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MANNHEIM/ Nationaltheater: JOLANTHE von Tschaikowsky – konzertant

26.01.2018 | Oper

Bartosz Urbanowicz (René) Benjamin Reiners Copyright Hans Jörg Michel
Bartosz Urbanowicz, Benjamin Reiners. Copyright: Hans Jörg Michel

Mannheim/ Nationaltheater: „JOLANTHE“ – 25.01.2018

Durfte ich bisher Peter Tschaikowskys „Jolanthe“ in Kombination mit Einaktern div. Komponisten erleben, entschied sich das Nationaltheater für die konzertante Aufführung ohne Beigabe, der Slogan: in der Kürze liegt die Würze bestätigte sich auf das Wunderbarste! Die letzte des russischen Komponisten auf ein Libretto seines Bruders Modest nach der Dramenvorlage des Dänen Henrik Hertz, lebt von den poetischen Momenten und symbolistischen Charakteristik der Hauptfiguren.

Die junge, blinde Jolanthe wird von ihrem Vater aus Sorge um ihren Makel und zum Schutz ihrer Jungfräulichkeit sowie den Widrigkeiten der Außenwelt in einen paradiesischen Garten in der Provence gesperrt. Sein Befehl sie um ihre Blindheit unwissend zu lassen untermauert der Arzt, sehen werde sie nur können, wenn sie es selbst wolle, gleich welche Ängste aus der vollständigen Erkenntnis der Welt erwachsen. Als der junge Vaudémont in ihre Welt einbricht und sich beide ineinander verlieben, befreit er sie aus ihrer Unwissenheit, erklärt was Farbe und Licht bedeuten. Erst die Liebe zu ihm macht sie sehend.

Tschaikowskys Jolanthe nimmt in seinem Opernschaffen eine Sonderstellung ein: neben dem Happyend, der Apothese des Lichts und der Liebe mit einem sakral geprägten Finalchoral, ist es ein Werk ohne Bezug auf die russische Geschichte und spielt in der Provence. Die dunkle Welt der Jolanthe zeichnet der Komponist zu Beginn durch eine Introduktion ausschließlich für Bläser. Erst mit Eintritt in die unbekannte Welt des Lichts ließ Tschaikowsky den warmen Streicherklang einfließen, schenkte seiner Jolanthe einen temporären überwältigenden Melodienreichtum mit Anklängen aus der Jungfrau von Orleans, Pique Dame und Balletten.

Souverän leitete Benjamin Reiners das bestens disponierte NT Orchester und animierte zu satten instrumentalen Spannungsbögen sich steigernd in massivem Klangrausch. Vortrefflich artikulierten sich die Holzbläser und ganz besonders die warmen Celli in einer ausgezeichnet konzentrierten orchestralen Gesamtleistung. Ganz besonders gelangen dem Dirigenten die poetisch untermalten Frequenzen, die herrlichen lyrischen elegischen Momente, die Harmonien zu den homophonen Soloparts, wunderbar die sich steigernden Rhythmen mit den beiden Harfen zum Liebesduett und erschloss bewundernswert die vielfältige Pracht dieser genialen Partitur.

Dazu bot sich dem Auge eine optisch geniale Produktion zur dezent dramaturgisch choreographischen, halbszenischen Personenführung (Jan Dvorak): Jolanthe anmutig, mädchenhaft, sonnambul in weißer Robe, die Amme und zwei Freundinnen Jolanthes in schlichtem Schwarz, die Herren im Frack agierten alle Protagonisten in trefflichster Darstellung wissend um die Materie gleich einer genialen Inszenierung. Was will man mehr?

Astrid Kessler (Jolanthe) Sergey Skorokhodov (Vaudemont) Copyright Hans Jörg Michel
Astrid Kessler, Sergey Skorokhodov. Copyright: Hans-Jörg Michel

Astrid Kessler bezauberte in bezwingend-natürlichem Spiel und schenkte dem grazilen Erscheinungsbild der Jolanthe die hinreißende Aura des melancholischen jungen Mädchens. In bestechend vokaler Präsenz breitete die Sopranistin das breite Kaleidoskop an Ausdruckskraft und sanglicher Gestaltung ihrer bestens fokussierten Stimme aus, erfüllte die Partie mit strahlkräftigen Höhenaufschwüngen und dramatischem Touch. Ich vermisste lediglich teils die lyrischen Tongebungen (da ich´s bisher anders kannte) im Widerstreit zur bezaubernden Optik, doch schmälert dieser persönliche kleine Einwand keineswegs die vortreffliche Gesamtleistung der vielseitigen Künstlerin.

Der Gasttenor Sergey Skorokhodov verkörperte den Vaudémont bereits mehrfach an diversen Häusern, bewegte sich unbekümmert in ausgezeichneter Mimik ohne Notenständer und glänzte mit begeisternden vokalen Mitteln. Seine kräftige metallische Mittellage setzte der russische Sänger speziell dramaturgisch motiviert ein, steuerte seiner Romanze feurige Euphorie bei und schien zur Stufenleiter des sich steigernden Höhenpotenzials keine Grenzen zu kennen. Das technisch einwandfrei fundierte, strahlkräftige Material ließ lediglich zuweilen den tenoralen Schmelz, die lyrische Kantilene vermissen. Die vokale Ekstase des Duetts mit Kessler entfachte beim Publikum einen Beifallssturm ohnegleichen.

Höhensicher, kultiviert, belkantisch brillierte Jorge Lagunes mit herrlich timbriertem Bariton als Robert und schenkte der Partie die fließend schöne Linie, freie prächtige Höhen zum gesanglich dynamischen Höhepunkt.

Bartosz Urbanowicz zeigte in der Partie des königlichen Vaters René einmal mehr, wie gut sich sein in allen Registern gleich sicher ansprechender heller Bass entwickelt hat und bot (für mich) die schönste „tiefe“ Stimme des Abends.

Ausgezeichnet und ohne die sonst knödelnden Untertöne glänzte Valentin Anikin mit sonorem Bass als würdevoller Heiler Ibn-Hakia. Mit herrlich-weichem Bass-Timbre rückte sich Milcho Borovivov in der leider viel zu kurzen Partie des Bertrand in den Fokus der Aufmerksamkeit. Schöne tenorale Akzente vernahm man ebenso vom Waffenträger Almerik (Joshua Whitener).

Der klangvolle warme Mezzosopran Lucie Hilscherová erschien mir als Luxusbesetzung in der kleinen der Martha. Klangschön fügten sich die Soprane Ji Yoon (Brigitta) und Iris Marie Sojer (Laura) vom Opernstudio ins Geschehen.

Jeweils durch einen Vorhang szenisch getrennt glänzten zunächst in bester Vokalise die Damen und später im hymnischen Schlusschoral die Herren des NT Chores von Dani Juris bestens vorbereitet in schenkten der Handlung den krönenden Kick.

Zehn Minuten prasselnder Applaus, Bravochöre des begeisterten Publikums würdigten die wohl bisher qualitativste Opern-Premiere der Saison. Für Opernfreunde aus nah und fern ein „absolutes Muss“, Ferngebliebene bestraft das Leben.

Gerhard Hoffmann

 

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