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Manfred Schmid: SCHAUSPIELER, MÖNCH und JUDE VOM DIENST

21.12.2021 | INTERVIEWS, Schauspieler

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Manfred Schmid: 
SCHAUSPIELER,
MÖNCH
und JUDE VOM DIENST 

Der Wiener Schauspieler Manfred Schmid hat seine Memoiren veröffentlicht und dabei gleich zwei Titel gebraucht: „Nichts ist heilig“ und „Gebt dem Affen Zucker“. Er blickt auf ein reiches, mehr als 80jähriges Leben zurück. Nicht nur, dass er ein Stück Wiener Theatergeschichte mit erfahren, darin „mitgespielt“ hat, er hat vieles zu berichten – von einer Kindheit, die den Zweiten Weltkrieg noch bewusst erlebt hat, von dem damals noch legendären Reinhardt-Seminar, von seinen Jahren als Augustiner Chorherr im Stift Klosterneuburg. Im übrigen liest man über Theater aller Art, große und kleine Bühnen, über die einst legendäre Wiener „Szene“, Tourneen an der Seite von Stars wie O. W. Fischer, Film und Fernsehen. Und da ist noch seine Spezialität, nämlich viele Jahre lang „der Jude vom Dienst“ gewesen zu sein.

Mit Manfred Schmid sprach Renate Wagner

Lieber Manfred, ich sage es gleich, wir wollen niemandem etwas vormachen: Ich bin zum Teil schuld daran, dass Du Deine Memoiren geschrieben hast – beziehungsweise erzählt, auf meine leichtsinnige Aufforderung „Mach doch ein Buch daraus!“ Und in der Folge kam die Arbeit, Deine stunden-, tage- und wochenlangen Erzählungen niederzuschreiben und in Buchform zu bringen, auf mich. Macht nichts, ist habe es gerne getan, ich bin froh, dass das Buch da ist, vor allem, weil es ein Stück Wiener Theatergeschichte festhält, mit vielen Namen, die heute schon vergessen sind.

Das war mir auch ein Anliegen. Natürlich habe ich auch über das Theater hinaus viel erlebt und viel zu erzählen. Aber wenn man einmal so alt ist wie ich, sind nicht nur viele weggestorben, sondern auch einfach vergessen. Und waren doch einst so wichtig und lebendig – wie viele, außer denen, die mit ihm gespielt haben, wissen noch, wer der großartige Toni Böhm war? Und da ich mir das Motto von Stéphane Mallarmé zu eigen gemacht habe, „Der Endzweck der Welt ist ein Buch“, halte ich auch im digitalen Zeitalter ein Buch für den geeigneten Ort, Erinnerungen zu bewahren.

Erinnerungen auch an etwas, was heute kaum noch ein Mensch weiß: Wie es beispielsweise war, im Zweiten Weltkrieg ein Kind zu sein.

Ich bin am 4.4.1940 geboren, ein originelles Datum, das bedeutet allerdings, dass meine Eltern noch im Frieden beschlossen, sich zu vermehren, und dass Krieg war, als ich geboren wurde. Ich war schon seit meinen frühesten Jahren ein wacher Beobachter – das muss man übrigens sein, wenn man Schauspieler sein will -, und habe gemerkt, an wie viel aus dieser Zeit ich mich noch erinnere. Dass nach einem Bombenangriff plötzlich ein Haus entzwei gerissen war – und da stand wie ein Puppenhaus, in das man hineinblicken kann. Wie die amerikanischen Bomber über uns flogen und ich sie in kindlicher Naivität lieber ansah, statt mich zu fürchten und zu verstecken. Und später, als die Amerikaner dann da waren, mit welcher Windeseile die Nazis in Bauerngewänder schlüpften und schlechtweg verschwanden, während ihre Uniformen unter den diversen Misthaufen vergraben wurden…

Du warst mit Mutter, Vater und Großmutter jahrelang auf der Flucht aus Wien, später seid ihr zurück gekommen, und Du hast den „ideologischen“ Umbruch in den fünfziger Jahren sehr genau beobachtet.

