Premiere „Tristan und Isolde“ von Richard Wagner im Nationaltheater am 14. November 2021/ MANNHEIM
Das Universum ist allgegenwärtig
Allison Oakes (Isolde), Frank van Aken (Tristan). Foto: Christian Kleiner für Nationaltheater Mannheim
Eine bemerkenswerte Inszenierung bietet die 1987 in Bonn geborene Regisseurin Luise Kautz (Kostüme: Hannah Barbara Bachmann; Bühne: Lani Tran-Duc). Es sind bildgewaltige visuelle Eindrücke, die märchenhafte Elemente beschworen. Dies wird schon beim Schiffsgerüst im ersten Akt bemerkbar und verstärkt sich dann im zweiten Akt, wo sich aus der Waldlichtung in geheimnisvoll-ungeheurer Weise das Universum entwickelt. Im dritten Akt sieht man dann eine Küstenlandschaft, auf der der verwundete Tristan liegt und sich auch erhebt, während die Bühne sich bewegt. Dadurch entsteht eine geradezu elektrisierende Aura.
Betont werden bei dieser Liebesbeziehung nicht die sexuellen Kontakte, sondern eher die religiöse Verehrung. Im Liebesduett zwischen Tristan und Isolde im zweiten Akt beginnt sich dann der reale Raum aufzulösen. Das Universum ist hier ein starkes Bild für das Liebeskonzept von Tristan und Isolde. Licht und Video spielen dabei eine enorme Rolle. Man findet plötzlich tausend Geheimnisse.
Allison Oakes, Julia Faylenbogen. Foto: Christian Kleiner für Nationaltheater Mannheim
Der dritte Akt spielt wieder in der Bretagne, zu der Kurwenal mit Tristan zurückkehrt. Die Idee des „unsichtbaren Theaters“ findet hier ebenfalls Platz. Menschliche Konflikte stehen bei dieser Konzeption eindeutig im Mittelpunkt. Tristan und Isolde versuchen dabei, ihre gemeinsame innere seelische Leere zu füllen. Dies sieht man schon im ersten Akt, wo Isolde den Liebestrank fallen lässt. Natürlich hätte man die ekstatische Wonne des Liebespaares noch viel deutlicher herausarbeiten können. Da zeigen sich bei dieser Inszenierung auch Schwächen in der Personenführung. Doch es sind vor allem die Bilderfluten, die das Publikum immer wieder fesseln und die sich mit dem geradezu magischen Strom von Wagners Musik in suggestiver Weise verbinden. Das Video wird in diesem Zusammenhang als Installation eingesetzt – es bewegt sich zwischen Bühnenraum und Lichteindruck. So gewinnen fantastische Effekte immer mehr Präsenz. Das physische Bühnenbild löst sich dabei immer weiter auf. Das merkt man dann auch im dritten Akt, wo der tödlich verwundete Tristan vergeblich auf Isolde wartet. Und das Video setzt ganz konsequent die bisher geltenden Regeln außer Kraft. Starke Intensität besitzt aber auch der Schluss des zweiten Aktes, wo die Liebenden von König Marke entdeckt werden. Und Isolde wird hier nicht mädchenhaft dargestellt, sondern agiert als reife Frau.
Thomas Berau (Kurwenal). Foto: Christian Kleiner für Nationaltheater Mannheim
Trotzdem hat man das Gefühl, dass Luise Kautz als Regisseurin hier ein bewegendes Märchen erzählen will, was sich zudem bei Isoldes Liebestod offenbart. Das hat einen positiven, eindrucksvollen Effekt. Eine ausgezeichnete Leistung bietet der britische Dirigent Alexander Soddy mit dem Orchester des Nationaltheaters Mannheim. Denn er arbeitet den Unendlichkeitsdrang dieser Musik konsequent heraus. Die kühne Harmonik verdichtet sich so immer mehr und übeträgt sich auch auf die Sänger, die dieses geheimnisvolle Drängen umsetzen. Die vier Halbtonschritte des Liebesmotivs entfalten einen geradezu rauschhaften Zauber, der sich immer weiter steigert.
Frank van Aken überzeugt als Tristan mit einem stralkräftigen Tenor, der sich auch gegen die mörderischen Orchesterfluten des dritten Aktes gut durchzusetzen weiß. Allison Oakes (Isolde) beweist mit immer wieder leuchtend aufblühenden Sopran-Kantilenen ihre gesangliche Präsenz. Nur bei Isoldes Schlussgesang wird sie vom Orchester zu stark überdeckt. Patrick Zielke (Bass) gestaltet die Rolle König Markes packend und voller Emotion. Thomas Berau ist ein hervorragender Kurwenal, der mit seinem sonoren Bariton sämliche Nuancen seiner Partie auslotet. Julia Faylenbogen kann als Isoldes Dienerin Brangäne mit ausdrucksvollem Mezzosopran ebenfalls fesseln. In weiteren Rollen imponieren noch Ilya Lapich als Tristans robuster Melot, Uwe Eikötter als Hirt, Marcel Brunner als Steuermann und Joshua Whitener als junger Seemann. Der von Dani Juris präzis einstudierte Chor bietet ebenfalls eine packende Leistung. Alexander Soddy liefert mit dem Orchester des Nationaltheaters Mannheim weitere Glanzpunkte. So blitzen die Fanfaren am Ende des ersten Aktes so deutlich auf, wie man es selten hört. Das zaghaft werbende Motiv des Vorspiels besitzt ebenfalls eine ungeheure Kraft und Intensität. Und das Orchester folgt den Intentionen des Dirigenten punktgenau. Die Liebe zwischen Tristan und Isolde will sich hier von allen Erdenfesseln lösen. Das zeigt sich auch bei der leidenschaftlichen Erregung der Sänger. Die Gegensätze der harmonischen Auf- und Abwärtsbewegung verdichten sich im zweiten Akt, wo Tristan und Isolde gegen trennendes Licht verzweifelt ankämpfen. Dem Motiv der Verzweiflung gewinnt Frank van Aken als Tristan im dritten Akt Glaubwürdigkeit ab. Und zum Schmerzensmotiv kommen geheimnisvolle Akkorde hinzu, die eine ferne und nebelhafte Erinnerung beschwören. Das brodelnde Harmoniegewoge und die Tremolo-Effekte kostet Alexander Soddy mit dem Orchester facettenreich aus. Für das Vorspiel des dritten Aktes wählt er ein recht zügiges Tempo, das die innere Struktur der glühenden Musik jedoch zusammenhält. Raffinierte Chromatik und machtvolle Diatonik ergänzen sich gegenseitig. Thomas Berau findet als Kurwenal wiederholt zu einem balladenhaften Ton, der gut in den harmonischen Gesamtablauf eingebettet ist. Ovationen belohnten diese interessante und mitreissende Premiere.
Alexander Walther