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MANNHEIM/ Nationaltheater: FRÄULEIN ELSE von Arthur Schnitzler. Stream

01.03.2021 | Theater

Mannheim/ Nationaltheater: „Fräulein Else“ von Arthur Schnitzler

Lebemann und Veronal

„Fräulein Else“ von Arthur Schnitzler am 28.2.2021 im Nationaltheater/MANNHEIM

Wie aus einem lebenslustigen jungen Mädchen eine verzweifelte junge Frau wird, vermag Vassilissa Reznikoff recht überzeugend darzustellen. Daniel Cremer konzentriert sich in seiner atmosphärisch dichten Instagram-Inszenierung auf die zentrale Konfilktsituation zwischen Fräulein Elses Todessehnsucht und ihren exhibitionistischen Wünschen (Dramaturgie: Lena Wontorra).

So zeigt sie den Zuschauern sehr detailliert das Hotelzimmer. Else befindet sich als Tochter eines Wiener Rechtsanwalts für einige Urlaubstage im Trentiner Kurort San Martino di Castrozza. Nachdem sie das Tennisspiel mit Cissy und ihrem Cousin Paul beendet hat, bekommt sie einen Express-Brief von ihrer Mutter, in welchem die Bitte an sie herangetragen wird, den reichen Kunsthändler Dorsday um ein dringend benötigtes Darlehen zu bitten, da ihr Vater Mündelgelder veruntreut habe und er kurz vor der Verhaftung stehe. Dorsday willigt zwar ein, die notwendigen 30.000 Gulden zur Verfügung zu stellen, fordert aber als Gegenwert die Erlaubnis, Else nackt betrachten zu dürfen. In der Inszenierung reagiert Else weniger empört als vielmehr angeekelt auf dieses Ansinnen. Für sie ist der feiste Dorsday mit dem weißen Frack und dem Monokel widerlich. Der Gedanke an diese Art der Selbstprostitution ist ihr ein Greuel: „Nackt willst du mich sehen…“ Dorsday wird für Fräulein Else hier zum Schreckgespenst, zum unbewältigten Alptraum, der sie schließlich in den unaufhaltsamen Selbstmord zwingt.

Dieses Dilemma wird bei der Inszenierung aber nur angedeutet, Else dreht sich zuletzt wie wahnsinnig im Kreis: „Die ganze Welt soll mich sehen!“ Sie wird von Fantasien gequält, bei denen sie sich einem jungen Filou gerne nackt zeigen möchte, aber bei dem Gedanken an den alten Lebemann vor jeder weiteren Handlung heftig zurückschreckt. Sie möchte auch nicht als „ungnädig“ und „hochmütig“ bezeichnet werden. Im Musiksalon kommt es schließlich zum Eklat und für die damaligen Verhältnisse unentschuldbaren Katastrophe: In Anwesenheit Dorsdays zeigt sie der versammelten Abendgesellschaft ihren zu Beginn von einem schwarzen Mantel verhüllten nackten Körper. Das sieht man bei der Aufführung allerdings nicht. Die Szene wird nur angedeutet.

Da wurde der 1974 unter der Regie von Ernst Haeussermann für das österreichische Fernsehen produzierte Film „Fräulein Else“ schon deutlicher. Hier spielte übrigens Curd Jürgens als Dorsday mit. Zuvor ist Vassilissa Reznikoff – begleitet von der Musik aus einer Beethoven-Klaviersonate – wie in Trance die Stufen des Hotels hinabgestiegen. Die Inszenierung verdeutlicht hier in gewisser Weise auch den gesellschaftlichen Abstieg, vor dem eine Beethoven-Sonate nicht immer schützt. Das Schlafmittel Veronal scheint Fräulein Else auch hier zu befreien, aber die Situation wirkt bis zuletzt trügerisch, irgendwie auch gefährlich. Sie steht unter enormem Druck, denn der Vater droht indirekt, sich wegen den Geldschulden umzubringen. Die ganze Gesellschaft steht plötzlich am Pranger, die Männer verlieren ihr Gesicht. Das macht die Aktualität dieser Erzählung von Arthur Schnitzler aus, der ein einfühlsamer Arzt gewesen sein muss. Trotzdem triumphiert die dämonische Macht des Geldes, die alles zerstört. Die Personen im Hotel sind angeblich alle angesehene Leute, jedoch nicht aus Elses Sicht, die sie als „Schufte“ bezeichnet. Dazu gehört auch der undurchsichtig-unbarmherzige Doktor Fiala, der die dreissigtausend Gulden unbedingt haben will. Und Dorsday selbst rechtfertigt sich mit Scheinargumenten: „Man ist eben nur ein Mann…“ Und er könne ja nichts dafür, dass Fräulein Else so schön sei. Deswegen möchte er sie eine Viertelstunde sehen dürfen „in Andacht vor Ihrer Schönheit“. Die Inszenierung macht deutlich, dass man „Fräulein Else“ durchaus mit lolitahafter Raffinesse verkörpern kann. Doch auch diese Sichtweise ist gefährlich, weil sie der Rolle jene Tragik nimmt, die beispielsweise Elisabeth Bergner zum Ausdruck brachte.

Alexander Walther      

 

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