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MANNHEIM/ Nationaltheater: DIE FRAU OHNE SCHATTEN

Prachtvolle fünfte Vorstellung der Wiederaufnahme

02.12.2019 | Oper

Die Frau ohne Schatten am Nationaltheater Mannheim

Prachtvolle fünfte Vorstellung der Wiederaufnahme am 1. Dezember 2019

„Oberaffengeil“ raunte mir mein Sitznachbar nach dem zweiten Aktschluss zu – trotz der Plumpheit beschreibt dieses Adjektiv aber genau die Wirkung dieser Aufführung der Mannheimer Frau ohne Schatten. Eine Darbietung der wohl komplexesten Strauss’schen Partitur ist immer ein Erlebnis, erst recht an diesem Abend mit diesem Orchester, diesem Dirigenten, diesen Sängern und dieser Inszenierung. Aber eins nach dem anderen.

Über die Regiearbeit von Gregor Horres, die im März 2007 in Mannheim Premiere feierte, ist bestimmt schon viel Kluges geschrieben worden. Auf eine neuerliche Beschreibung nach zwölf Jahren kann ruhig verzichtet werden – nur so viel zum Eindruck, die sie hinterlässt: Die kahl ausgestattete Bühne, bebildert durch wenige Möbel und etliche symbolische Darstellungen (Bühne und Kostüme: Sandra Meurer), reduziert die ohnehin krause Handlung zugunsten einer nachvollziehbaren Personenführung. Die Inszenierung versucht gar nicht erst, den Inhalt realistisch darzustellen. Dafür arbeitet sie eindrücklich mit den Möglichkeiten der theatralischen Verwandlung durch eine dauernde Verwendung der Hub- und Drehbühne. Abwechslungsreich ist dies und ohne szenische Ablenkung kann der Zuhörer so der Musik folgen.

Hier ist das hervorragende Sängerensemble zu nennen, das die Partien dieser schwierigen Oper bravourös meistert. Der kurzfristig für Andreas Hermann eingesprungene britische Heldentenor Jonathan Stoughton interpretiert den Kaiser frisch und melodiös. Er gestaltet die Rolle klug und setzt seine in jeder Lage ausdrucksstarke Stimme ausgewogen ein. Miriam Clark ist eine wunderbare Kaiserin, die die ungestrichene Fassung in voller Konsequenz bestreitet. Die Spitzentöne gelingen ihr hervorragend und sie überzeugt mit einer profunden Tiefe. Warm in der Mittellage berührt sie zutiefst.

Die Amme wird von Irmgard Vilsmaier gesungen. Sie lässt sich zwar vor Beginn ansagen, während der Aufführung merkt der Zuhörer von einer leichten Indisposition allerdings wenig. Ihrenherrlich schattierten Mezzosopran setzt sie passend zur Rolle ein und spielt mit einer Portion Düsternis und Witz.

Ks. Thomas Jesatko verleiht dem Färber Barak eine Wärme, die zu Herzen geht, vor allem in der Mitte seiner Stimmlage. Sein farbig aufgefächerter Bariton bleibt eingängig lyrisch und kann dennoch nachhaltig auftrumpfen. Zusammen mit Catherine Fosterstellt er das Färber-Ehepaar überzeugend dar. Ihre Gestaltung der Färberin ist einfach atemberaubend. Es ist beeindruckend, wie sie jede Nuance der Partie verinnerlicht, und sich in vollkommener Kontrolle ihres Stimmmaterials von Akt zu Akt noch steigert. Bravo für dieses Ensemble der Hauptsänger!

Auch die Nebenrollen tragen ihren Teil zum Erfolg des Abends bei, allen voran Joachim Goltz als Geisterbote. Sein wohltimbrierter Bariton erfüllt markant den Saal. Ilya Lapich, Marcel Brunner und Raphael Wittmer als Einäugiger, Einarmiger und Buckliger geben ein freches Brudertrio ab, deren Stimmen sich ausgewogen ineinanderfügen. Natalija Cantrak als Falke und Estelle Kruger als Hüter der Schwelle gestalten ihre kurzen Rollen eindringlich, ebenso Juraj Hollý und Susanne Scheffel als Jüngling und Stimme von oben.

Zu den genannten Solisten gesellt sich mit Präzision und Durchschlagskraft der Chor des Nationaltheaters (Dani Juris) und Kinderchor (Anke-Christine Kober). Sie liefern eine chorische Meisterleistung ab, die die Wirkung des Werkes um ein Vielfaches steigert.

Auf absolutem Hochniveau spielt das Orchester des Nationaltheaters Mannheim unter der Leitung seines GMD Alexander Soddy. Diese beeindruckende Darbietung bleibt im Gedächtnis. Wie Soddy die Komplexität und den Farbenreichtum der Partitur realisiert, ist atemberaubend. Er hält die Fäden in diesem Monsterwerk behutsam zusammen und feuert das Orchester nimmermüde an. Besonders innig gelingen ihm die lyrischen Stellen, die zu Tränen rühren. Wenn das Solo-Cello und im dritten Akt die Solo-Violine spielen, wird man als Zuhörer in eine andere Welt entführt. Nicht mit Worten zu beschreiben sind die eruptiven Ausbrüche des Orchesters, die der Maestro forciert und die von markigem Blech und präzisem Schlagwerk vorangetrieben werden. Die Holzbläser reihen sich in diese Leistung ausgewogen und mit nuanciertem Klang ein. Die Streicher bereiten dazu einen herrlichen spätromantischen Teppich aus, der in allen erdenklichen Farben schillert. Chapeau für diese nachhaltig beeindruckende Gesamtleistung!

Das nicht ganz voll besetzte Nationaltheater entlud sich am Ende mit Beifallsstürmen und würdigte besonders Soddy und das Orchester. Diese Sternstunde des Musiktheaters ist noch ein letztes Mal am 12. Januar 2020 zu erleben. Uneingeschränkte Empfehlung.

Fabian Kropf

 

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