Ja, natürlich, die Nazis waren dann noch überall, in der Volksschule, im Gymnasium Stubenbastei und auch im Reinhardt-Seminar, vor allem als Lehrer. Meine Mutter hatte für einen jüdischen Korbwarenhändler, den Herr Schwarz, bis zur letzten Minute treu gearbeitet, sie hat die Nazi-Pest von uns fern gehalten, während mein Vater ein wenig ein Wendehals war – ob rot, ob braun, ob schwarz galt ihm gleich, wie vielen Österreichern übrigens, er wollte gewissermaßen ideologiefrei seine Arbeit als Architekt  tun, und wenn er sich dafür mit Parteien einlassen musste, tat er es. Ich habe später für sehr „linke“ Theater gearbeitet, die Komödianten des Conny Hannes Meyer, das Jura Soyfer-Theater von Georg Mittendrein, aber das war für mich kein Problem, das war eine Form des Theatermachens und keine persönliche Überzeugung. Begleitet hat mich mein Leben lang nur die Affinität zum Judentum.

Dein in vielen Dingen so geschickter Vater verdient aber doch noch eine ausführlichere Erinnerung.

Ja, der Architekt Anton Schmid hat mich sehr geprägt, hatte mich lange Jahre fest im Griff, so dass ich heute glaube, dass ich vielleicht zum Teil auch Mönch geworden bin, um ihm zu entfliehen… Aber ich verdanke ihm natürlich auch viel. Er war ein bedeutender Kunstsammler, Fachmann für Aquarelle und Handzeichnungen, zu uns kam nicht nur Rudolf Leopold, um zu kaufen, sondern da stand eines Tages auch der „Lederer Bub“ bei uns im Wohnzimmer, den Egon Schiele einst gemalt hat – er war ein erwachsener Mann, ich ein Bub, aber ich erinnere mich genau. Die Haupttätigkeit meines Vaters war die eines Ausstatters beim Film, da war vor und nach dem Krieg viel zu tun. Ich kam früh in Ateliers und sah mir die Schauspieler aus der Nähe an. Oskar Sima blickte auf mich Buben herab und sagte: „Du könntest mein Nachfolger werden.“ Später hat man mich zum Nachfolger von Fritz Muliar oder Otto Schenk erklärt, weil die Presse mit solchen Zuschreibungen ja immer schnell bei der Hand ist, aber um eine medial „große“ Karriere zu machen, fehlten mir entscheidende Fähigkeiten: Ellbogen  und Netzwerken.

Wieso bist Du eigentlich Schauspieler geworden?

Das war nie mein Plan. Ich war zwar immer das, was man einen „Pausenclown“ nennt, und im Gymnasium trat ich in der Schülervorstellung mit meinem damals besten Freund Karlheinz Roschitz – heute der Kronen Zeitung-Kritiker –  im „Zerbrochenen Krug“ auf, ich als Adam, er als Walter, aber ich hatte keine Zukunftsvorstellungen als Schauspieler. Es klingt wie eine dieser erfundenen Drehbuch-Episoden, aber tatsächlich war es so, dass ich einen Freund zur Aufnahmsprüfung ins Reinhardt-Seminar begleitet hatte, und weil ich mit ihm alle Rollen studiert hatte, machte ich halt auch mit. Und wurde genommen. Mein Schicksal war besiegelt. Und Jahre des Glücks folgten – ich durfte Marisa Mell küssen, ich war in Heidelinde Weis verliebt, so schöne Mädchen wie Erika Pluhar waren da… was wünscht man sich als Achtzehnjähriger mehr! Und Lehrer wie Helene Thimig, Vilma Degischer oder vor allem der verehrte Hans Jaray, das war schon großartig.

