Mannheim, Kunsthalle: Die Neue Sachlichkeit. Ein Jahrhundertjubiläum (bis 9.März 2025)
Ausstellung einer Ausstellung
Ausstellungsplakat von 1925
Es passierte hin und wieder in der Kunstgeschichte, dass eine Ausstellung eine Kunstrichtung hervorbringt, ihr den Namen gibt. Das berühmteste Beispiel lieferten die Impressionisten, die ihren Namen einem in der Ausstellung präsentierten Gemälde von Monet verdanken. In Mannheim konnte vor hundert Jahren der Titel einer Ausstellung die vorgestellte Kunstströmung prägnant charakterisieren und sie gleichzeitig mit einem gültigen Namen versehen. Im Sommer 1925 kuratierte der Direktor der Kunsthalle Gustav Hartlaub die Schau „Die Neue Sachlichkeit. Deutsche Malerei seit dem Expressionismus“. Sie wurde damals zwar nicht vom Publikum gestürmt (nur 4.400 Besucher), aber wanderte weiter durch andere deutsche Ausstellungsorte und war letztlich sehr wirkmächtig, wie die bis heute gültige Bezeichnung der Stilrichtung beweist. Anlässlich des runden Jubiläums blickt die Kunsthalle aus den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts hundert Jahre zurück und veranstaltet eine Ausstellung des gleichen Titels. Es ist die Ausstellung einer Ausstellung – und gleichzeitig weit mehr.
Rund 130 Gemälde zeigte Direktor Hartlaub 1925, wobei er vor allem Künstler des süddeutschen Raumes präsentierte – und keine einzige Frau. Die äußeren Umstände waren alles andere als einfach: Die Weimarer Republik hatte sich gerade nach größten politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten wieder konstituiert; doch nur vorübergehend – wie wir heute wissen. Dieses Wissen um das Danach ist der größte Unterschied zu der seinerzeitigen Ausstellung zeitgenössischer Künstler. Heute ist es eine kunsthistorische Bestandsaufnahme und rückblickende Analyse. Sie beschäftigt sich mit dem nüchternen Stil, der auf den farbexplosiven Expressionismus folgte.
Zu kämpfen hat die heutige Schau mit dem Verlust vieler Gemälde von 1925. Nur wenige Jahre später sollten diese als entartet gelten, wurden verschleudert, im schlimmsten Fall vernichtet. Trotzdem ist die aktuelle Ausstellung viel umfangreicher als jene vor hundert Jahren. Das hat nicht nur damit zu tun, dass sie nun auch in reichem Maß Malerinnen berücksichtigt. Deren Zahl war groß, unterlagen sie in den zwanziger Jahren doch nicht mehr den Beschränkungen wie noch in der Kaiserzeit, als sie vom akademischen Ausbildungsbetrieb ausgeschlossen waren. Das Anwachsen auf aktuell 230 Exponate hat weiters damit zu tun, dass die Ausstellung bis weit in die dreißiger Jahre hinausgreift, um die weitere Auseinander-Entwicklung der Strömung zu dokumentieren, die sich schon 1925 ankündigte. Hartlaub erkannte einen rechten, konservativen, klassizistischen Flügel und einen linken, veristischen Flügel; manche Vertreter des Klassizismus erlagen der Gefahr, sich der Blut-und-Boden-Ästhetik anzunähern, um in den Großen deutschen Kunstausstellungen zu erscheinen, während die anderen in der „Entarteten Kunst“ präsentiert wurden. Und schließlich gibt man 2024/25 den Fokus auf bloß deutsche Malerei auf. Einige prominente internationale Beispiele zeigen, dass die Sachlichkeit ein europäisches, ja globales Phänomen war: Werke von Pablo Picasso, Félix Valloton und Edward Hopper beweisen es.
Die Ausstellung ist auch deutlich größer als jene, die im letzten Sommer vom Leopold Museum gezeigt wurde (als Wiener Besucher freut man sich, einigen Bekannten in Mannheim wieder zu begegnen). Die Zahl der ausgestellten Exponate kann man vielleicht als überbordend betrachten. Die kluge Ausstellungsgestaltung fügt aber immer wieder Werkkomplexe so zusammen, dass man sie als Ganzes sehen kann. Tatsächlich sind nicht nur Meisterwerke zu sehen, die eine eingehende Betrachtung jedes Bildes verlangen. Aber im Vergleich wie im Kontrast bieten sie die Chance, Kunst und Lebensgefühl einer vergangenen, jedoch noch – durch andere Kunstgattungen, wie Film, Fotografie, Musik und Literatur – sehr präsenten Epoche intensiv zu erleben.
Werke von Otto Dix
George Grosz: Der dichter Max Herrmann-Neisse
Den Ausgangspunkt liefert ein prominentes Trio mit herausragenden Werken, die zum Teil bereits 1925 gezeigt wurden: Max Beckmann, George Grosz und Otto Dix. Darunter finden sich Ikonen der Neuen Sachlichkeit wie die Porträts der Tänzerin Anita Berber von Dix und des Dichters Max Herrmann-Neisse von Grosz. Danach geht es themenbezogen weiter. Das Bild des Menschen, dem Trend der Zeit folgend ein stark typisierendes, nach sozialen Merkmalen: ein großer Block, in dem Menschen vielfach in ihrem Milieu, ihrem Beruf dargestellt werden. Das Bild der Frau zwischen Tradition und Emanzipation zeigt eine starke Annäherung der Geschlechter im äußeren Erscheinungsbild – Schlagworte dazu Kurzhaarfrisur und Zigarette. Selbstbildnisse gibt es von Malern und – erstmals auch in großer Zahl – von Malerinnen.
Kakteen-Stillleben
Ein Lieblingsgenre der Neuen Sachlichkeit war das Stillleben, das sich Gebrauchsgegenständen, technischen Geräten, Tieren und vor allem Pflanzen widmete. Gummibaum und besonders Kakteen waren hier die Favoriten: der Kaktus als das Symbol der Genügsamkeit und Widerstandskraft, mit der schwierige Zeiten bewältigt werden mussten. Die klassische Landschaftsmalerei fand als neues Thema das Bild der Stadt mit ihren Fabriken, Massenverkehrsmitteln, Autos, Brücken und Bahnübergängen. Daneben gab es aber auch die romantisierende Landschaftsdarstellung. Wohin diese beiden unterschiedlichen Konzepte in der Zeit nach den zwanziger Jahren führen sollten, ist im Rückblick wohl eindeutig.
So befinden sich in der neuen Ausstellung zur Neuen Sachlichkeit Opulenz und Strukturierung in einer guten Balance: Revival und Revision einer Ausstellung, die einst Epoche machte.
Alexander Marinovic