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Nationaltheater Mannheim: TURANDOT am 25.4.2018
TRÄUME ZWISCHEN BLUT UND FEUER
Regula Gerber hat ihre Inszenierung von Giacomo Puccinis Oper „Turandot“ in einer technisierten Welt angesiedelt. Märchenhafte und groteske Vorgänge stehen im Zentrum, werden auch von psychologischem Scharfsinn angereichert. Auffallend ist eine gute Akzentuierung hinsichtlich der sich gewaltig steigernden dramaturgischen Vorgänge. Traumlogik und Symbole beherrschen die strenge und reduzierte Bühne von Sandra Meurer. Die Kälte der Prinzessin Turandot kommt ebenso zum Vorschein wie ihr Bedürfnis nach Liebe und Zuneigung.
Eine starke Figur ist in dieser Inszenierung in jedem Fall Prinz Calaf, der Turandot will und sich ihrer Rätselprüfung stellt. Ein dramatischer Höhepunkt ist ferner die ausgezeichnet herausgearbeitete Szene um die Sklavin Liu, die Calaf liebt, von den kaiserlichen Wachen bedroht wird und sich schließlich selbst tötet. Calaf gibt Turandots Kälte schließlich die Schuld an Lius Tod. Doch während des Suizids von Liu zeigt auch Turandot auf der Empore plötzlich Gefühl. Als Calaf sich ihr ausliefert und seinen Namen preisgibt, verändert sich das Geschehen auf der Bühne. Die geradezu enthusiastische Schluss-Szene mit dem vereinten Paar Calaf und Turandot hinterlässt hier eine gewaltige, hymnische Wirkungskraft. Sich immer wieder senkende Stahlgerüste machen die Figuren in unterschiedlicher Weise sichtbar. Im Hintergrund meint man zunächst Turandot zu erkennen, die in einem der Gerüste fast in der Luft hängt. Wie in einem großen Spiegel sieht man im Mittelpunkt das Blut der hingerichteten Bewerber, die sich allesamt vergebliche Hoffnungen auf die Hand von Turandot machten.
Die Kostüme in modernem Zuschnitt von Dorothee Scheiffarth passen sich der erstarrten seelischen Kälte des Geschehens optisch weitgehend überzeugend an. Dazu trägt auch die subtile Choreographie von Guido Markowitz bei. Bevor das Bühnenbild ins Grüne taucht, hat man als Zuschauer immer wieder den Eindruck, dass unter der Oberfläche ein gewaltiges Feuer lodert (szenische Leitung und Abendspielleitung: Claudia Plaßwich).
Dieser Eindruck überträgt sich dann stark auf die musikalische Wiedergabe mit dem hervorragenden Orchester des Nationaltheaters Mannheim unter der energischen Leitung von Alexander Soddy. Auch die Verfeinerung des exotischen Kolorits kommt hier keineswegs zu kurz, denn der von Dani Juris exzellent einstudierte Chor (Einstudierung des Kinderchors: Anke-Christine Kober) zeigt geradezu durchsichtige melodische Zauberkraft. Der Henkerchor mit seinen skurrilen Akzenten erhält große szenische Bedeutung. Beschwörende Klangfantasie steht dabei immer wieder im Zentrum des Geschehens, das sich auch harmonisch rasch zuspitzt. Alexander Soddy gelingt es mit dem Orchester des Nationaltheaters Mannheim ebenso, die Motive der Mondscheinstimmung beim Erscheinen Turandots facettenreich einzufangen. Das grandiose Sextett im Finale lebt dann von fast enthusiastischem Fieber in vielen Variationen. Und das buffoneske Moment beim Terzett der drei Minister Ping, Pong und Pang kommt nicht zu kurz.
Martin Muehle triumphiert als Calaf bei seiner berühmten zu Beginn des dritten Aktes mit imponierender gesanglicher Leuchtkraft, die nicht nachlässt. Das Unisono des Orchesters zu Beginn der Oper wird in seiner unmittelbaren Gewalt voll getroffen. Galina Gleber ist eine ausgesprochen stimmgewaltige Turandot, die auf einem scharfen hohen H den verhassten Prinzen ihre Verachtung entgegenschleudert. Die unheimliche Unruhe im dritten Akt wird von zitternden Tremoli der Streicher, den filigranen Holzbläsern und den gespenstischen Einwürfen der Piccoloflöte voll erfasst. Den Wechsel von G-Dur nach D-Dur bei der Arie „Nessun dorma!“ („Keiner schlafe!“) meistert Martin Muehle als geradezu idealer Calaf mit traumwandlerischer Sicherheit, was ihm das Publikum mit starken Ovationen dankte. Er trifft das siegesgewisse C-Dur immer am besten. Wie kleine Halbtonschritte und die große Septime die Melodie hier anreichern, macht auch Alexander Soddy mit dem Orchester gut deutlich. Vor allem deckt er die Sänger mit den riesigen Klangfluten nie zu. Fast unerträglich ist die elektrisierende Spannung bei der Liu-Szene, wo Olga Mykytenko gerade bei der Todesszene über sich selbst hinauswächst. Im elegischen es-Moll und mit dem richtigen schmerzlichen Ausdruck besingt sie ihren erschütternden Abschied von der Welt. Sie stirbt auf einer kreisrunden Scheibe. Auch die immer leidenschaftlichere Auseinandersetzung des alten Timur (mit sonorem Bass: Sung Ha) mit der jungen Liu werden exzellent herausgearbeitet. Neben dem prägnanten Mandarin von Bartosz Urbanowicz fesseln die drei Minister Ping, Pong und Pang aufgrund der reichen Charakterisierungskunst von Nikola Diskic, Uwe Eikötter und Pascal Herington.
Die Dissonanzen der Halbtonreihungen im Orchester akzentuiert der Dirigent Alexander Soddy vortrefflich. Wie sie sich gegenseitig ins Wort fallen und die Motive fast zerstückeln, ist ein ausgesprochenes Hörvergnügen. In weiteren Rollen fesseln bei dieser interessanten Vorstellung Christoph Wittmann als Altoum, Veliko Totev als Stimme des Persischen Prinzen sowie Susanne Hoffmann und Julia Müller-Wolthuis als junge Mädchen und Mara Bittmann und Andrea Engler (Lo-u-Ling). Das in drei Gongschlägen gipfelnde fulminante Crescendo wird bei dieser Aufführung zum Leitmotiv, das sich tief einprägt und auch die Handlungsweise der Personen prägt. Der Chor des Nationaltheaters Mannheim begeistert das Publikum immer wieder durch seinen Enthusiasmus und seine mitreißende Phrasierungskunst. Sein Jubel und die Schreie nach dem Henker gipfeln in markerschütternden Ausbrüchen. Die von großen Emotionen geprägten Kantilenen Calafs beim Duett mit Liu werden von Geigen, Flöte und Oboe mit großer Intensität begleitet. Und der Fortissimo-Aufschrei des Orchesters erhält bewegende Kraft im zweiten Akt, wenn der Prinz die Prinzessin plötzlich an sich reisst und küsst.
Riesiger Jubel für diese Inszenierung aus dem Jahr 2010, die unter der Generalintendanz Regula Gerbers im Nationaltheater Mannheim entstanden ist.
Alexander Walther