Mannheim / Nationaltheater: „DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“ Premiere am 24.04.
Michael Kupfer-Radecky, Daniela Köhler. Foto: Christian Kleiner/Nationaltheater Mannheim
Bedingt der Corona-Pandemie hatte nun „Der Fliegende Holländer“ von Richard Wagner mit zweimonatiger Verspätung seine Premiere. Fanden die letzten drei Inszenierungen (Fidelio, Aida, Il Trovatore) des Schweizers Roger Vontobel beim Publikum wenig Gegenliebe, gab man ihm eine vierte Chance, vertraute ihm Wagners romantische Oper an und nutzte sie zu seinem Heil! Der Richard-Wagner-Verband Mannheim sponserte großzügig die illustren abstrakten, sehr dekorativen Bühnenbilder (Fabian Wendling). Diagonal gespannte Seilschaften, vorzüglich ausgeleuchtet (Florian Arnholdt) ergaben vortreffliche optische Effekte auch der Spinnstube reizvolle visuelle Kontraste. Die Treppenmontage mit Schiffs-Reling auf der Drehbühne variabel bewegt sowie die transparente Schiffkonstruktion von oben rundeten die Szenerien auf absolut positive Weise ab. Die Damenkostüme (Ellen Hofmann) na ja durfte man unter Fadaise einordnen während die Herren aparter gewandet erschienen. Die Perücken wurden wohl vom Freischütz ausgeliehen? Roger Vontobels personifizierte Idee um Senta und den Holländer erschien mir als Parabel um zwei Menschen voller Sehnsüchte ihren Zwängen zu entfliehen, verloren in Wunschphantasien und scheitern letztlich. Stumme Doubles (Delphina Parenti / Michael Bronczkowski) präsentierten der Beiden (erotischen) Traumvisionen, die völlig überflüssigen Tänzer wirkten deplatziert ebenso die unästhetischen Gewaltszenen. Von diesen Diskrepanzen abgesehen gelang Vontobel eine interessante Inszenierung erstmals vom Publikum durchaus positiv ohne Widerspruch angenommen.
Am Pult des blendend disponierten NTM-Orchesters waltete erneut ein Gast Jordan de Souza. Der 1988 in Toronto geborene Dirigent leitete in Kanada alle Orchester von Rang, gastierte an italienischen Häusern und fungiert bis dato als 1. Kapellmeister an der Komischen Oper Berlin. Mir schien es wurde intensiv geprobt, konditionell wirkte der Klangkörper in der Koordination und Animation der Instrumentalmassen auf und vor der Bühne klug disponiert und versprach einen ganz großen Abend. Stringent, zupackend, vortrefflich die Leistungen der Musiker vehement austariert, dynamischem temperamentvoll animierte de Souza das Orchester zu eindrucksvoller Klangkultur. Transparent, lyrisch, wunderbar rhythmisch, erfrischend musizierten alle Instrumentalgruppen ausgewogen qualitativ individuell zum konträren dramatischen Impetus der Partitur mit seinen teils eruptiven Forte-Expansionen.
In uhrwerkpräzisem Kollektiv wie man es am Hause gewohnt, präsentierte sich der von Dani Juris vortrefflich einstudierte Chor des NTM. Intonationsrein, schwebend, wunderbar aufblühend agierten die Frauenstimmen, maskulin, klangvoll, in markant rhythmischer Raffinesse gesellten sich die Herren zu den von Gewitter und Sturm umbrausten Vokal-Elementen.
In orchestrale Wogen bestens gehüllt und umsichtig begleitet entfalteten sich alle Solist*innen mit ihren Rollendebüts auf vortreffliche Weise. Als Senta stellte sich Daniela Köhler mit jugendlich-hellem Sopran vor, bestach mit schön timbriertem Material, bestens disponiert präsentierte die Sängerin die konstante vokale Linie, meisterte souverän die heiklen Höhenklippen, beeindruckte mit lyrischen, beseelten und gleichwohl dramatischer Vokalise zur Ballade und insbesondere im Duett mit ihrem ersehnten Traumpartner.
Unspektakulär vernahm man Marie-Belle Sandis als darstellerisch rege Mary.
Plastisch artikulierend, technisch bestens versiert, geprägt von sonor vokalem Wohlklang, in düster-dämonischen jedoch ebenso vortrefflich lyrischen Tongebungen präsentierte Michael Kupfer-Radecky den mystischen Titelhelden. Bereits zweimal zuvor erlebte ich den markanten Bariton als Kurwenal, nun erschloss sich der Sänger mit dem dunklen Farbpotenzial und wohldosierten dynamischen Höhen, eine bemerkenswerte neue Partie.
Elegant, schönstimmig, prächtig in voluminösen Basstönen, bester Intonation, ausgezeichneter Artikulation stattete Sung Ha den mammongierenden Daland aus und fand sich mit Kupfer-Radecky zum herrlich melodischen Duett.
Wie viel Belcanto in Wagner steckt offerierte insbesondere Jonathan Stoughton als Erik. Der Komponist merkte der Partitur gar selbst an „Erik sollte den Part singen wie Bellini und dennoch kraftvoll wie Wagner“, jedenfalls wurde der englische Tenor diesen Anmerkungen exzellent gerecht. Zur stattlichen optischen Präsenz gestaltete Stoughton den verliebten chancenlosen Jägerburschen souverän und schenkte dem Part entgegen bisheriger Hörgewohnheiten insbesondere der Traumerzählung lyrischen, liedhaften Schmelz. Feinherbe, maskuline Konturen setzte der Sänger mit dem herrlichen Timbre, den strahlenden Höhenaufschwüngen kontrapunktierte Verve entgegen und reüssierte mit eindrucksvollem Rollenportrait.
Jugendlich, mit hell strahlendem Tenor versah Juraj Hollý den müden und später malträtierten Steuermann.
Mit großer Begeisterung feierte das Premieren-Publikum alle Mitwirkenden.
Als Livestream wurde die Vorstellung aufgezeichnet und wird von der Online-Plattform OperaVision ausgestrahlt und ist bis 24. Oktober 2022 abrufbar.
Gerhard Hoffmann