Mannheim: „PARSIFAL“ – 15.04.2022
Julia Faylenbogen (Kundry). Foto: Christian Kleiner
Fast auf den Tag am 14. April 1957 hatte der „Parsifal“ Richard Wagners „Bühnenweih-Festspiel“ am Nationaltheater Premiere und die legendäre an Neu-Bayreuth orientierte Inszenierung von Hans Schüler erreichte nun das Rentenalter. War der Rezensent bereits als blutjunger Operneleve im ersten Aufführungsjahr dabei, bezieht inzwischen im Gegensatz zur Produktion längst die Rente und diese denkwürdige Inszenierung dürfte wohl noch weitere viele Jahre Besucher aus aller Welt faszinieren. Dank großzügiger Sponsoren u.a. dem Richard-Wagner-Verband wurden in letzter Zeit Kostüme (Gerda Schulte) und Bühnenrequisiten (Paul Walter) erneuert sowie zu sekundenschnellen Bühnen-Verwandlungen die Diaprojektionen digitalisiert. Wie dereinst erscheinen die Konturen der Gralsburg, die Waldwanderung sowie Klingsors Zaubergarten zu prächtigen Farbkontrasten in neuem Licht, natürlich auch dem dankenswerten Einsatz des vortrefflichen Lichtdesignteams erhielten die Illuminationen neuen Glanz. Somit bekommen die Worte von Gurnemanz erneut Zum Raum wird hier Zeit doppelte Bedeutung.
GMD Alexander Soddy verlässt zum Ende der Spielzeit das NTM, inzwischen stellten sich eine Reihe von Gastdirigenten vor so auch heute gastierte der 62jährige taiwanesische Dirigent Shao-Chia Lü, seit Jahren an deutschen und europäischen Opernhäusern u.a. Hannover, Berlin etc. längst kein Unbekannter mehr, waltete nun am Pult des bestens disponierten Nationaltheater Orchesters und verlieh dem Karfreitags-Parsifal bedeutungsvolle Würde. Zunächst wählte Lü gemäßigte Tempi, dennoch von innerer Spannung erfüllt und verlieh der Partitur im weiteren Verlauf eine intensive sich steigernde Transparenz. Von Anfang an setzte der chinesische Gast auf ein integriertes Ineinanderfließen der musikalischen Thematik des Werkes. Etwa beispielweise beim Abendmahl, wenn sich Largo-Motive zur Ursubstanz bildeten, außerhalb fühlbarer Zeiterfahrung, in Wellen durch die Streicher zogen, sich in zyklischen Triolen die Bläser zum Phatos des Gesamtklangs formierten. Autoritär im Überblick strukturierte der erfahrene Dirigent Wagners elementare Komposition in gravitätischer Ruhe und Evidenz. Wunderbar flüssig, sich herrlich in stimmungsvolle Dimensionen steigernd erklang der Karfreitagszauber, schuf hoffnungsvolle atmosphärische Momente, welche die Streicher nuanciert ausmusizierten zum orchestralen Nachspiel des Erlösungsmotives poetisch formuliert regelrecht zum Himmel strebend zelebrierten.
Wie könnte es anders sein, von derart solitärer orchestraler Bordüre umwoben, fühlten sich das verhältnismäßig junge Solist*innen-Ensemble zu sanglichen Glanzleistungen inspiriert und verstand mit Homogenität und Massivität zu überzeugen, allen voran Julia Faylenbogen reüssierte mit einer vortrefflichen Kundry und erweiterte nach der vorzüglichen Brangänen-Interpretation erfolgreich ihr Wagner-Repertoire. In glaubwürdiger Bühnenpräsenz verkörperte sie die attraktive Höllenrose und zu knisternd-erotischer Ausstrahlung die (vergebliche) Verführerin. Mit dunklen, warmen Tönen lockte Faylenbogen den Widerstrebenden, schenkte der Herzeleide-Erzählung mit weitem Atem, ansprechendem Timbre glaubwürdige Intensität. Die dramatisch-ausufernden Höhenattacken meisterte die exzellente Sängerin in souverän differenzierter, klangvoller Dynamik und reihte sich nahtlos in die illustre Schar ihrer prominenten Rollenvertreterinnen am Hause (Meier, Schnaut, Polaski, Nejceva, Braun etc.) ein.
