Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

MANNHEIM/ Nationaltheater: GÖTTERDÄMMERUNG. Premiere. Musiksprache in Bilderrätseln

31.07.2022 | Oper international

Premiere „Götterdämmerung“ von Richard Wagner im Nationaltheater am 30.7.2022/MANNHEIM

Musiksprache in Bilderrätseln

siegfried und rheintöchter (c) christian kleiner
Siegfried und die Rheintöchter. Copyright: Christian Kleiner

Für die südkoreanische Regisseurin Yona Kim ist das Orchester der Erzähler der ganzen Geschichte des „Rings“. Instrumente liegen auf dem Boden oder fallen im Rahmen visueller Sequenzen herab, das Ensemble im Orchestergraben wird reflexartig auf der Bühne sichtbar (Video: Benjamin Jantzen; Bühne: Anna-Sofia Kirsch; Kostüm: Falk Bauer). Beim Auftritt der Nornen zu Beginn des Werkes sieht man überdimensional eingeblendete Buchtitel von Marx, Feuerbach, Hegel und Bakunin – Geister, mit denen sich Wagner zeitlebens intensiv auseinandersetzte. Manche Bilder erschließen sich hier schneller wie andere – und es gibt immer wieder szenische Schwächen, die sich nicht auflösen lassen. Dazu gehört die erste Begegnung des Liebespaares Brünnhilde und Siegfried, das sich emotional nicht wirklich zu finden scheint. In der Gibichungenhalle sieht man dann wieder Hinweise auf die Anwesenheit eines großen Orchesters, obwohl die Musiker fehlen. Zuweilen wünscht man sich auch eine klarere Personenführung im Zusammenspiel von Hagen, Gunther, Gutrune und Siegfried. Bei der Reichung des Vergessenstranks an Siegfried durch Gutrune spürt man durchaus eine unheimliche Veränderung in der allgemeinen Stimmung –  insbesondere dann, wenn Siegfried Brünnhilde endgültig vergisst. Hagens Selbstgespräch am Rhein wiederum besitzt hier durchaus eine gewisse dämonische Größe, die man aber auch noch schärfer herausarbeiten könnte. Blutverschmiert erscheint Waltraute am Walkürenfelsen (den man hier nicht sieht) und berichtet  fassungslos von Wotans Todeswunsch. Die Welt wäre erlöst, wenn Brünnhilde den Ring dem Rhein zurück gäbe. Wieder mehr Dramatik kommt ins Geschehen, als Siegfried in Gunthers Gestalt Brünnhilde den Ring entreisst und sie ins Gemach treibt. Gleichzeitig wird Waltraute von Männern festgehalten und gefangen genommen.

Präziser wird in dieser Inszenierung der zweite Aufzug dargestellt, wo das Nachtgespräch Hagens mit Alberich (der einen Klumpfuß hat) auch von einer Kamera festgehalten wird  und drastische Präsenz erhält. Nebel durchbricht die drehbare Bühne. Auf der Bühne kommt es zu einer erheblichen optischen Vergrößerung, als Hagen die Mannen zusammenruft. Da sieht man den Chor im Vordergrund vor dem Orchester und an den Seitenemporen, das Vokal-Ensemble hat somit fast den Zuschauerraum erobert. Starke Intensität erhält der gemeinsame Auftritt von Brünnhilde, Hagen und Gunther, die die Ermordung Siegfrieds beschließen. Da finden auch die Personen gut zusammen. Im Hintergrund erkennt man einen überdimensionalen Kaiser-Wilhelm-Helm sowie einen Ring, es kommt immer wieder zu raffinierten optischen Verfremdungen des Bühnengeschehens. Aber es fehlen deutliche Hinweise auf inhaltliche Zusammenhänge.

