Ernani (l., Irakli Kakhidze) hat geschworen, sich zu töten, da kann er Elvira (Miriam Clark) noch so lieben (hinten: Evez Abdulla). © Hans Jörg Michel
Mannheim: „ERNANI“ – 24.02.2018
Nach der Textvorlage „Hernani ou l´honneur castillan“ von Victor Hugo vertonte im Jahre 1844 Giuseppe Verdi seinen „Ernani“ welcher am Nationaltheater Mannheim letztmals 2004 seine konzertante Aufführung erlebte. Nun entschloss man sich zur szenischen Produktion in der Regie von Yona Kim und bescherte dem NTM eine kontroverse Inszenierung.
Zu Beginn versprach eine reale Dramaturgie gute Ansätze zur Erzählung der Story um den Bravo Ernani, doch sodann verlor sich die Regie allmählich in langweiligem personifiziertem Leerlauf, verschenkte die eigentlichen vordergründigen psychologischen Aspekte der Charaktere, gab sich auf der Suche nach zweifelhaftem Subtext epochal inkorrekt Skurrilitäten und Szenerien unfreiwilliger Komik hin. Bar wiederholter Bodenakrobatik und statischer Einförmigkeit konnten auch die schrägen Spiegelungen wenig zu glaubwürdiger Optik beitragen. Ohne Pro und Contra in gleichmütiger Gelassenheit vom Premierenpublikum quittiert.
Passend zur Handlung schuf Heike Scheele die düstere Bühnenatmosphäre mit Mittelpodest, Kaiserthron und diagonal schwebendem Spiegel. Rote Hemden, schwarze Hosen der Masnaderi und Carlo, Mäntel und neutrale Kostüme (Falk Bauer) für das restliche Ensemble, zur Création Elviras Haute Couture trug der Tailleur wohl eine Augenbinde? Ästhetik ein Fremdwort?
Jedoch was tut´s? Allen Absurditäten zum Trotz ist und bleibt der absolute Superstar Giuseppe Verdi und ihm wurde Benjamin Reiners am Pult des prächtig disponierten NTM-Orchesters höchst präsent und adäquat gerecht und zauberte Klangwirkungen exemplarischen Gehalts. In rasanten Tempi formte der junge expansive Dirigent bereits das Prelude, die weiteren orchestralen Einleitungen und Nachspiele in ungeheurer Intensität, instrumental graziler Dezenz. Einem Magier gleich entlockte Reiners dem Klangkörper hymnische Streicher-Glissandi, auflodernd-atemberaubende dynamische Tempi von federleichter Note und steigerte mit dem hinreißend musizierenden Orchester den Melodienreichtum des italienischen Meisterkomponisten, in einen hier selten gehörten kulinarischen Klangrausch.
Copyright: Hans-Jörg Michel
Derart liebevoll die Partitur akustisch illustriert, eingebettet im begleitenden Sound und stets wachem Auge zur Bühne, fühlten sich alle debütierenden Sangessolisten zu vokalen Höhenflügen animiert. Als Titelheld brillierte Irakli Kakhidze und lieferte sogleich seine qualitativ bisher beste Darbietung. Mit enormer Strahlkraft, nie nachlassender Intensität, famosen Steigerungen in Einbezug seines schönen Timbres, vorzüglicher Legato-Kultur schenkte der georgische Sänger seinen tenoralen Beiträgen und ganz besonders der Liebesbeteuerung O tu che l´alma adora lyrischen Schmelz besonderer Art und eroberte das Publikum im Sturm.
Ganz oben in dessen Gunst stand ebenso Miriam Clark wie alle Protagonisten der tragenden Rollen. Mit ungemein kultiviert eingesetzter Stimme avancierte Frau Clark zum Verdi-Sopran allererster Güte. Gleichwohl betörend erklangen Piani, sensible Tongebungen des edlen Timbres, die klangvollen Höhenaufschwünge. Tadellos verband die sympathische Künstlerin mezza voce und mezzoforte zu leidenschaftlich-dramatischer Ausdrucksskala in höchst kultivierter Vollendung. Ob zur Cavatine Ernani! Ernani involami den Duetten, Ensembles stets fokussierte sich die strahlende Stimme zum krönenden Höhenglanz.
Weich strömend einschmeichelnd ertönte der Bariton von Evez Abdulla und nahm bedingt der positiven vokalen Vorzüge die Gefährlichkeit von der Figur des rivalisierenden Don Carlo. Mit edlem süffisantem Timbre, herrlichen Piani, präziser Intonation und perfekt phrasierter Italiana beherrschte der aserbaidschanische Sänger nicht nur den dritten Akt mit seiner Arie Oh, de´verd´anni miei sondern rückte sein prächtig geführtes Stimmpotenzial während der Terzette in rechte Licht und setzte vokale Glanzpunkte nachdrücklich inniger und gleichwohl kraftvoller Manier.
Verdi schien auch Sung Ha vorzüglich in der Kehle zu liegen. Flexibel, sicher, tonschön geführt verlieh sein markant-kerniger Bass mit sonoren Tiefen gehaltvoll gesegnet, sowie der hageren Erscheinung des rachsüchtigen Silva zwischen Starrsinn und Wehmut changierendes Profil.
Zur außerordentlichen musikalischen Atmosphäre leistete natürlich der von Dani Juris bestens vorbereitete Chor des NTM sehr großen Anteil. Genussvoll in exakter Rhythmik entzündete die Chorgemeinschaft das vokale Feuer der Freiheit zu Si ridesti il Leon di Castiglia und präsentierte sich in präzisen Einsätzen der finalen Ensembles.
Die kleinen Rollen der Stichwortgeber Giovanna, Riccardo und Jago erfüllten Claudia Kienzler, Raphael Wittmer, Philipp Alexander Mehr souverän.
Elf Minuten Bravostürme und prasselnder Applaus belohnte Sänger, Musiker und Dirigent.
Fazit: musikalisch genial und empfehlenswert, szenisch überflüssig.
Gerhard Hoffmann