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MANNHEIM/ Nationaltheater: SIEGFRIED –  Müh´ ohne Zweck… Wahn, Wahn, überall Wahn…

23.07.2022 | Oper international

Mannheim/Nationaltheater: „SIEGFRIED“ – 22.07.2022

                      Müh´ ohne Zweck… Wahn, Wahn, überall Wahn…

stefan vinke (siegfried) renatus mészár (wanderer) lise lindstrom (brünnhilde) copyright maximilian borchardt
Stefan Vinke, Renatus Meszar, Lise Lindstrom. Foto: Maximilian Borchardt

Um jegliches Missverständnis auszuräumen wir befanden uns nicht in den „Meistersingern“ sondern im „Siegfried“ dem zweiten Tag von Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ am Nationaltheater Mannheim. Wie zu erwarten blieb Yona Kim ihrer bisherigen angestrebten Regie-Konzeption treu, (v)erging sich erneut an einer weiteren inszenatorischen Werks-Violation. Siegfried schmiedete nun das Schwert invisibel, wie sollte es auch anders sein stand es seinem Vater Siegmund ebenso nur irreal zu Gebote. Erfreulicherweise das Dunkel der Bühne wurde merklich bunter (Anna-Sofie Kirsch). Gewöhnungsbedürftig dagegen gerieten die Kostümierungen, die Herren teils in dunkelrote Gewändern (Falk Bauer), weiß clownesk geschminkt. Siegfried verpasste man zum roten Unterhemd Bermudas und Springerstiefel, welch hehres Wunder, dass Brünnhilde dieser Karikatur ansichtig nicht ohnmächtig wieder in Tiefschlaf versank. Ist das die Trend-Ästhetik von heute Sänger derart zu diffamieren? Sinnierte der Held noch: Wie sah mein Vater wohl aus? Ha, gewiss, wie ich selbst! Au wei – Junge wie du dich trügst! Bleibt denn Künstler*innen jeglicher Einwand verwehrt, unterliegen sie rechtlos dieser Banausen-Mafia? Wotan des Wanderns müde durfte sich in der Intendanten-Loge ausruhen. Der Waldvogel ein Paradiesvogel aus den Folies Bergere. Erda als Greisin mit Stock von zwei Helfern flankiert, dasselbe Los war Wotan beschieden von Walküren-Doubles gestützt. Ergibt diese Szene dennoch Sinn, wurde die Waltrauden-Erzählung des Ring-Finales von Gottvaters Siechtum kündend, bereits optisch offenbar. Meinte dereinst unser Alt-Kanzler Helmut Kohl wichtig ist, was hinten raus kommt, fürwahr es war heuer größtenteils eindeutig! Erneute  belehrende Schriften und Texte Siegfried 1., 2., 3. Akt incl. der jeweiligen nummerierten Szenerien,  erliegen diese Macher tatsächlich der Einbildung das Publikum sei gleichen Geistes wie sie? Die Unmuts-Quittung dafür erfolgte beim Schluss-Applaus recht heftig.

Der szenisch per seitlichen Stegs  abgedeckte Orchestergraben erwies sich als Fauxpas, war  akustisch völlig unspektakulär und aufgrund der großen ungenützten Bühne für Auf- und Abgänge völlig widersinnig. Von den überproportionierten Forte-Eruptionen abgesehen gelang GMD Alexander Soddy eine adäquate Orchestrierung der Siegfried-Partitur, inspirierte das bis auf wenige Bläser-Diskrepanzen prächtig aufspielende, gut disponierte NT-Orchester zu ausgewogener Klangkultur. Großartig gelangen Soddy die motivierten Momente des zwergischen Gezeters, der Rätselszenen, das kammermusikalisch unterstrichene Gejammer, die schier lustvollen Kabalen des 1. wie 2. Aufzugs orchestral zu optimieren. Wotans Resignation, die faktiösen Emotionen verstand es Wagner meisterhaft und unvergleichlich  im Entree des dritten Aufzugs musikalisch zu bündeln, jedoch kamen  akustisch instrumentale Turbationen zutage. Traumhaft konträr die  Streicher-Ziselierungen zu Selige Öde auf sonniger Höh´ oder das überwältigende Jubelfinale. Von meinen Merker-Einwänden abgesehen gelangen Soddy und seinem Klangkörper prächtige Soli, ein höchst differenzierter orchestraler Ensembleklang in beeindruckender qualitativer Formation.

Stefan Vinke optisch dem Jung-Siegfried längst entwachsen brachte jedoch die passende vokale Statur dieser kräftezehrenden Partie mit ein. Sein Tenor inzwischen baritonal fundiert zeigte sich risikobereit in unterschiedlicher Stimmakrobatik. Verhalten klang die vokale Resonanz während der beiden ersten Aufzüge, zurückhaltend die Einteilung der Reserven, der optischen Larifari-Schwertschmiede fehlte der stimmliche Glanz, Wie ausgewechselt formierte Vinke dagegen seine Vokalise zu strahlender Höhenattacke und verfügte noch über genügend Atem seiner Brünnhilde mit Stentortönen Paroli zu bieten.

Nach kurzer Rückendehnung vom langen Schlummer in Sitzposition erweckt ließ Lise Lindstrom die silberhelle Strahlkraft ihres hohen Soprans erschallen. Mit geschleuderten Attacken, ultimativer Dichte und klaren Stimmfarben ihres potenziellen Organs umriss Lindstrom unverwechselbar die göttliche Provenienz. Warme Mittelbereichfarben, aussagekräftige neu gewonnene Weiblichkeit vokal zu vermitteln blieben ihrer Brünnhilden-Interpretation leider verwehrt.

Die großartige Wandlungsfähigkeit, Vokal-Couleurs betörend in Melange zu kombinieren diese Vorzüge sind Julia Faylenbogen zu eigen. Die großartige Künstlerin überraschte bisher  immer aufs Neue, verbreitete erneut als optisch aufbegehrende Erda eine Fülle vokalen Wohllauts und erinnerte den ruhelosen Wotan in dunkelsamtigem Alt, dass das göttliche Endspiel endgültig verloren.

Silberhell strahlend, selbstbewusst, vortrefflich intoniert zwitscherte Mirella Hagen in schönen lockeren Lyrismen als bunt-glitzernder Waldvogel.

In eindrucksvoller Manier gestaltete wiederum Uwe Eikötter einen optischen Ideal-Mime, suggerierte glänzend haspelig die charaktertenorale  Vokalise des bis über die Grenzen der Darstellung hinaus reichenden munteren, eigennützig agierenden „Zwerges“.

Joachim Goltz überzeugte mit prächtig aufblühendem Bariton als intensiver, heldisch-maskuliner Alberich. Subtil, akustisch verstärkt klang das helle Bassmaterial von Patrick Zielke (Fafner) über die Rampe.

Für den Wanderer erschienen mir die Vokal-Attribute des Bassbaritons Renatus Mészár ideal, sein Wotan fand zur Rätselszene mit Mime sowie ganz besonders zur Erda-Begegnung die intelligenten Phrasierungen und deklamatorischen, präzise modulierten Gesangslinien.

Zehn Minuten begeisterte Zustimmung, lautstarke Bravorufe, Ovationen für das einstige Ensemble-Mitglied Stefan Vinke sowie für den GMD und sein Orchester. Wie bereits erwähnt auch das absolut berechtigte Contra für das Produktionsteam.

Zu neuen Taten… Schauen wir neugierig zur finalen  Götterdämmerung.

Gerhard Hoffmann

 

 

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