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MAJA WEBER: Mein Cello ist ein Werkzeug mit riesigen Möglichkeiten

02.11.2017 | Instrumentalsolisten

Maja Weber: Mein Cello ist ein Werkzeug mit riesigen Möglichkeiten

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Maja Weber. Foto: privat

Maja Weber und ihr Partner am Klavier, Per Lundberg, bringen ideale Voraussetzungen für große Musik zusammen: Eine mehr als 20jährige gemeinsame Musiziererfahrung kommt ohne große Worte aus. In einem künstlerischen Reifestadium angekommen sein, heißt für die schweizerische Cellistin und den schwedischen Pianisten, fokussiert in die Tiefe zu gehen. Und – last but not least – ist Maja Webers Stradivari-Cello, exakt 300 Jahre alt, ein hervorragendes künstlerisches Werkzeug mit riesigen Möglichkeiten. Vielbeachtet ist die neue Einspielung des „Duo Leonore“ mit den beiden Sonaten für Klavier und Violoncello von Johannes Brahms.

Das Interview führte Stefan Pieper

Der Begleittext der CD macht auf biografische Aspekte neugierig. Also sehen Sie Musik keineswegs „absolut“?

Es ist doch das Spannendste überhaupt, was damals rund um den Komponisten passiert ist! Welche Emotion hat er gehabt und welche nicht? Welche Menschen traf er und wovon war er abhängig? Wessen Meinung hat ihn beeinflusst? Man darf die Werke eines Komponisten nicht zu heilig sprechen, sondern sollte sie in solche Zusammenhänge einordnen.

Widerspiegelt sich Ihre persönliche Entwicklung in der tiefen Auseinandersetzung mit Beethoven und jetzt mit Brahms?

Ich habe jahrelang viele unterschiedliche Projekte innerhalb der Kammermusik gemacht – teilweise bis zu 150 Konzerte im Jahr gespielt und alles gespielt von Haydn bis zur heutigen Musik und auch viele Auftragskompositionen. Jetzt bin ich aber in einer Lebensphase, in der ich mich am liebsten jeweils eine Zeit auf einen Komponisten konzentriere und diesen ganz konsequent durcharbeite. Das gibt mir persönlich einen viel tieferen Einblick in die Sprache seiner Werke. Ich finde es schön, dass Per Lundberg und ich hier einen gemeinsamen Weg gefunden haben.

Räumt Ihnen das Label so viel Unabhängigkeit ein?

Das schöne ist, ich kann wirklich hingehen und sagen, was ich inhaltlich möchte und somit selbst entscheiden. Das eine sind die Aufnahmen, aber ein ganz wichtiger Faktor, der dabei hilft, sind auch die diversen eigenen Festivals, etwa die StradivariFESTe, wie ich sie nenne. Auch da bin ich vollkommen frei in der Programmgestaltung. Das bedeutet, dass wir uns zum Beispiel in diesem Jahr schwerpunktmässig mit Franz Schubert beschäftigen. Das ermöglicht uns, das grossartige Kammermusikwerk Schuberts als Gesamtprojekt zu präsentieren. Das empfinde ich als absolute künstlerische Freiheit.

Welche Herausforderungen stellen die beiden Brahms-Sonaten?

Es geht hier nicht nur um dynamische Kontraste, sondern auch um Veränderungen bei der Klangfarbe. Vor allem: Man kann diesen Aspekten mit den heutigen instrumentalen Möglichkeiten ganz anders gerecht werden. Die Flügel haben sich sehr verändert in den letzten 100 bis 150 Jahren. Da ist allein der Anfang von der F-Dur Sonate, der wahnsinnig orchestral geschrieben ist. Hier lässt sich mit den heutigen Mitteln viel mehr herausholen, als es mit dem Klavier zu Brahms Lebzeiten noch möglich war. Auch für mich als Cellistin ist die Größe des Brahms-Klanges eine besondere Herausforderung. Brahms stellt besondere Anforderungen an die emotionale und technische Reichweite. Da ist auf der einen Seite das grosse Gebäude mit seiner fantastischen Architektur, andererseits aber eine sehr private, intime, ganz persönliche Botschaft.

Wo geht Brahms weiter als Beethoven?

