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MANNHEIM/ Nationaltheater: PETER GRIMES. Premiere

Abgründe der Seele

04.11.2019 | Oper

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Roy Cornelius Smith (Peter Grimes) und die Ortsbewohner. Foto: Hans-Jörg Michel

MANNHEIM: Benjamin Britten: PETER GRIMES

Premiere am Nationaltheater Mannheim am 03. November 2019

Abgründe der Seele

Lange musste das Nationaltheater Mannheim auf eine Neuproduktion von Benjamin Brittens Meisterwerk „Peter Grimes“ warten. Die letzte Inszenierung von Christine Mielitz liegt bereits viele Jahre zurück. Und die aktuelle Neuinszenierung ist ein Paukenschlag, ein Ausrufezeichen! Selten ging ein Premierenpublikum derart leise und doch bewegt in die Pause….

Nun also eine Regie-Arbeit von Markus Dietz, der auf sehr bewegende Art die Geschichte des asozialen Außenseiters Grimes erzählt. Alles Naturalistische, Maritime bleibt bei ihm nahezu ausgespart. Wir sehen einen nicht näher definierten Ort der heutigen Zeit. Der Bühnenboden wird im Verlaufe der Handlung geflutet und wird gefährlich nass, das Meer drängt sich in die Gemeinschaft hinein. Bühnenbildnerin Ines Nadler hat einen vielfach veränderbaren Raum gestaltet. Als Bühnenhimmel fungiert eine Decke mit vielen Leuchtröhren, die sich sehr weit absenken lässt. Die Rückwand wird zuweilen von hohen Vorhängen eingegrenzt, die als Videoprojektionsfläche dienen. Ein gewaltiges Kruzifiz erscheint darauf oder auch das Bild des Lehrjungen. Noch nie zuvor wurde dem Schicksal der Lehrjungen visuell derart viel Raum gegeben. Der Leichnam von William ist während der Gerichtsverhandlung in großen Videoprojektionen immer zu sehen. Und auch später begegnen diese eindringlichen Bilder immer wieder dem Zuschauer. Doch es gibt auch die Lichtseite. Zu Beginn des zweiten Aktes werden riesige lächelnde Portraits der Kinderstatisten gezeigt, die auf der Bühne immer wieder das Schicksal der Lehrjungen bebildern. Sehr stark etwa in der Gruppíerung, wenn sie Balstrode wie kleine Geister den Pullover des soeben verunglückten John zeigen und ihn zu sich winken. Eine surreale Szene!

Die Personenführung wirkte sehr durchdacht und immer schlüssig aus der Musik motiviert. Dietz zeigt z.T. harte Bilder, so etwa die sichtbaren Misshandlungen am Lehrjungen John. Die Dorfgemeinde ist schnell in einen wütenden Mob verwandelt. Die Lichtgestalt Ellen Orford, weiß gekleidet, bekommt handfest den Widerstand zu spüren, wenn sie für Peter Partei ergreift.

Eindringlich wird das Leiden der Titelfigur an den Zuschauer herangeführt. Immer wieder gibt es Momente, die zeigen, dass Peter Grimes dazu gehören möchte. So etwa bei Auntie, wenn alle in den Rundgesang „Old Jonah…“ einstimmen und tanzen. Grimes will mitmachen, kopiert die Bewegungen der Gemeinde und wird wie ein Aussätziger behandelt, als er dann in einer falschen Tonart mit einstimmt. Oder in der Auseinandersetzung mit Ellen am Sonntag Morgen geht sein Ringen um eine bessere Zukunft unter die Haut. Doch die Gemeinde hat in ihrem Gottesdienst längst sein Urteil über ihn gefällt. Und so steht unter dem großen Kruzifix die Vorverurteilung „Murderer“ in roten Buchstaben geschrieben. Fassungslosigkeit und Wut peinigen Peter Grimes, als er dies sieht. Es ist schwer anzusehen, wie groß seine Verletzung ist, die ihn zum wiederholten Male heimgesucht haben mag.

Gewaltig ist dann das diabolische Fanal des Mobs, der auch den Zuschauerraum entert, um auf die Menschenjagd zu gehen. Das Opfer: Peter Grimes!

Die anschließende Wahnsinns-Szene von Peter Grimes ist dann der intensive Höhepunkt des Abends, der am Ende die Unerträglichkeit der zu betrachtenden Handlung nochmal unermesslich steigert. Dietz lässt Ellen und Balstrode früher als üblich auf die Szene treten. Peters Worte „Ellen, give me your hand“ sind direkt an sie gerichtet. Als Balstrode dann Peter zum Selbstmord auffordert, bricht Ellen in einer Art und Weise zusammen, dass der Atem stockt. Und als wäre das nicht schon genug seelischer Schrecken, lässt Regisseur Markus Dietz die gesamte Dorfgemeinde aufmarschieren und Zeuge sein, wie Balstrode höchstselbst Grimes in den Tod geleitet! Was für ein Bild!

Markus Dietz gelingt in seiner Radikalität ein meisterhafter Spagat. Er beschönigt nichts, schont weder Ensemble, noch Zuschauer und vollbringt es, dass der Betrachter intensiver Teilnehmer der Handlung wird. Diese Inszenierung ist ein Meisterstreich! Großartig in der Erarbeitung der Rollencharaktere und packend in der Chor-Choreographie.

