Frank van Aken (Tannhäuser), Heike Wessels (Venus). Copyright: Hans-Jörg Michel
Richard Wagners „Tannhäuser“ am 2. Mai 2018 im Nationaltheater/MANNHEIM
MYTHOS DER MODERNEN STADT
Die Inszenierung von Chris Alexander konzentriert sich auf die verschiedenen Schauplätze von Wagners Oper, wobei der Mythos der modernen Stadt immer mehr in den Mittelpunkt rückt. Alexander denkt dabei auch an den Kosmos von Wagners Paris-Erfahrung, der hier eine bedeutende Rolle spielt. Venusberg und Wartburg werden einander in konträrer Weise gegenübergestellt. Das gesellschaftliche Leben beschwört im Venusberg in hemmungsloser Weise die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse, während die Wartburggesellschaft ein System klarer Strukturen und Gesetze errichtet. Dabei wird aber auch eine geheimnisvolle Brücke von der mittelalterlichen Welt zur Gegenwart geschlagen. Das Unheimliche und Unbequeme überfällt Tannhäuser gleich zu Beginn, wenn er zwischen Vorhängen in seinem Bett liegt und vom betörenden Gesang der Frau Venus überwältigt wird. Im Hintergrund sieht man dann eine Marien-Statue, die sich aber auch in eine Venus-Grotte verwandelt. Die strenge Bühnenstruktur wird dabei immer wieder in raffinierter Weise durchkreuzt (Bühne: Maren Christensen; Kostüme: Susanne Hubrich). Gerade die Kostüme mit ihrem betont modernen Outfit machen eine Verbindung zur Gegenwart deutlich. Im Hintergrund nimmt man ebenfalls einen durchsichtigen Wald dar, dabei werden mysteriöse naturhafte Vorgänge beschworen.
Gerade diese Elemente hätte man auch noch deutlicher betonen können. Venus möchte den Platz Marias mit Gewalt erobern, was ihr letztendlich nicht gelingt. Der Sängerwettstreit im zweiten Akt findet ganz vor einem roten Hintergrund statt, auf der Bühne ereignet sich eine große Show. Deutlich wird bei dieser Inszenierung immer wieder die bedingungslose Liebe Elisabeths zu Tannhäuser, die sich für ihn aufopfert. Schließlich entschließt sich der vom Papst verfluchte Tannhäuser, in den Venusberg zurückzukehren, wobei sich an der Statue eine geheimnisvolle Türe öffnet, die Tannhäuser aber beim Namen „Elisabeth“ wieder schließt. Aus einem unterirdischen Verlies im Vordergrund der Bühne dringt Nebel. Er symbolisiert wohl die „Hölle“ des Venusbergs. Er wird also nicht in den Venusberg gehen. In einer betont christlichen Prozession wird dann die Erlösung Tannhäusers beschworen, der letztendlich leblos niedersinkt.
Joachim Goltz. Copyright: Hans-Jörg Michel
Zur Aufführung kommt hier die Pariser Fassung mit der nachkomponierten Bacchanal-Musik und der Venusberg-Szene von 1861. Das Walther-Lied im 2. Akt der Dresdner Fassung wurde beibehalten. Die Ekstasen des Bacchanals und die Auseinandersetzungen zwischen Venus und Tannhäuser nehmen in dieser Aufführung auch musikalisch die Tristan-Welt voraus. Schon bei der Ouvertüre erhält das mit dem Lustmotiv der Frau Venus heftig konkurrierende Bußmotiv starke Akzente. Die Musik atmet hier von Anfang an die Leidenschaftlichkeit des unzähmbaren Lebensdranges, die sich nicht mehr bremsen lässt. Davon werden auch die sich ins Endlose weitenden Kantilenen von Frank van Aken als Tannhäuser und Eva-Maria Westbroek als Elisabeth beherrscht. Die wunderbare Innigkeit der Empfindung und die Realistik der dramatisch-musikalischen Zeichnung kommen bei dieser Interpretation in hervorragender Weise zur Geltung. Gerade Eva-Maria Westbroek mit ihrer eher dunkel timbrierten Sopranstimme kommt Wagners Intentionen hier sehr entgegen. Den rein-lyrischen Gesang Wolframs gestaltet Nikola Diskic mit weichem und ausdrucksvollem Timbre, das auch zu starken klangfarblichen Wandlungen fähig ist. Das lodernde gesangliche Feuer Tannhäusers überträgt sich bei dieser insgesamt überzeugenden Aufführung ebenso auf Joshua Whitener als Walther von der Vogelweide, Joachim Goltz als Biterolf, Raphael Wittmer als Heinrich der Schreiber und Philipp Alexander Mehr als Reinmar von Zweter. Heike Wessels ist eine Venus, deren Stimme über die notwendige verführerische Zauberkraft verfügt. Das Locklied der Sirenen setzt sich bei ihr in konsequenter Weise fort. Aber auch die Färbung des Schmerzes geht nicht unter – denn sie ist sich immer gewiss, dass sie Tannhäuser nicht halten kann. Tannhäusers Jubelmotiv in den Geigen strahlt hell auf, wechselt sich mit zarten Zwischenphrasen der Oboe ab. Gelegentlich geraten die einzelnen Orchesterinstrumente in einen duellierenden Wettstreit, was sehr reizvoll ist.