Für mich haben beide dieses wahnsinnig Strukturierte. Ich meine damit durchaus dieses „Typisch deutsche“ im positiven Sinne – aber dem stehen ganz andere, intime Momente entgegen. Die Emotionen haben für mich bei beiden eine unendliche Breite. Brahms geht in der Romantik selbstverständlich weiter. In der Harmonik und in der Form ist er meiner Meinung nach variabler in der Verarbeitung der Themen und vor allem der Begleitungen.

Welchen Part leistet Ihr Pianist bei dieser Interpretation?

Wir haben in meiner Familie schon immer eine große Kammermusiktradition gepflegt. Per Lundberg ist 13 Jahre älter und hat bereits mit meinen Eltern zusammen musiziert. Erst als meine Eltern etwas kürzer getreten sind, haben Per und ich begonnen, richtig als Duo aufzutreten.
Per Lundberg praktiziert für mich eine ganz spezielle schöne Melodieführung. Ich finde, er hat eine besonders natürliche Art zu phrasieren und Melodien zu spielen. Wir haben in 20 Jahren fast nie über Grundsätzliches in der Musik sprechen müssen. Das macht das Zusammenspiel sehr viel einfacher.

Rein subjektiv erinnert mich diese neue Aufnahme an die Tugenden großer Interpreten der alten Schule. Alles kommt so warm und organisch, ja erfrischend bodenständig daher.

Ja, mich reizt auf jeden Fall dieses Natürliche, Ungekünstelte. Das ist sozusagen meine Vision. Die Technik ist wichtig und schwierig – aber schlussendlich geht es doch um etwas ganz anderes.
Ich bin ein Gegner von gesuchten dogmatischen Interpretationen. So etwas wird schnell viel zu theoretisch und damit unnatürlich. Aus meiner Sicht sind aufgetürmte Effekte meist ein Zeichen fehlender Fantasie des Interpreten. Geniale Komponisten sind einfach „da“ – deren Aussage muss man nicht noch suchen. Es braucht immer einen Hintergrund, eine Analyse, eine Bereitschaft zur Vertiefung und eine Erfahrung, seine Sprache schlussendlich zu verstehen. Aber der Transport zum Publikum sollte auf der Intuition basieren.

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Maja Weber. Foto: privat

Wie fühlt es sich an, auf so einem kostbaren, ja legendären Instrument zu spielen?

Es ist natürlich ein Traum, auf diesem Stradivari-Cello aus dem Jahr 1717 spielen zu dürfen. Ich spiele jetzt schon seit 18 Jahren da drauf, was ich als ein Riesenglück empfinde. Ich glaube, es ist sogar eines der besten Stradivari-Celli. Es ist sicher nicht einfach zu spielen. Ich vergleiche es manchmal mit einem Pferd oder einem schnellen Auto: Es bietet einfach alle Möglichkeiten – aber man muss lernen, damit umzugehen. Niemand möchte abgeworfen werden. Aber wenn man es schafft, ein Spitzenpferd in den Griff zu bekommen, ergibt sich ein riesiges Potential. Aber man muss es zähmen.

Was muss man zähmen dabei?

Mann muss „seine Kraft“  bändigen. Die Ansprache, die Wölfe. Dieses Instrument „lebt“ extrem und es ist nicht wirklich bequem, darauf zu spielen. Aber es ist einmalig. Ich habe selten ein Cello erlebt, das in den hohen Lagen eine solche Brillanz hat. Es ist extrem ausgeglichen und bietet in allen Registern so viele Möglichkeiten. Es gibt viel weniger natürliche Begrenztheit, verglichen mit anderen Instrumenten.

Ihr Cello hat ja ein großes Jubiläum im Moment. Was bedeutet Ihnen die Geschichte Ihres Instruments?

Mein Instrument hat eine fantastische Geschichte. Es wurde von der portugiesischen Cellistin Guilhermina Suggia gespielt, nach der es auch benannt ist. Sie war eine der ersten großen Frauen-Solistinnen Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie hat sieben Jahre in Paris mit Pablo Casals zusammen gelebt und hat nach dieser Zeit eine große, für diese Zeit völlig untypische Solisten-Karriere gemacht. Es gibt ein berühmtes Bild von ihr in der Tate-Gallery.

Stradivari muss ja nicht nur ein genialer Instrumentenbauer gewesen sein, sondern hat sich selbst und seine Firma sehr gut vermarktet.

