther Meisters bis dato mit Haut und Haaren.

Am Pult des hervorragend disponierten und prächtig musizierenden Orchester des Nationaltheaters pflegte GMD Alexander Soddy zunächst langsame Tempi welche er aber auch mit spannungsvollen Steigerungen zu erfüllen wusste. Intensiv zog Soddy eine durchgehende Transparenz der Partitur allen knalligen odervordergründigen Effekten vor. Von Anfang an setzte der umsichtige Dirigent auf ein integriertes Ineinanderfließen der Grundthemen des Werkes. Etwa schon beim Abendmahlmotiv wenn langsamere Themen sich wie eine Ursubstanz bilden, ambivalent außerhalb fühlbarer Zeiterfahrung in Wellen durch die Streicher ziehen, sich in regelmäßigen Triolen die Bläser zum Pathos des Gesamtklangs formieren. Autorität im Überblick doch gemessenen Schritts strukturierte Soddy das Bühnenweihfestspiel in Klarheit und Ruhe. Waren auch im Solisten-Miteinander wenige kleine Temposchwankungen zu erkennen, taten diese „Merkereien“ der vortrefflichen Gesamtleistung keinen Abbruch. Wunderbar gelangen die musikalisch zelebrierten Stimmungen  des Karfreitagzaubers die Hoffnung schufen, welche die fein ausmusizierenden Streicher nuanciert im orchestralen Erlösungsmotiv des Nachspiels mit einer goldenen Krone versahen.

In dieser orchestralen Eibettung schienen sich die Solisten wohl zu fühlen und ganz besonders der vielversprechende Debütant Sung Ha als Gurnemanz. Der noch  junge Sänger lieferte ein beachtenswertes Rollenportrait in überraschender Vokalkultur. Gewiss fehlte seinem ausdrucksstarken hellen, doch sehr voluminösen Bass die runde dunkle, sonore Stimmfärbung, die intensive Tiefenschärfe welche der bemerkenswerte mit vortrefflicher Diktion ausglich und mit einem Bravosturm des Publikums belohnt wurde.

Sehr eindrucksvoll gestaltete Thomas Berau die Leiden des Amfortas. In absoluter Artikulation verstand es der vortreffliche Bariton sein klangvolles, kerniges Material äußerst präsent auch zu den schmerzvollen Erbarmenrufen einzusetzen.

Einen starken Eindruck hinterließ ebenso Joachim Goltz als diabolischer  Klingsor. Frei ließ der Bariton intensive Charakterzüge in sein ansprechendes Timbre mit einfließen und eroberte das Publikum im Sturm.

Keineswegs kränklich, eher jugendlich frisch präsentierte Philipp Alexander Mehr mit schönstimmigen Bass den Gralskönig Titurel.

Grundsolide ohne nennenswerte Höhepunkte interpretierte ein weiterer Debütant den Parsifal. Der Tenor Will Hartmann verstand es zwar als darstellerisch unbekümmerter Naturbursche zu punkten, doch fehlte seiner Stimme das wohliges Timbre, der Schönklang, der Höhenglanz.

Stimmen sind ja nun bekanntlich eine Geschmacksfrage und über Geschmack lässt sich streiten. Erlebte ich Heike Wessels bereits vor wenigen Jahren als Kundry,  wurde ich heute mit ihrer Leistung nicht besonders glücklich. Ihr Mezzosopran entwickelt sich immer mehr zum Hochdramatischen, gewann an immensem Höhenpotenzial und beachtlichem Volumen. Ansprechend gestaltete die in Mannheim beliebte Sängerin wie der finale Bravosturm bezeugte die Momente im ersten Akt sowie die Erzählung Ich sah das Kind… im Duktus der mittleren angenehmen Stimmbereiche, doch nach Grausamer lehrte sie Parsifal und den Rezensenten mit gewaltigen Höhenschärfen das Fürchten.

Als Ohren-Labsal erwies sich wiederum der herrlich klangschön und nuanciert singende Chor des NTM (Dani Juris). Bestens fügten sich die Sänger der Partien der Gralsritter, Knappen und der Blumenmädchen ins Geschehen. Wunderbar  verlieh Julia Faylenbogen der Altstimme aus der Höhe strömenden Wohlklang.

Am Ende die typisch herzliche Mannheimer Begeisterung für alle Beteiligten, das Orchester sowie ein einzelnes hartnäckiges Buh für Soddy.

Gerhard Hoffmann

 

 

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