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MANNHEIM/ Nationaltheater: L‘INCORONAZIONE DI POPPEA. Premiere

Acqua Alta mit Monteverdi

13.04.2018 | Oper


Auseinandersetzung Nerone – Seneca. Magnus Staveland, Bartos Urbanowicz. Copyright: Christian Kleiner/Nationaltheater

Mannheim Nationaltheater: L‘INCORONAZIONE DI POPPEA

Acqua Alta mit Monteverdi

Premiere am 12.4.018 – Karl Masek

 Die Krönung der Poppea stellt grausam und drastisch den sittlichen und moralischen Verfall des römischen Reiches dar. Und Claudio Monteverdi erzählt gemeinsam mit seinem Librettisten Giovanni Francesco Busenello vom Triumph einer Gesellschaft, die sich nicht um Moral schert, in der Tugend bestraft und Habsucht belohnt wird. Der Sieg der Liebe ist nur ein scheinbarer. Der Gier nach Sex und Macht fällt alles andere zum Opfer…

Regisseur Lorenzo Fioroni faszinierte nach eigenen Angaben das Experimentierfreudige, das Maßlose, aber auch das „Unfertige“ an diesem Opus summum. Vieles bleibt durch voneinander abweichende Fassungen offen. So manches dürfte gar nicht von Monteverdi komponiert worden sein. Man zweifelt inzwischen sogar an, ob das Schlussduett Nerone/Poppea mit Ohrwurm-Charakter Pur ti miro, pur ti godo („Nur dich sehe ich, nur du erfreust mich“) von Monteverdi stammt…

Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch heute gerade bei barocken Opern immer wieder neue Fassungen entstehen und Bearbeitungen in großer Zahl existieren. So auch im gegenständlichen Fall. Also Fassung 2018, Nationaltheater Mannheim.

Die Handlung spielt ursprünglich etwa 62 n.Chr. in Rom. Aber das Opus wurde in Venedig uraufgeführt, also war die „…zentrale Inspiration für die Bildwelt … der Ort der Uraufführung“, so Fioroni. Venedig als Metapher für ein brüchiges Staatswesen, das obendrein auf empfindlichem Fundament steht.

Also schien für das Produktionsteam folgerichtig, das Stück auf dem Wasser (vor allem im Wasser) spielen zu lassen. Und man flutete die gesamte Bühne. Acqua Alta also in Mannheim. Samt einer zusätzlichen „Geräuschtabulatur in Permanenz“, wenn Protagonisten und Volk im Wasser umherstapfen, ins Wasser gestoßen werden, gewalttätige Aktion stattfindet.

Nun hat Fioroni (mehrfach mit Theaterpreisen ausgezeichnet) eindrucksvoll bewiesen, dass seine Inszenierungen effektvoll und bildmächtig sind. Mein diesbezügliches Erinnerungsblatt ist noch ziemlich frisch: 2016, Opernhaus Graz, Bohuslav Martinus „Griechische Passion“. Auch sein Monteverdi ist in der monumentalen Blickfang-Ausstattung von Paul Zoller und dem suggestiven Lichtdesign von Franck Evin von großer Wucht und ebensolcher Eloquenz. Da wäre das zusätzliche Acqua Alta mit dem Zinnober aller Darsteller in Neoprenanzügen zusätzlich zur sonstigen Kostümierung samt urtümlich wilder Langhaarperücken (Sabine Blickenstorfer) gar nicht nötig gewesen!

Einige Szenen zeigen eindringlich, geradezu verstörend, Fioronis „Theaterpranke“: das Bild der von Nerone betrogenen Kaiserin Ottavia, in dem sie eine erschütternde Psychostudie eines alkoholkranken Wracks zeigt; die Auseinandersetzung Nerones mit seinem Lehrer Seneca unter dem Leuchter, der offenbar das römische Weltreich symbolisieren soll. „Jupiter gehört der Himmel, aber mir gehört die Erde…“, der er immer wieder Lichter „ausschaltet“ – hier grüßt Charles Chaplins Der große Diktator, der mit der Weltkugel balanciert; die Rückblende auf den Tod der Agrippina mit einem atemberaubenden Trauermarsch; das öffentliche, qualvolle Sterben des stoischen Philosophen Seneca, zum Suizid gezwungen, …

Wie es überhaupt vor der Pause höchst spannend bleibt. Nach der Pause schleichen sich ein paar gefährliche Längen ein, hervorgerufen durch des Regisseurs auffällige Vorliebe für szenische Fermaten, die in allzu lange Generalpausen münden. Die komischen Szenen zünden nicht ganz so, wie sie sollen. Und mit einigen Einfällen geht Fioroni durchaus an Geschmacksgrenzen.