Er hat ohne Frage den „Brand“ gut aufgebaut, würde man heute sagen. Es ist eine ewige Diskussion – und wir führen sie ja auch immer wieder in unserem Stradivari-Quartett: Sind diese Instrumente wirklich so viel besser? Sicherlich gibt es ähnlich gute Instrumentenbauer in dieser Zeit. Aber wahrscheinlich war Stradivari einfach noch geschickter im Marketing.

Würden Sie auf Anhieb ein Stradivari-Instrument erkennen, wenn Sie blind verschiedene Celli zu hören bekämen?

Nein. Vor allem nicht, weil es ja unter den Stradivaris grosse Klangunterschiede gibt. Letztlich hört man doch den Cellisten viel mehr als das Cello. Dieses Instrument gibt mir einfach die Chancen, mein Spiel ständig und immer wieder zu verbessern. Die Grenzen sind bei diesem Instrument viel weiter gesteckt als bei anderen Instrumenten.

Stradivari hat ja die meisten Instrumente im frühen 18. Jahrhundert gebaut. Also lange, bevor die meiste Musik, etwa auch die beiden Brahms-Sonaten, gespielt wurden. Bedeutet dies etwas für Ihr eigenes Spiel?

Die Klangfarben waren ganz andere – allein, weil die Instrumente ja umgebaut wurden und die Saiten ganz anders beschaffen waren. Das hat mit der heutigen Klangvorstellung nicht mehr so viel zu tun. Ich finde es umso erstaunlicher, dass Stradivaris Instrumente bis heute überlebt haben, weil die Beanspruchung durch „moderne“ Spielweise eine ganz andere ist. Die Kraft, die auf Stimmstock und Decke wirkt, ist heute viel größer. Dass diese alten Instrumente den heutigen Klanganforderungen standhalten, ist schon sehr erstaunlich.

Wie arbeitet diese Stiftung, von der Sie dieses Instrument verliehen bekommen haben?

Rolf Habisreutinger, selbst aus einer  Textilindustrie in der Schweiz stammend, hat die Instrumente gesammelt. Glücklicherweise hat er dann später hat eine Stiftung gegründet, um die Instrumente so zu sichern. Mit gerade einmal sechs Stradivari-Instrumenten ist dies in der  Schweiz einmalig – es gibt allerdings einige viel grössere asiatische Stiftungen – und natürlich auch in Amerika.

Es gibt 66 Celli, einige hundert Violinen, eine Handvoll Bratschen – und eine ganze Reihe Stiftungen konkurrieren damit, dass diese Instrumente zwischen den Musikern möglichst gleichmäßig rotieren. Wie beurteilen Sie dieses Praxis?

Das ist eine philosophische Frage. Geht es hier um Aufmerksamkeit der Stiftung? Oder darum, dass möglichst viele Musiker sie spielen? Oder ist es vielleicht doch besser, wenn wenige Musiker sie eine längere Zeit oder gar ein ganzes Leben lang spielen können? Die Stiftungen denken da auch verschieden darüber. Für die Instrumente selbst ist es bestimmt besser, wenn sie nicht ständig den Musiker wechseln müssen. Für uns Musiker, die das Glück haben eines zu spielen ja sicherlich auch, aber dabin ich natürlich nicht objektiv.

Aber das Resultat ist doch erfreulich. Viele junge Musiker können auf diesen fantastischen Instrumenten ihre künstlerischen Möglichkeiten erproben und weiter entwickeln.

Das könnte man auch so sehen.

Haben Sie dieses Instrument für immer ?

Nein. Ich spiele es jetzt schon sehr lange – und das ist ein wahnsinniges Glück! Die Leihfrist wird immer nur über zwei Jahre verlängert. Früher war es sogar nur für ein Jahr, das war noch anstrengender.  Alles hängt immer von der Konstellation in der Stiftung ab. Es wäre natürlich ein ganz grosser Traum, wenn ich es noch weitere zehn Jahre spielen könnte. Nach so einem langen Zeitraum weiß man gar nicht mehr so richtig, wie man sich nochmal neu orientieren soll.

Können Sie darauf Einfluss nehmen?

Natürlich hat man Einfluss darauf. Ich habe mir natürlich immer künstlerisch die größte Mühe gegeben. Aber es gibt keine Garantie.

Letztlich geht es ja immer um die Musik.

Eben – und da können und wollen wir uns nicht völlig von den Instrumenten abhängig machen.

 

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