Foto: Nationaltheater Mannheim
MANNHEIM/ Nationaltheater: DER ROSENKAVALIER – 30.1.2020
Viele bewegende Momente
Seit 1997 war er ständig im Repertoire, jetzt hat er sich verabschiedet – der von Olivier Tambosi höchst einfallsreich inszenierte „Rosenkavalier“ von Richard Strauss. Strauss selbst schrieb an Alfred Roller: „Mir gefällt der Rosenkavalier gar nicht, mir gefällt der Ochs! Aber was will man machen. Hofmannsthal liebt das Zarte, Ätherische, meine Frau befiehlt: Rosenkavalier. Also Rosenkavalier! Der Teufel hol ihn!“ Die Feldmarschallin von Werdenberg pflegt eine Liebesbeziehung zum sehr viel jüngeren Grafen Octavian. Als ihr Cousin Baron Ochs auf Lerchenau sie um einen Hochzeitswerber bittet, der seiner zukünftigen Braut Sophie eine Rose überbringen soll, sendet die Feldmarschallin ihren Octavian, der sich dann selbst in Sophie verliebt. Die Feldmarschallin gibt Ochs auf Lerchenau zuletzt zu verstehen, dass er das Spiel verloren hat. Gleichzeitig erklärt sie das gesamte Geschehen kurzerhand zu einer Farce. Octavian bleibt mit der Marschallin und Sophie zurück. Die Marschallin weiß, dass sie ihn verloren hat und gibt ihn frei.
Die innige Liebesbeziehung zwischen Octavian und Sophie wird bei dieser Aufführung allerdings in besonders berührender Weise herausgestellt. Da gibt es nicht nur bei der Überreichung der silbernen Rose viele bewegende Momente. Eine prunkvolle Rokoko-Ausstattung spielt bei dieser Inszenierung eine große Rolle. Der Schwerpunkt der insgesamt gelungenen Regiearbeit liegt aber auf der präzisen Betrachtung der Figuren. Die Kostüme erinnern zwar an die Zeit des Rokoko, sind aber mit greller Farbigkeit überzeichnet. Das Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann wirkt abstrakt – und dies vor allem im dritten Akt mit seinem roten Ambiente und der betonten Schrägstellung. Einzelne wesentliche Elemente werden bei der durchaus suggestiven Inszenierung facettenreich herausgegriffen. Dies gilt vor allem für jene Szene, wo Ochs auf Lerchenau die Polizei ruft. Alles wirkt vergrößert und erhält eine markante Farbgebung. Bei der skurrilen Gespensterszene, wo der Baron Ochs auf Lerchenau von unheimlichen Figuren erschreckt wird, existiert auch viel groteske Situationskomik. So entsteht eine Aura zwischen Traum und Wirklichkeit. Dies zeigt sich schon im ersten Akt mit dem blauen Ambiente und einem schiffsartigen Monument, das sich zentral auf der Bühne befindet. Das Haus der Marschallin ist mit einem silbernen Boden ausgelegt. Es ist die Farbe der Rose, die Octavian Sophie überreichen wird. Eindrucksvoll ist auch der weiße Salon im zweiten Akt, wo überall goldene Kanonenrohre dominieren. Irgendwie spürt man, dass Olivier Tambosi bei seiner Inszenierung auch das Anhalten der Zeit symbolisieren will. Dass die ersten beiden Akte parallel angelegt sind, macht er ebenfalls plausibel deutlich.
Die Aufführung kann aber vor allem musikalisch in reicher Weise überzeugen. Am Pult beweist Alexander Soddy mit dem fulminant musizierenden Orchester des Nationltheaters Mannheim, wie viel leidenschaftliche Emphase in dieser Partitur steckt. Zwar bleiben hier Mozart und Wagner immer spürbar, aber es wird oft mit einer erstaunlichen Leichtigkeit musiziert. Dies gilt vor allem auch für die sphärenhaften Passagen. Strahlenden melodischen Zauber arbeitet Alexander Soddy mit dem Orchester in glanzvoller Weise heraus. Die vokalen und instrumentalen Momente durchdringen sich hier gegenseitig in wahrhaft beglückender Weise. Dies kommt vor allem den Sängerinnen und Sängern zugute, die allesamt wie aus einem Guss agieren. Der Charakter des Ensembles wird so nie vernachlässigt. Astrid Kessler singt eine wunderbar berührende und gesanglich leuchtkräftige Marschallin, deren Sopran viele feine Klangfarben besitzt. Eine hervorragende Rollencharakterisierung präsentiert ferner Patrick Zielke als tumber und grobschlächtiger Baron Ochs auf Lerchenau, der seine „Braut“ Sophie immer wieder neu erschreckt. Jelena Kordic ist ein ausgezeichneter Octavian, der zusammen mit der von Nikola Hillebrand exzellent interpretierten Sophie zu immer wieder neuen gesanglichen Höhenflügen ansetzt.