Musikalisch war diese Premiere überwiegend vom Feinsten. Jörg Halubek stellte eine großartige musikalische Bearbeitung zusammen. Sehr früh in der Konzeptionsphase entstand die Idee, mit Rückblenden zu arbeiten, z.B. den gewaltsamen Tod von Nerones Mutter einzublenden. Die Partitur wurde mit Musik angereichert, welche älter ist als die Monteverdis. Eine höchst gelungene Ergänzung!

Das Stuttgarter Gastorchester il Gusto Barocco spielte diese Fassung mit Risikobereitschaft, ungeheurer Frische, sinnlicher Farbenpracht und großer Emotion. Hervorragend das Continuo, klangmächtig die Posaunen, Zink, Flöte, die Harfe, die Theorbe: alle erstklassig.

Großen Respekt verdienen die begeisterten Amateure des ALPHABET-Chor und der Statisterie des Nationaltheaters Mannheim. Sie trugen viel dazu bei, dass diese Premiere als überwiegend gelungen bezeichnet werden kann. Einstudierung: Joe Völker, Matteo Pirola.


Nerone und Poppea: Magnus Staveland und Nikola  Hillebrand. Copyright: Christian Kleiner/Nationaltheater

Last but not least die Sänger/innen – die sich allesamt eine Sonderovation für die tollkühne Arbeit in Acqua Alta verdient haben:

Magnus Staveland, „Nerone“: Bis in die Haarspitzen der irre, brutale, selbstverliebte, perverse Tyrann, der alle(s) beseitigen lässt was seiner Machtgeilheit im Wege ist. In der Mannheimer Fassung tötet er nach der Krönung Poppeas Amor . Augenblicklich ist es auch mit der Beziehung zur Kaiserin vorbei. Die Liebe ist tot. Sein Tenor: baritonal grundiert, zu vielschichtigen Valeurs fähig.

Nikola Hillebrand, „Poppea“: Ein gelungenes Hausdebüt! Erotische Bühnenerscheinung, große Präsenz, eiskalte Ausstrahlung. Ihr Sopran: sinnlich, glasklar, bombensichere Höhen.

Marie-Belle Sandis, „Ottavia“: Sie besingt mit ausducksintensivem Mezzosopran nicht nur ihr addio Roma auf ihrem Wg in die Verbannung bewegend. Sie ist auch jeder Zoll die tragische Figur zwischen Verlassenheit und erpresserischer Bösartigkeit.

Bartosz Urbanowicz, „Seneca“: Großartig in seiner Argumentationskunst und der inneren Ruhe gegenüber Nero. Seine Todesszene lässt den Atem stocken. Sein Bass verströmt samtigen Wohllaut wie markigen Ausdruck.

Terry Wey, „Ottone“: Mit perfekt gezirkelter Körpersprache ist er haargenau der betrogene unglückliche Geliebte Poppeas, der Melancholische, Leidbereite, von der Mordausführung Entsetzte. Eine Frau immer noch im Herzen, die andere („Drusilla“) wieder an den Lippen, die Ex-Kaiserin erpresst ihn und stiftet ihn zum Mord an Poppea an. Klar, dass der misslingt. Sein Altus flutet sanft, wenn er klagt oder Trost sucht…

Amelia Scicolone, „Drusilla“: Ihr quellfrischer Sopran erfreute. Die Figur der Geliebten Ottones, die sich neue Hoffnungen macht, erspielt sie sympathisch und natürlich.

Aufhorchen lassen Fridolin Bosse, mit leicht abgedunkeltem Knabensopran, als „Amor“, Maria Markina („Fortuna“) und Laura Verena Incko („Virtu“). Soldaten, Hofdichter, Amme und Vertraute ergänzten eher unauffällig.


Drusilla und Ottone: Amalia Scicolone und Terry Wey. Copyright: Christian Kleiner/Nationaltheater

Mit dreidreiviertel Stunden war der Abend durchaus strapaziös und es sei nicht verschwiegen, dass die Reihen nach der Pause etwas gelichtet waren. Die Barock-Fans blieben und akklamierten alle Mitwirkenden mit starkem Beifall.

Pragmatisch gesprochen: man wünscht allen auf der Bühne robuste Gesundheit. Alle mögen für die weiteren sieben Reprisen gesund bleiben und Acqua Alta gut überstehen!

Karl Masek

 

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