Nun, immerhin bist Du ins Kloster gegangen…

Ja, tatsächlich ging ich nach dem Seminar-Abschluß zu den Augustiner Chorherren in Klosterneuburg, die damals so dringend Nachwuchs suchten, dass sie auch mich nahmen. Ich war zweimal für einige Zeit dort (zusammen vielleicht drei Jahre), hatte durchaus meine spirituelle Phase, und es lebte sich dort vorzüglich, das Essen war sehr gut (immer wichtig in meinem Leben), ich durfte studieren und es gab eine herrliche Bibliothek… aber draußen lockte das Theater. und da waren die Freunde, die mich immer wieder auf den „rechten Weg“ zurück bringen wollten, und so landete ich eben doch dort, wo ich hin gehörte, im Theater.

Und das war ein bunter Weg durch eine „Szene“, die damals weit wichtiger und auch beachteter war für das Wiener Theaterleben als heute, wie mir scheint.

Ja, es waren einfach so viele große Persönlichkeiten in den „Kellern“, die neben Burgtheater, Josefstadt und Volkstheater das Wiener Theaterleben prägten, unser aller „Mutter“ Stella Kadmon, Hans Gratzer, Conny Hannes Meyer, Dieter Haspel, Georg Mittendrein, tolle Kollegen – man ahnt ja nicht mehr, was sich damals in den „Kellern“ tummelte – , irre Erfahrungen. Und ich denke auch sehr gerne an meine  „Komödien“-Jahre bei Helmut Siderits in der Kleinen Komödie in der Walfischgasse zurück. Komödie spielen ist genußvolle Schwerarbeit, wie jeder Schauspieler weiß.

Es fällt auf, dass Du in Deinem Buch nicht, wie man es immer wieder bemerkt, alles beschönigst, sondern mit erfrischender Ehrlichkeit offen sagst, wenn etwas für Dich schief lief…

Man muss verstehen, dass Schauspieler, die noch im Beruf stehen, lieber nichts Böses sagen, das könnte ihnen für die Zukunft schaden. Ich bin über 80, lebe in dem schönen Haus, das mein Vater sich in Artstetten gebaut hat, bin also persönlich weit vom Schuß und brauche von niemandem mehr etwas – warum soll ich nicht die Wahrheit sagen? Etwa, wie schwierig es für mich mit Hans Gratzer war, weil ich seine Entscheidungen nicht kritiklos hinnahm? Oder soll ich leugnen, dass Fritz Muliar mich noch um einige Jahre an der Josefstadt gebracht hat, auf die ich gehofft hatte? Das Theaterleben ist nicht nur eitel Freude, man ist von Anfang an mit Konkurrenz, Neid, Intrigen und Leuten konfrontiert, die einen nicht mögen. Ich war immer froh, wenn ich da durchkommen konnte, ohne mich selbst daran zu beteiligen. Und man hatte ja auch seine glücklichen Momente, privat, meine ich – endlose Gespräche mit dem ungemein klugen Helmut Qualtinger, lange Diskussionen mit Axel Corti über die Habsburger… unvergeßliche Eindrücke eines Lebens.

Du warst zu einer Zeit unterwegs, als viele echte Stars auf Tournee gingen – es muss interessant gewesen sein, Legenden wie O. W. Fischer persönlich zu begegnen.

Ja, O.W. war etwas Besonderes –  er ist übrigens in Klosterneuburg aufgewachsen, wir hatten unter den Chorherren viele gemeinsame Bekannte, das ergab schon eine Gesprächsbasis. Als Schauspieler – wir waren mit Hofmannsthals „Schwierigem“ unterwegs – war er allerdings gewöhnt, mit einigen Manierismen die Bühne total zu dominieren. Ich hatte in einer zweiten Serie die Rolle des Stani übernommen und merkte, dass er sich immer so postierte, dass ich mit dem Rücken zum Publikum stehen musste und meine Pointen verpufften. Was soll ich sagen – das habe ich geändert. Stillschweigend. Und O.W. zog ebenso stillschweigend seine darstellerischen Konsequenzen daraus, nicht mehr der alleinige Herr der Szene zu sein. Und wir haben uns gut verstanden. Ganz wunderbar war die Tournee-Erfahrung mit Rudolf Platte – ein so großer Schauspieler, der so kollegial und großzügig ist, dass er den anderen ihre Pointen nicht nur gönnt, sondern sie darin noch unterstützt, das erlebt man auch nicht alle Tage in diesem Beruf.