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Roy Cornelius Smith (Peter Grimes), Astrid Kessler (Ellen Orford). Foto: Hans-Jörg Michel

All das konnte nur in dieser herausragenden Qualität gelingen, weil das Nationaltheater Mannheim eine superbe Besetzung aufbieten konnte. In der Titelpartie zeigte Roy Cornelius Smith eine tief bewegende Charakterisierung, wie es sie heute schwerlich weltweit noch zu finden sein dürfte! Es tut so gut und ist so richtig, diese Partie mit einer heldischen Stimme zu besetzen und nicht, wie heute üblich, mit einem meist (zu) lyrischen Tenor. So konnte Smith klanglich ungemein dominant sein und sich somit über alle Klangfluten leicht durchsetzen. Dabei nutzte er meisterhaft die gesamte dynamische Bandbreite, die die menschliche Stimme hergibt. Vom Flüstern bis zum Schrei, feinste Piano-Färbungen und gewaltige Fortissimo-Aufschwünge prägten seinen Gesang. Hinzu kam eine textliche Durchdringung, ein untrügliches Gefühl für Nuancen und Schattierungen, die der Partie alle Aufmerksamkeit beschied, wie es besser nicht realisiert werden kann. Als wäre das nicht schon genug, so zeigte Smith eine darstellerische Expressivität, die bis zur Selbstverleugnung ging, die auch einmal den Kontrollverlust in Kauf nahm, die die gelebte Hingabe an eine der faszinierendsten Tenorpartien der gesamten Opernliteratur bewegend aufzeigte und erlebbar machte. Keine Frage, nein, Tatsache: Roy Cornelius Smith hat sich mit dieser ungewöhnlichen, spektakulären, persönlichen Leistung in den Olymp der größten Interpreten dieser Rolle gesungen! Glückliches Mannheim, die diesen derzeit vermutlich besten Gestalter dieser Rolle im Ensemble hat!

Astrid Kessler zeigte als Ellen Orford die Lichtgestalt, die Britten ihr zugedacht hatte. Wie sicher, wie empfindsam fühlte sie sich in den Charakter der Fürsprecherin ein.  Ihr aufblühender Sopran entfaltete eine berührende Innigkeit, die vor allem in den hohen Pianofärbungen besondere Momente entstehen ließ. Ihre szenische Präsenz, ihr Reagieren auf das Handlungsgeschehen waren von bestechender Intensität.

Ein großartiges Portrait zeigte Thomas Berau als Captain Balstrode. Mit großer Bühnenpräsenz und deutlichen Textakzenten war auch er ein zentraler Protagonist dieser fabelhaften Produktion. Seine Stimme beleuchtete völlig souverän alle Ansprüche an diese reizvolle Partie. Eine sehr überzeugende Leistung dieses so wandlungsfähigen Sängers.

Die vielen anderen Partien wurden bestens besetzt. Fulminant sang und agierte Rita Kapfhammer als szenisch präsente Auntie, Marcel Brunner war ein stoischer Hobson mit gehaltvollem Baßbariton. Dazu Sung Ha als sehr profund tönender Swallow und Mari-Belle Sandis als getriebene, nervöse Witwe Sedley. Sehr gut sang Ilyia Lapich einen spielerischen, selbstironisch wirkenden Ned Keene, dazu geiferte Raphael Wittmer engagiert als Bob Boles.

Uwe Eikötter zeigte als Pastor Adams Charakter und Stimme.  Gut aufeinander eingestellt waren Aunties Nichten Ji Yoon und die extrem kurzfristig eingesprungene Lavinia Dames (Deutsche Oper am Rhein). Ein szenisch markanter Charakter zeigte sich in der stummen Rolle des Dr. Crabbe in der Gestaltung durch Intendant Alfred Puhlmann, der in dieser Produktion auch als Dramaturg fungierte.

Dani Juris hatte seine hervorragenden Chöre perfekt einstudiert. Sprachlich und dynamisch war alles auf den Punkt gearbeitet. Und auch darstellerisch war der Chor mitreißend in seiner szenischen Wirkung.

GMD Alexander Soddy dirigierte einen ungestümen Peter Grimes. Selten ist die Partitur derart deutlich dynamisch ausgereizt worden, wie hier. Drastisch in den Ausbrüchen, aber ebenso kantabel in den melodischen Abschnitten der Partitur, wie z.B. in den Arien von Ellen. Soddy’s Dirigat ist eine hörbare Herzensangelegenheit. Immer bei den Sängern, unermüdlich Impulse gebend und doch stets Herr des Geschehens. Ein fantastisches Dirigat. Und wieder einmal ist das herausragende Orchesterspiel des Orchesters des Nationaltheaters Mannheim zu würdigen. Sowohl in den Soli- als auch in den Tutti-Beiträgen agierte der Klangkörper mit einer Klangschönheit und Souveränität, die beispielhaft ist. Und so gebührt an diesem unvergesslichen Abend dem Orchester ein besonderes Lob durch sein seelenvolles Spiel.

Viel Jubel im sehr gut besuchten Nationaltheater.

Dirk Schauß

 

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