Noch breitflächiger scheint dann der dritte Aufzug angelegt zu sein, wo die Rheintöchter von Siegfried den Ring zurückverlangen und ihn vor dem Ringfluch warnen. Siegfried scheint zugleich mit einer Rheintochter eine Affäre beginnen zu wollen, wird jedoch zurückgewiesen. Der Jagdgesellschaft im Wald fehlt der mystische Zauber, die Welt wirkt in Yona Kims Inszenierung auch hier seltsam statisch und scheint von einem Technikfluch stark betroffen zu sein. Bei der Ermordnung Siegfrieds durch Hagen (der diesen regelrecht erwürgt) kommt es nochmals zu einer heftigen Bewegung im szenischen Geschehen. Zu den besten Szenen dieser Regie-Arbeit zählen auch die Schluss-Szenen, wo Hagen Gutrune über die Ermordung Siegfrieds im vollen Scheinwerferlicht aufklärt. Hier findet Yona Kim plötzlich zu einer plausiblen Personenführung, die schon zuvor notwendig gewesen wäre. Bei Brünnhildes Schlussgesang scheint die Bühne langsam zu verbrennen. Man sieht Brünnhilde immer wieder blutverschmiert in Großaufnahme, die allein im Zuschauerraum sitzt oder sich um den toten Siegfried auf der Bahre kümmert. Dazu erscheint ein kleiner Junge, der offensichtlich schemenhaft noch einmal Erinnerungen an den jungen Siegfried heraufbeschwört. Diese Musiksprache in seltsamen Bilderrätseln löst sich aber nicht immer sinnvoll auf, sondern hinterlässt auch viele Fragen oder zerfällt in Einzelteile. Zuletzt bringen sich Alberich und Hagen auf der offenen Bühne gegenseitig um. Zuweilen hat Yona Kim als Regisseurin den gewaltigen Zusammenprall der einzelnen szenischen Blöcke recht gut im Griff, auch wenn zuweilen der logische Zusammenhang zu fehlen scheint. Rein musikalisch ist diese „Götterdämmerung“ allerdings ungleich überzeugender und einprägsamer. Alexander Soddy hat als Dirigent die unglaubliche Motiv-Vielfalt der Komposition voll im Blick, die leitmotivische Verknüpfung verliert er mit dem fulminant musizierenden Orchester des Nationaltheaters Mannheim nie aus den Augen. Dies gilt auch für die grandiose chorische Polyphonie, die sich vor allem im zweiten Aufzug bewährt. Da hat der Chor des Nationaltheaters Mannheim große Momente. Wie stark Singstimme und Orchester hier zu wichtigen Trägern des Ausdruckswillens werden, machen die Sängerinnen und Sänger deutlich. Die Brünnhilde von Lise Lindstrom besitzt trotz vokaler Schärfe ein großes gesangliches Volumen, das ihr auch leuchtkräftige Spitzentöne und einen langen Atem ermöglicht. Starkes Profil hat ebenso der von Jonathan Stoughton sehr jugendlich verkörperte Siegfried. Der vor allem gegen Ende hin brutal-robuste Hagen von Patrick Zielke sowie Thomas Berau als Gunther bieten ihm mit dramatischer Schärfe die Stirn und sorgen wiederholt für bemerkenswerte dynamische Kontraste. Dass Gunther einen hohen und Hagen einen tiefen Bass besitzt, wird hier allerdings streckenweise aufgehoben, denn beide Sänger haben ein relativ helles Timbre. Marie-Belle Sandis besitzt als Waltraute eine klare Stimmführung, wobei sie sich gegen die gewaltigen Klangfluten Brünnhildes manchmal nur mühsam behaupten kann. Interessantes Profil hat Astrid Kessler als Gutrune – vor allem auch in darstellerischer Hinsicht. Sie wehrt sich deutlich gegen das Unrecht, das man ihr angetan hat. In weiteren Rollen gefallen stimmlich ausgewogen Mirella Hagen, Rebecca Blanz und Maria Polanska als Woglinde, Wellgunde und Flosshilde sowie Julia Faylenbogen, Jelena Kordic und Astrid Kessler als erste, zweite und dritte Norn.

Das Orchester des Nationaltheaters Mannheim unterstreicht immer wieder mit starker Basslastigkeit der Blechbläser die monumentalen Momente dieser komplexen Partitur, deren Sogwirkung und Zauberkraft von Alexander Soddy als Dirigent nicht verleugnet werden. Siegfrieds Trauermarsch könnte einen noch größeren Bogen besitzen. Ansonsten achtet Soddy auf formale Klarheit. Dies zeigt sich vor allem bei Brünnhildes Schlussgesang und im ungeheuer vielschichtigen Orchesternachspiel, wo sich das schwungvoll gestaltete Motiv der Liebesallgewalt mit dem Siegfried-Motiv kunstvoll verknüpft. Zuletzt erscheint es in präzis herausgemeisselten Engführungen, dann folgen Loge-Motive und die chromatische Gegenbewegung von Sext-Akkorden. Sehr schön arbeitet Alexander Soddy mit dem Orchester dann auch die drei Haupt-Motive des Dramas heraus, die in eherner Größe als Walhall-Motiv, Spiel-Motiv der Rheintöchter und Motiv der Liebesallgewalt erscheinen und das Werk in bewegender Weise beschließen.

Ovationen gab es vor allem für Sänger, Orchester und den Dirigenten.

Alexander Walther

 

Diese Seite drucken