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MANNHEIM/ Nationaltheater: GÖTTERDÄMMERUNG. Der Ring der nie gelungen… Premiere

31.07.2022 | Oper international

Mannheim / Nationaltheater: „GÖTTERDÄMMERUNG“ – 30.07.2022                                      

                       Der Ring der nie gelungen…

lise lindstrom jonathan stoughton (c) christian kleiner
Lise Lindstrom, Jonathan Stoughton. Foto: Christian Kleiner

Wie bereits beim „Rheingold“ erwähnt stemmte das Nationaltheater sein Ring-Projekt innerhalb drei Wochen und nun fiel der Vorhang zur „Götterdämmerung“ von Richard Wagner endgültig für die nächsten 4 (?) Jahre der Sanierungspause am Goetheplatz. Nun dämmerte es den Göttern! Dem verschaukelten Publikum dämmerte es auch und erhob teils lautstarken Einwand. Ob es den selbsternannten Göttern im Theater-Olymp dämmerte, bleibt vorerst fraglich und wird sich in naher Zukunft zeigen. Zum Ende einer Spielzeit liegt noch kein endgültiges Programm-Konzept für  die Nächste vor – das gab es während der letzten sechs Jahrzehnte, auch während bisheriger Sanierungs-Phasen noch nie! Doch nun zum visionären „Bühnenzauber“ von Yona Kim, sie litt noch immer unter dem Instrumental-Syndrom oder hat sich ihrer inzwischen das Porzellan-Syndrom bemächtigt – unergründlich! Das Team  Anna-Sofia Kirsch (Bühne), Falk Bauer (Kostüme) sowie die beiden Benjamin(e) der Video (Jantzen)-und Kamera- (Lüdtke) Künstler passten sich in bewährter Form an.

Die Nornen, moderne intellektuelle Frauen im Mini spannen invisibel das Seil auf Plastikhockern platziert, nahmen diese wie es sich für wohlerzogene Töchter gehört mit hinab zur Mutter und sangen davor homogen ausgezeichnet  in differenzierten Stimmlagen (Julia Faylenbogen, Jelena Kordic, Astrid Kessler) vom nahen unheilvollen Ende. Siegfried übergab Hagen zu den Worten Wohl hüte mir Grane! Du hieltest nie von edlerer Zucht am Zaume ein Ross ein Cello, welcher es achtlos gen hinnen warf. Gutrune ein  loses Lieschen, wie dereinst die Mama,  wurde vom attraktiven Siegfried (er stand ja schließlich unter Drogen) schon mal vorehelich zur Probe flachgelegt. Bruder und Halbbruder fungierten als gestiefelte Kater. Die Rheintöchter drei freizügige halbseidene Glitzer-Wesen zeigten dem willigen Siegfried sowie den Herren der Jagdgesellschaft was Sache ist. Jedoch geizten die Mädels (Mirella Hagen, Rebecca Blanz, Maria Polanska) in keiner Weise mit famosen vokalen Reizen, vermittelten in ausgewogener Melodienführung bodenständige Naivität und emotionale Weisheit. Alberich mit Beinprothese mahnte den machtgierigen Hagen vergeblich zur Treue, wurde zur Final-Szene zurück vom Ring noch mit letzter Kraft gemeuchelt nachdem ihn Papa zuvor mit der Gehstütze erstach. Da sage Einer in der Oper sei nichts los oder gar langweilig? Natürlich stimmte es mich als Betrachter dieser kuriosen Banalitäten (nach bisher zwei Dutzend erlebter überwiegend genialer Ring-Versionen) maßlos traurig bar dieser Material-Zeit- und Geldverschwendungen, ich zitiere erneut: Mühe ohne Zweck! Gewiss hatte der ganze Zinnober einen gewissen (verfehlten) Unterhaltungseffekt und man wähnte sich bei „den lustigen Nibelungen“.

Jetzt aber endlich zum Erfreulichen: Ohne die großartigen Vokalleistungen des hervorragenden Ensembles zu schmälern, waren die  Stars des Abends unweigerlich GMD Alexander Soddy und das prächtig disponierte Orchester des Nationaltheaters. Mir erschien Soddy´s Interpretation einem Griff nach den musikalischen Sternen am Wagner-Firmament, ein Eintauchen ins Mystische der Partitur, derart sensitiv wie heute während seiner (vor)läufigen letzten Opernaufführung am Hause erlebte man den scheidenden GMD sehr selten. Das prächtig aufspielende NT-Orchester folgte präzise den Intentionen seines Leaders, zauberte opulente Bögen, feingeschliffene Kanten, kristallklare Soli, in transparenter Leichtigkeit schimmerten Themen wie das Liebesmotiv, die züngelnden Flammen, der Walkürenritt etc. im dimensionalen Klanggebilde hervor. Vom ersten bis letzten Ton gab Soddy in analytischer Mentalität der Partitur-Konstruktion stets den Vorrang und brachte jene Attribute in faszinierendem Kolorit zum Ausdruck. Ob nun in waberndem fein ziseliertem, dunkel grundiertem Streicherklang, den brillanten Hörner-Attacken, dem heiklen Feinschliff der Blechbläser-Soli, nichts schien das perfekte Wagner-Glück des denkwürdigen Abends zu trüben. Gestalterische Tempi, wohldosierte Fortissimo, stets übersichtliche Effekte voller expansiver Dynamik schienen das Gebot der Stunde um dennoch letztlich geradezu exemplarisch in betörender Instrumentation aufzublühen. Erwartete ich von Alexander Soddy einen bombastisch überdimensionierten Trauermarsch, belehrte mich  Maestro eines Besseren, zelebrierte feinnervige Orchesterwogen mit Gänsehaut-Effekt welche einem Wonneschauer gleich unter die Haut gingen. Letztlich kam die wohldosierte instrumentale Transparenz auch den exzellenten Sanges-Solist*innen zugute.