Irgendwann muss man zum „Juden vom Dienst“ kommen – wobei vor allem Film- und Fernseh-Caster Dich so besetzt haben?

Ich habe immer jüdisch ausgesehen, meine Mutter auch, obwohl ihre aus Lemberg stammende Mutter keine nachweislichen jüdischen Ahnen hatte, aber wer weiß das schließlich? „So jüdisch wie Sie möcht’ ich einmal ausschauen“, hat Fritz Muliar gesagt, als er in den Kammerspielen den Papst spielte und ich den Rabbi. Aber im Grunde ist es eine Sache der Mentalität und der Affinität. Wenn man nun Juden spielt, wie ich es oft getan habe, stellt sich natürlich die Frage, wie klischiert ein gewisser Singsang der Sprache und eher exzessives Mitspielen der Hände sein mag. Aber das sind Dinge, die auf Beobachtungen beruhen, in keiner Weise diskriminierend verstanden werden sollen, sondern als Eigenart – dass das Publikum dergleichen gerne sieht und darüber lacht, habe ich nie für einen Fehler erachtet. Ich habe viele Rollen „als Jude“ bekommen, viele aber auch nicht. Als man zu Beginn der Serie „Kommissar Rex“ einen Schauspieler suchte, der gewissermaßen dazu da war, die Schönheit des Hauptdarstellers Tobias Moretti durch Kontrast zu unterstreichen, hörte ich, wie die Caster sagten: „Nein, den nehmen wir nicht, der schaut so jüdisch aus.“ Die Rolle ging dann an Karl Markovics. Ich war immer froh und dankbar, wenn ich Juden spielen durfte – oder jüdische Witze erzählen. Weil diese auch so viel über die Mentalität des Volkes aussagen. Wenn die Sintflut in drei Tagen kommt, was tun Katholiken oder Protestanten? Sie beten oder blättern in der Bibel. Der Rabbi gibt den Befehl aus: Wir haben genau drei Tage Zeit, um uns auf das Leben unter Wasser vorzubereiten… Ist das nicht ein geniales Beispiel für die geplagte und blitzgscheite  jüdische Mentalität?

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Zum Abschluss müssen wir noch Deinen Lebensmenschen erwähnen, Deine Frau Inge Maux, die an dem Buch auch so eifrig mitgearbeitet hat.

Ich kenne Inge, seit sie als 18jähriges ganz schmales, androgynes Mädchen im Theater der Jugend auftauchte, wo ich damals gespielt habe. „Ingeborg Wöchtl“ hieß sie, und ich habe ihr gesagt, mit dem Namen macht man keine Karriere. Als Inge Maux ist ihr das mühelos gelungen. Sie ist wahrscheinlich so „arisch“ wie ich und auf der Bühne so perfekt jüdisch, wie man es sich nur wünschen kann, niemand singt die jiddischen  „Liederlachs“ schöner… Sie hat nicht nur viele Jahre Theater gespielt, sondern war vor allem in der letzten Zeit viel im Fernsehen gefragt und auch immer wieder in Filmen von Ulrich Seidl dabei  – ich muss die ja nicht mögen, für sie sind sie ein Riesenerfolg. Wenn sie daheim ist – gar nicht so oft, weil sie immer wieder zu Dreharbeiten ausschwärmt – , leben wir mit ihren Hunden in unserem Haus in Artstetten, ich freue mich an ihren Erfolgen, und jetzt, wo das Schreiben meines eigenen Buches geschafft ist, widme ich mich wieder meiner großen Leidenschaft, dem Lesen.

Manfred, ad multos annos, und möge Dein Buch nicht nur in Wiener Theaterkreisen Erfolg haben!

 

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