Patrick Zielke (Gurnemanz), Jonathan Stoughton (Parsifal). Foto: Christian Kleiner)
Ein neuer Parsifal stellte sich vor Jonathan Stoughton, der britische Tenor sorgte bereits letzte Spielzeit mit einem grandiosen Gast-Kaiser in der „Frau ohne Schatten“-Serie für Furore, glänzte nun erneut mit einem atemberaubenden Parsifal-Debüt. Die reifere Damenwelt geriet bar der schlanken, großen Erscheinung des attraktiven Sängers geradezu in Verzückung jedoch nicht nur optisch, sondern war sich ebenso den tenoralen Qualitäten bewusst und wie das gesamte Auditorium regelrecht hingerissen. Die Vorstellung vom Leiden, vom Mitgefühl wird als universeller Gedanke im menschlichen Wesen ob nun religiös oder emotional transgredient gelebt, somit erschien mir heute Parsifal, vermutlich dank persönlicher Emphase Stoughtons nicht als tumber Tor, sondern als unbefangener Naturbursche bei welchem Verständnis und Barmherzigkeit aus der bisherigen Lebenserfahrung erwuchsen. Berührend die hilflose Geste während des Amfortas-Leidensmonologs und Blick in die Runde der Gemeinschaft: hilft denn hier Keiner? Geprägt von sehr starker darstellerischer Präsenz gelang dem Sänger ein Portrait von immens humanistischer Sympathie. Vokal schöpfte Jonathan Stoughton ebenfalls aus dem Vollen mit jugendlich hellstrahlendem, bruchlos geführtem Tenor schien sich der Sänger in der Partie sichtlich wohl zu fühlen. Weiche Kantilenen, ausgezeichnete Phrasierungen, frische Couleurs, feine dunkle Tönungen der Mittellage, ein herrliches klangschönes Timbre sowie das strömende Legato zu bester akzentfreier Artikulation, waren seine glanzvollen Attribute und avancierte somit zum gefeierten Publikumsmagneten. Auf Erik, Siegmund und Siegfried (Götterdämmerung) in Kürze darf man sich freuen.
Zu dynamischem Erzählton, kraftvoll-hohem Bassfundament, ansprechend kernigem Timbre, vorbildlicher Deklamation, ausdrucksstarken Pianis, klangschön kultivierter Formation und dezenter Darstellung reüssierte Patrick Zielke mit seinem Gurnemanz-Portrait.
Ebenso eindrucksvoll profilierte Nikola Diskic den Amfortas und fesselte mit charismatischer Darstellung als leidender Gralskönig zu imponierender Bühnenpräsenz. In absoluter Artikulation verstand es der junge Sänger seinen wohltimbrierten Bariton zu teils weicher Linienführung vortrefflich phrasiert, markant wohltönend einzusetzen, gipfelnd in den berührend-schmerzvollen Erbarmen-Rufen.
Viril in bester Vokalise erklang Titurel aus dem Off, Bartosz Urbanowicz schenkte ihm mit seinem herrlichen Bassbariton königliche kraftvolle Würde. Mit gewohnt qualitativem Fundament präsentierte Ks. Thomas Jesatko zu kernigen Bassbariton-Farben den dämonisch-mystischen Klingsor.
Pastos erklang die Altstimme aus der Höhe (Maria Polanska), engagiert bedrängten vokal ausgewogen die Blumenmädchen (Estelle Kruger, Rebecca Blanz, Shachar Lavi, Seunghee Kho, Jelena Kordic, Maria Polanska) den neugierigen Parsifal. Als Gralsritter, Knappen fungierten Juraj Holly, Serhil Moskalchuk, R. Blanz, M. Polanska, Uwe Eikötter, Haesu Kim. Großartig, geradezu sensationell disponiert in gehaltvoller Klangkultur und zu Recht in die Beifallsstürme mit einbezogen formierten sich Opernchor, Bewegungschor des NTM (Dani Juris). Schon immer vom Rezensenten und Publikum gleichermaßen hochgeschätzt und bewundert wurden die Qualitäten der Vokalgemeinschaft, doch in so herrlich nuancierter Klangtransparenz, im leichten Schweben der Frauenstimmen und pastos-mächtiger Entfaltung der Herren vernahm man sie selten zu vor. Diese Karfreitags-Aufführung stellte qualitativ so manchen Festlichen Opernabend in den Schatten und wurde entsprechend mit Bravochören und Beifallsstürmen überschüttet.
Gerhard Hoffmann