Jeder Interpretin der anspruchsvollen, kräftezehrenden Partie der Brünnhilde zolle ich höchsten Respekt und somit auch der amerikanischen Sopranistin (ich bitte um Pardon, bezeichnete ich kürzlich die Dame versehentlich als Schwedin) Lise Lindstrom. Erneut wie an den Abenden zuvor bewies die Künstlerin eine schier unbegrenzte Kondition, stellte ihr  großes Stimmvolumen, ihren jugendlichen Höhenstrahl ohne nennenswerte Schärfen unter Beweis, brachte Emotionen, Rachegelüste, Erlösungskraft lediglich in hohen Bereichen der klaren Stimme zum Klingen. Nach wie vor ließ sie jedoch die Tragfähigkeit ihres Soprans im Mittelbereich auch zu Lasten der Textverständlichkeit vermissen und somit wirkte das Gesamt-Portrait zu eindimensional.

In einer Maske zum Fürchten überraschte Marie-Belle Sandis mit intakten Mezzofarben zur weichströmenden Waltrauden-Erzählung. Zu darstellerischer Dichte schenkte Astrid Kessler der Gutrune mit aufleuchtendem Sopran eine ungewöhnlich ausdrucksstarke Aura.

siegfried und rheintöchter (c) christian kleiner
Siegfried (Jonathan Stoughton und die Rheintöchter. Foto: Christian Kleiner

Die kultivierteste Stimme des Abends und zu Recht gefeiert stand in überreichem Maße Jonathan Stoughton zu Gebote. Im eigentlichen Sinne aber mit bemerkenswerten Ansätzen (noch) kein Heldentenor, mit herrlichem Timbre gesegnet, ökonomisch intelligent eingeteilten Kräften interpretierte der britische Sänger geradezu bravourös einen Siegfried der Spitzenklasse. Die rhythmische, dynamische Präzision, die wunderbare Klangfülle, sein imposantes Legato prädestinieren ihn als einen Wagner-Tenor für allererste Häuser. Souverän meisterte Stoughton die Oktavintervalle, nahm die Bedeutung des Wortes sehr ernst, gab dem Wälsungen-Spross mit angenehm ausgewogen schönstimmigen, bruchlos geführten, hell strahlenden tenoralen Mitteln ein menschliches, psychologisch wohl durchdachtes Profil. Nicht der emotionellen melodischen Komposition wegen, allein die intensiv-bewegende  Vokalise der Todesszene Brünnhilde, heilige Braut brachte so manches Auge in Rührung zum überfließen.

In gefährlich aufbrausender Intensität umriss Patrick Zielke in realistischer Charakterisierung mit hellem Basspotenzial den vortrefflich artikulierenden Hagen. Nicht weniger eindrucksvoll gestaltete Joachim Goltz mit hervorragenden bassbaritonalen Qualitäten den zielstrebigen Alberich. Weiche, manierierte Züge schenkte Thomas Berau dem Gunter. Effektvoll,  dennoch prächtig differenziert im akustischen Balanceakt (aus den vorderen Logen, da auf der weiten Bühne zunächst kein Platz) zwischen wuchtig knallendem Was tost das Horn und der feinabgestimmten Begrüßung Heil dir Gunter intonierte der von Dani Juris bestens vorbereitete Chor des NTM in hervorragender Qualität.

Bravochöre, tosender Applaus für die Solisten, ohrenbetäubende Ovationen für Soddy und sein auf der Bühne versammeltes Orchester wurden nach zwei Durchgängen jäh von Intendant Puhlmann mit seiner Lobeshymne und Blumenübergabe an den scheidenden GMD unterbrochen. Nun hat sich der Vorhang am Goetheplatz endgültig geschlossen, die Besucher des NTM müssen während der nächsten Jahre weniger zentral gelegene Ersatz-Spielstätten in Kauf nehmen. Die Existenz dieser obskuren neuen Ring-Produktion bleibt nach dem herbstlichen Gastspiel in Süd-Korea am NTM noch ungewiss. Bestenfalls versenke man die Requisiten im südchinesischen Meer, entledige sich so der Rückreise-Frachtkosten und führe den „Ring“  wie dereinst während der letzten Theatersanierung konzertant zum einhellig-nachhaltigen Genuss des Publikums im Mozartsaal des Rosengartens auf.

Gerhard Hoffmann

 

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