Aber auch die kleineren Rollen sind hier insgesamt überzeugend besetzt. Neben Joachim Goltz als Herr von Faninal gefallen auch Estelle Kruger als Jungfer Marianne Leitmetzerin, Jeff Martin als Intrigant Valzacchi, Marie-Belle Sandis als seine undurchsichtige Begleiterin Annina und Marcel Brunner als kompakter Polizeikommissar. In weiteren Rollen imponieren Jung-Woo Hong als Haushofmeister bei der Feldmarschallin, Markus Graßmann als Haushofmeister bei Faninal, Dominik Barberi als Notar, Koral Güvener als Wirt, Andreas Hermann als Sänger sowie Lara Brust, Leah Weisbrodt, Charlotte Vitek als drei adelige Waisen, Monika Fuhrmann als Modistin, Gimoon Cho als Tierhändler und Dong-Seok Im, Jeongkon Choi, Daniel Claus Schäfer, Hee-Sung Yoon als die vier Lakaien der Feldmarschallin. Zudem gefallen Gimoon Cho, Wolfgang Heuser, Chi Kyung Kim, Jürgen Theil als vier Kellner, Alexander Gellner als Ochs-Leibknecht Leopold, Egemen Deniz Öztek, Tunay Tuncali als Mohammed. Bertram-Paul Kleiner als Flötist und Karl Adolf Appel als Hausknecht vervollständigen dieses fabelhafte Ensemble in beglückender Weise.
Die intime Wirkung des Monologs der Marschallin wird von Alexander Soddy mit dem Orchester des Nationaltheaters Mannheim wirkungsvoll betont. Chor und Kinderchor ragen mit ihren vokalen Leistungen ebenfalls eindringlich hervor. Das Nachspiel des ersten Aktes besitzt hier bestrickenden Ausdruckszauber. Neben dem Duett der Liebenden begeistert vor allem auch das Terzett der drei Frauenstimmen im Schlussakt. Dass dieser Oper ein uraltes Buffomotiv zugrunde liegt, wird bei dieser Vorstellung in markanter Weise akzentuiert: Ein verliebter alter Geck wird durch ein junges Paar geprellt. Grazie und Leichtigkeit der Jugend wechseln sich so nuancenreich mit der tölpelhaften Welt des Barons Ochs auf Lerchenau ab. Dies kommt vor allem im zweiten Akt grell zur Geltung, wo sich die frisch aus der Klostererziehung gekommene Sophie Faninal und der Rosenkavalier unter dem Eindruck der Grobheit des Ochs zusammenfinden. Das Schicksal des Schürzenjägers erfüllt sich dabei sehr konsequent, wenn Octavian als „Mariandl“ verkleidet Ochs auf Lerchenau öffentlich blamiert. Da nützt es dann auch nichts mehr, dass Ochs die Polizei ruft. Die Handlung entwickelt sich in leichtem Konversationston. Tumultuöse Ensembleszenen wechseln sich mit besinnlichen Solobetrachtungen ab. Das kecke Hornmotiv Octavians sticht im ersten Aufzug ebenso hervor wie die leidenschaftlichen Liebesbeteuerungen. Selbst die lockere Deklamation der Singstimmen erhält klares Gewicht. Strauss hat die Singstimme hier immer wieder kammermusikalisch behandelt, was Alexander Soddy als umsichtiger Dirigent gut betont. Das gleiche gilt für die sensibel gestaltete Motivik des kleinen orchestralen Zwischenspiels. Dass die Rückkehr Octavians diese schmerzliche Besinnlichkeit auch musikalisch stört, wird von Jelena Kordic plastisch unterstrichen. Und Astrid Kessler findet für die „träumerische Haltung“ und Melancholie der Marschallin die richtige Gestaltung. Die Szene der Rosenüberreichung in überaus strahlendem Fis-Dur gerät zum Höhepunkt der Aufführung. Und das vom Tremolo der Violinen und Celesta getragene Motiv des Rosenkavaliers ist hier kein bloßer Klangreiz. Die schwärmerische Motivwelt und die halb ariose Deklamation des jungen Paares zeigen dabei viele Facetten. Alexander Soddy liebt als Dirigent präzise Detailarbeit. Dies zeigt sich insbesondere im dritten Akt, wo sich die in den vergangenen Akten fein gesponnenen Fäden entwirren. Auch die anschließende Komödie Valzacchis, die ihm aber beim Eingreifen der Polizei aus der Hand gleitet, spielt sich in lebhaftem Konversationston ab. Leitmotive und Leitsphären beherrschen den „Rosenkavalier“ von Richard Strauss in überwältigendem Maße – und Alexander Soddy gelingt es mit dem Orchester des Nationaltheaters Mannheim ausgezeichnet, diesen Aspekt zu verdeutlichen. Da stören selbst geringfügige Intonationsschwankungen bei den Bläsern nicht. Zuletzt gab es für das gesamte Ensemble verdiente, große Ovationen und Begeisterungsstürme.
Alexander Walther