Alexander Soddy arbeitet als umsichtiger Dirigent dabei die durchsichtigen Strukturen mit dem Orchester des Nationaltheaters Mannheim konsequent heraus. Diese Durchsichtigkeit des Klangbilds unterstreicht auch Jacqueline Davenports suggestive Choreographie mit dem Ballett, die vor allem die dämonischen Szenen im Venusberg beherrscht. Kraftvoll agieren Chor, Extrachor ud Bewegungschor, die Dani Juris einfühlsam einstudiert hat. Alexander Soddy verliert als Dirigent nie den Überlick über die Themen und Motive des großen Ganzen, das nicht auseinanderfällt. So gerät auch der Marsch mit dem Einzug der Gäste des Landgrafen zu einem schwungvoll-kernigen Fanal unbändiger Lebensfreude, wobei man die düsteren Akzente ganz versteckt heraushört. Wie die Sänger „der Liebe Wesen“ ergründen, gehört zu den großen Vorzügen dieser Wiedergabe. Venus und Elisabeth stellen in Gestalt von Heike Wessels‘ und Eva-Maria Westbroeks glaubwürdig die stark entgegengesetzten Ausstrahlungen der weiblichen Liebesempfindung dar. Und Frank van Aken lässt keinen Zweifel daran, dass er als Tannhäuser zum Opfer dieses ewigen Spiels der Liebe wird. Übrigens verleugnet der Dirigent Alexander Soddy die Form der Gesänge als freie, durch das poetische Grundthema vereinheitlichte musikalische Nachempfindung nie, was einen positiven Einfluss auf den musikalischen Gesamteindruck hat.
Für Wagner selbst war das Geständnis Tannhäusers, im Venusberg geweilt zu haben, der „Nerv der ganzen ferneren Tannhäuserexistenz“. Und diesen Nerv hat das gesamte Team bei dieser Vorstellung sehr gut getroffen. Der Gesang der Pilger, Elisabeths Fürbitte und Tannhäusers Reue vereinigen sich zu einem ergreifenden Schwanengesang, dessen Stimmungsbilder sich aber auch immer wieder wandeln.
In weiteren Rollen gefallen noch Gerda Maria Knauer, Regina Kruszynski, Brigitte Rackowitz und Rica Westenberger als die vier Edeldamen. Tannhäuser im Venusberg wird von Hendrik Hebben, Venus im Venusberg von Bianca Prandi wandlungsfähig verkörpert. Cedric Bauer stellt den Conferencier dar. Auch bei den Ballett-Einlagen spürt man, wie sehr sich die Protagonisten nach der unerreichbaren Zauberwelt sehnen. Tannhäusers Rom-Erzählung gewinnt dank Frank van Akens Darstellung immer größere Präsenz. Und auch der erschreckende Eindruck des Gnadenfestmotivs in Ges-Dur verliert nie seine unmittelbare Wirkungskraft. In langgehaltenen Tönen erklingt das Sirenenlied, wobei das sphärenhafte Harmoniegeflimmer sehr überzeugend herausgearbeitet wird. Wie sich hier Spiritualität und Resignation in Musik verwandeln, macht Alexander Soddy mit dem Orchester des Nationaltheaters Mannheim plastisch deutlich. Dabei erkennt man auch, wie Elisabeth aufgrund ihrer Liebe zu Tannhäuser ihre Grenzen überschreitet. Wie stark die Dreiklangsharmonik von einer revolutionären Chromatik erschüttert wird, gerät nicht aus dem Blickfeld. Davon profitieren vor allem die Sänger, die den großen Jubel des Publikums an diesem besonderen Abend in verdientem Maße erhalten.
Alexander Walther