oben: Magid El-Bushra, unten: Shachar Lavi, Christopher Diffey, (c) Hans Jörg Michel
Mannheim: Dark Spring von Hans Thomalla, 25.9.2020. Uraufführung
Am Nationaltheater spielt die neue Oper Dark Spring des Deutsch-Amerikaners Hans Thomalla. Es ist eine Song-Oper in 11 Szenen und mit 15 Songs. Der Text ist vom Komponisten, der ihn nach Wedekinds ‚Frühlingserwachen‘ verfaßte. Thomalla schreibt aber ganz was Neues, indem nur die vier Jugendlichen Wendla, Ilse, Melchior und Moritz beibehält und das Geschehen in die heutige Zeit verlegt. Die Songs ersetzen eigentlich Arien herkömmlicher Opern, ihre Texte nach jeweils einer Zeile des Thomalla’schen Librettos stammen von dem kalifornischen Autor Joshua Clover. Die Oper kommt musikalisch ‚gemäßigt‘ daher, sie ist sehr gesanglich mit angenehmen aber auch dunkel insistierenden Melodien, dazu kommen acht Instrumente (2 tiefe Streicher, Trompete, Saxophon, Keyboard und Schlagzeug). Sie erinnert etwas an L.Bernsteins Oper ‚A Quiet Place‘,in der ja auch familiäre Problematiken zur Sprache kommen.
Wendla fühlt sich von dem maskulineren Melchior, Ilse eher von dem ’seelenvollen‘ Moritz angezogen. Die Jungen sehen sich mit Leistungsdruck in der Schule und mit Drogen konfrontiert. Eine Begegnung zwischen Wendla und Melchior, in deren Verlauf sie ihn drängt, sie zu schlagen, artet in körperliche Gewalt aus. Regisseurin Barbora Harakova Joly läßt die Jugendlichen alle in einer Box in der Bühnenhinterwand (Ausstattung Annemarie Bulla) auftreten, in der sie über Mikrofone miteinander kommunizieren können und mittels Leitern heruntersteigen, wo verschiedene parallele Metalllaufstege über den Orchestergraben nach vorne führen. Sie sind somit immer im Rampenlicht, und die gerade nicht Agierenden filmen live die anderen, die gleichzeitig in Großaufnahmen projiziert werden können.
Moritz, der gern in Frauenkleidern auftritt,ist psychisch sehr labil, hegt Selbstmordabsichten, auch wegen des Püfungsdrucks. Daneben sucht er auch Melchiors Nähe, der sich aber aggressiv auf Wendla bezieht. In der Euphorie nach einer bestandenen Prüfung rocken alle vier gemeinsam ab, eingedenk einer unbeschwerten Vergangenheit. Was bleibt, ist die Leere, die sie auch keine befriedigenden Partnerschaften eingehen läßt.Katastrophale ‚Lösungen‘ werden von der Regisseurin aber ausgespart, kein Selbstmord, keine Vergewaltigung auf der Bühne. In teils psychedelischen Videos von Sergio Verde soll der stummen Beklommenheit der ProtagonistInnen noch mehr Ausdruck verliehen werden. In den farbigen Kostümen, sehr sexy teils bei den Frauen, tuntenhaft mit Hermelinjäckchen für Moritz, nackter Oberkörper, schwarze Lederjacke für Melchior, kommen auch erheiternde Komponenten ins Spiel.
Dirigent Alan Pierson hat die Parameter, was Tempi und Lautstärkegrade der Partitur betrifft, gut in Händen und Fingerspitzen und animiert alle beteiligten Musiker zu Höchstleistungen. Natürlich kann er bei den Songs auch mal mehr freieren Lauf lassen. Ihre Form ist ja einfacher und direkter als die der Arie und gibt eine Stimmung ungeschönt
Den Melchior gibt mit feinem präzisen dabei klangkräftigen Tenor Christopher Diffey. Der Moritz ist mit einem leicht schwerenöterisch gefärbten Counter Magid El-Bushra. Die Ilse der Anna Hybiner, die sich auch am besten bewegt, läßt einen angenehmen Mezzosopran hören. Shachar Lavi ist Wendla und läßt ihren Opern-Mezzo ganz belcantesc und virtuos erklingen.
Friedeon Rosén