Mannheim: Der ferne Klang am 3.10.2015
Cornelia Ptassek, Raymond Ayers und Chor. (c) Jörg Michel
Als letzte Premiere der vergangenen Spielzeit wurde in Mannheim die bedeutende, aber heute selten gespielte Oper Der Ferne Klang von Franz Schreker gespielt. Schreker galt seit 1912 (UA der ferne Klang) bis 1930 als der führende moderne Opernkomponist neben dem eher tonal „verbliebenen“ R.Stauss, der sich immer mehr eher speziellen und mythisch leicht überfrachteten Opernthemen zuwandte. Mit den ‚Gezeichneten‘, dem ‚Schatzgräber‘ , ‚Irrelohe‘ und ‚Der Schmied von Gent‘ wurde Schreker Vorbild einer ganzen Generation von Berg bis Krenek, geriet aber nach seiner Vertreibung durch die Nazis in Vergessenheit und wird erst in den letzten Jahren wieder aufgeführt. Interessant bei dieser Wiedergabe war auch die zeitliche Nähe zu der kürzlich hier gespielten veristischen Oper La Wally von A.Catalani, die vom Thema her ähnlich eine Frau über Jahrzehnte begleitet, die eigenhändig ihren Weg in einer noch patriarchalisch geprägten Gesellschaft beschreitet. Dabei wird sie auch von der Liebe zu einem Mann, einer Künstlerfigur, geprägt, die sich aber in beiden Fällen erst spät durchsetzen kann. Auch in der musikalischen Faktur kann man beide Opern vergleichen: Der ferne Klang ist durch eine Mischung von Vibraphon-Akkorden, vagierendem Harfenrauschen und irisierenden hohen Streichern gekennzeichnet (solche ‚Embleme‘ kommen auch bei La Wally vor) und verläuft in ausufernder Polychromatik (Vielfarbigkeit durch Halbtonabstände), d.h. es werden auch dauernd die Tonarten gewechselt, was sich zu äußerst kontrastreichen Bewegungsabläufen verdichtet.
Alois Seidlmeier und das NTM-Orchester sind darauf wieder bestens vorbereitet und setzen aus dem Graben derart aufrauschende Akente, dass die Bühne trotz großem Farbenspiel in den gewagtesten 20er Jahre-Kostümen von Silke Wirlett dagegen manchmal verblasst. Besonders muss auch der virtuose Vibraphonspieler hervorgehoben werden.
Tatjana Gürbaca versucht in einer klassisch-modernen Inszenierung das Stück, ein wahrliches Künstlerdrama mit Anklängen an E.T.A Hoffmann und Jacques Offenbach, auch von einem pychologischen Standpunkt aus zu versinnbildlichen. Wobei sie klare Linien auch mit Extravaganz verknüpft. Fast spießig wirkt zu Beginn das kleine schwarze Häuschen von Greta und Fritz, das dann hochgezogen wird und zum Schluss sogar abgebrannt werden soll. Den vom Bühnenhimmel herabregnenden Sand fängt Greta wie eine Sterntaler-Marie in ihrem Kleidchen auf, bevor sie in einem romantischen Wald, indem sie sich nach der Trennung ihren Selbstmord im Meer vorstellt, von der alten Fee in eine neue Welt geführt wird (Bb.: Marc Weeger). Die Casa di Maschere, ein venezianisches Vergnügungsetablissement, ist dagegen weiß und mit geraden rechteckigen Konturen gezeichnet, und hier hätte man sich die Auftritte der leichten Mädchen und Halbweltdamen noch bewegter und aufregender choreografiert vorstellen können. Die Bewegungen wirken irgendwie schemenhaft, was aber auch intendiert sein kann, um die in teils heftigen Konstellationen in den Außenakten (Verwettung Gretas in der Kneipenszene, dramatische Vorgänge bei der Theateraufführung) hervorzuheben. In einem gedehnten Zwischenspiel kommen noch einmal großflächige Videosequenzen mit mit dem jungen Liebespaaar (Sabrina Herzog unsd Leonard Schneider-Strehl) zum Einsatz, und die Vertauschung der Zeitebenen, die Selbstinszenierung Schrekers als Komponist mit dem gescheiterten letzten Akt seiner Oper und die Verweigerung des happy-ends wird zu einem Höhepunkt geführt.
Juhan Tralla kommt mit seinem Couplet über die Blumenmädchen von Sorrent mit schönem Tenorschmelz herüber. (In der Kneipenszene stellt er auch ein zweifelhaftes Individuum dar). Eine Spanierin und Kellnerin gibt Julia Faylenbogen mit interessantem Mezzo. Die ‚drei Damen‘ Mizzi, Milli und Mary des alten Weibes der warmstimmigen Marie-Belle Sandis, die laut Gürbaca auch die alte Greta selbst sein könnte, sind die die Sopran-Ikonen Tamara Banjesevic, Maria Markina/Mezzo und Estelle Kruger. Dr.Vigelius, ein Winkeladvokat, wird von Bartosz Urbanovicz mit mächtigem Bariton und in geistlicher Tracht, aber mit Sonnenbrille, gezeichnet. Mit sehr pronociertem schlagfertigem und dabei schön timbriertem Bariton gestaltet Raymond Ayers den Grafen, der mit seiner traurigen Ballade vom König, dem seine Krone den Kopf verbrennt und dann von einer Nixe ins Meer gezogen wird, auftrumpft. In den Außenakten gibt er quasi wie in einer Verwandlung einen Schmierenkomödianten und einen Schauspieler. Der Wirt, der sich zu Beginn Greta „erspielt“, und Fritzens Freund Rudolf wird von Sebastian Pilgrim mit getragenem dunklem Baß gesungen. Mit kurzer aber charakteristischer Noten treten der alte Graumann, der Baß John in Eichen und seine Frau Petra Welteroth /Mezzo auf. Michael Baba gibt trotz Erkältung die lyrische Heldenrolle des Künstlers Fritz, die er sehr einnehmend ausgestalten kann, und Cornelia Ptassek ist Greta mit schönem wandelbarem, manchmal etwas gaumig getöntem, in der Höhe aber blendend ausschwingendem Sopran.
Friedeon Rosén