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MANNHEIM/ Nationaltheater: PETER GRIMES. Neuinszenierung

23.11.2019 | Oper
Bildergebnis für mannheim peter grimes
Copyright: Nationaltheater Mannheim/ Hans-Jörg Michel
 
MANNHEIM/Nationaltheater: PETER GRIMES –  22.11.2019 – Neuinszenierung
 

An sich will Peter Grimes nur einen Lehrling haben, der ihm beim Fischfang hilft, und er beteuert auch immer wieder, seine Einsamkeit beenden zu wollen und mit seiner Freundin, der verwitweten Ellen, die sich als Lehrerin auch um den neuen Lehrjungen John kümmert, eine Familie zu gründen, sobald es seine wirtschaftliche Situation erlaubt. Der Tod der beiden Lehrlinge verändert die Situation für Grimes, der in seinem Ort schon immer als verschrobener Einzelgänger galt, nochmals dramatisch. Sie sehen ihn als einen Mörder an, nachdem er nach dem ersten Vorfall vom Richter noch freigelassen wurde. Eine Hobbydetektivin möchte Beweise gefunden haben. Zum Schluß scheint die Menge auch zu Lynchjustiz bereit. Aber die eigentlich dahinter sich verbergende brisante Frage ist: Ist Peter Grimes ein Päderast? Aber sie wird in der Handlung nicht gestellt und wäre sicherlich für Britten auch zu brisant gewesen. Und auch in der Regie von Markus Dietz kommt sie eigentlich nicht vor. Grimes schlägt zwar seinen Lehrjungen, läßt aber sonst die Finger von ihm. Daß die Frage aber doch im Raum steht, zeigen in Zwischenspielen bühnengroße Fotos von im Wasser schwebenden, regungslosen Jungenkörpern, die auch eine gewisse ästhetische Faszination auszuüben vermögen. Einmal werden auch hintereinander verschiedene Knaben mit „hold“ animierten Lächeln hintereinander gezeigt, dazu aber auch ein kleines ‚Alibi‘-Mädchen mit ausgefallenen Milchzähnen. Die Fotografin/der Fotograf bzw die VideokünstlerIn wird aber nicht namentlich genannt.

‚P.Grimes‘ ist der starke Opernerstling des großen englischen Komponisten des 20.Jahrhunderts. Am Nationaltheater werden besonders Prolog, erster und dritter (letzter) Akt hervorragend unter Alexander Soddy wiedergegeben. In diesen Teilen ist auch die von seiner Heimat Suffolk am Meer inspirierte Handlung nach einem Gedicht von George Crabbe am stärksten komponiert. So viel einfallsreiche Wendungen, wie der 1.Akt aufbietet, hört man selten und immer blitzsauber und kraftvoll dynamisch vom Orchester gespielt/untermalt, angeführt von Mannheims agilem und viel präsentem GMD. Besonders Stellen mit Glocken/Xylofon und Harfen erscheinen wie herausgemeißelt und geben einen überaus starken Impetus vor bei den wahnwitzigen Handlungswendungen auf der Bühne.
 
Da läßt die Bedrängnis Grimes‘ seit der vor dem eisernen Vorhang gespielten chaotischen Gerichtsverhandlung nicht nach, und sie haben sich wieder alle vorn an der Rampe aggressiv aufgestellt mit den Anführern Bob Boles und Jim Hobson. Auch die Schankwirtin Auntie und die leichten Mädchen Niece 1 & 2 heizen die Menge in lasziver Weise auf. Aber die Bühne ändert sich nicht für die Kneipenszene, die aus einer schwankenden Decke mit variablen Neon-Strichleuchten besteht, und die sich bis ganz auf den Boden heruntersenken kann (Bühne: Ines Nadler). Zum Ende Akt I haben die Meereswellen die Bühne erreicht und überschwemmt. Seitdem laufen bis Ende alle in hohen Gummistiefel in der sicher 40 cm Wasserhöhe herum. Dabei ist das Wasser bei der totalen Absenkung der Decke von unten wie geisterhaft beleuchtet. Die Kostüme von Henrike Bromber sind realistisch zeitgemäß bis heutig. Bei Grimes fällt auf, daß er immer in kurzen Arbeitshosen auftritt, der totale Gegensatz zu Ellen in weißseidenem fliegendem Kleid. Die Auntie geht in Panther-Leggins, die beiden Nichten in rot- und gelbkarierten kurzen Röcken.
 
Der Chor und Extrachor sind im Dauereinsatz und singen sich dabei immer wieder in klanggewaltige Rage. Die umfangreiche Einstudierung hat Dani Juris übernommen. Die Titelfigur ist Roy Cornelius Smith, und er hat an seiner Wirkungsstätte wieder eine starke und überzeugende Performance inne. Szenisch wirkt er rollengerecht fahrig und verhuscht. Sein Gesang wirkt sehr angerauht, und sein Tenor ist hart und dunkel timbriert, dabei auch manchmal fast larmoyant winselnd. Die Aufschwünge in hohe Regionen gelingen gefühlsmäßig und überzeugend. Astrid Kessler als Ellen ist ganz feenhaft konnotiert und hat im Gegensatz zu ihm einen becantescen, fast zarten Sopran zu bieten. Am Ende hängt sie verzweifelt wie tot mit dem Kopf nach unten von einem Tisch herab.
 
Kapitän Balstrode führt in diesem Moment Grimes weg zum Meer (es gibt keine Boote). Es ist, weißhaarig in dunkelblauer Uniform,Thomas Berau mit kraftvoll timbriertem Bariton. Die Auntie singt Rita Kapfhammer mit etwas flippigem Mezzo, die beiden ‚Niecen‘ mit hübschen Sopranen Natalija Cantrak und Ji Yoon. Den Methodisten-Fischer gibt tenoral Raphael Wittmer, die Mrs.Sedley mit pointiertem Mezzo Marie-Belle Sandis. Der Richter wird von Sung Ha mit virtuosem wohlklingendem Baß gesungen, der Pfarrer extrovertiert tenoral von Uwe Eikötter. Apotheker ist tenoral Ilya Lapich. Marcel Brunner komplettiert das Ensemble bassal als Jim Hobson. Die stumme Rolle des Dr.Crabbe bekleidet im Tweed Intendant Albrecht Puhlmann.
 
Friedeon Rosén

 

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