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MAINZ/ Staatstheater: Das 1. Sinfoniekonzert als schwergewichtiges Aperitif (Konzertdebut von GMD Gabriel Venzago)

15.09.2025 | Konzert/Liederabende

Mainz: Das 1. Sinfoniekonzert als schwergewichtiges Aperitif (Konzertdebut von GMD Gabriel Venzago)  13.9.2025

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GMD Venzago am Mikrofon. Foto: Anneliese Schürer, Staatstheater Mainz

Anfang und Ende, Männer und Frauen, Krieg und Frieden, Weltliches und Geistliches, Rares und Bekanntes, Witz imd Ernst, Leichtes und Schweres  – eine Vielfalt von Ausrufezeichen prägt das Debüt von GMD Gabriel Venzago beim Philharmonischen Staatsorchester Mainz im Großen Haus des Staatstheaters. Der 35-jährige tritt in Mainz mit der Nachfolge von Hermann Bäumer ein reiches Erbe an. Bäumer, der zur laufenden Spielzeit als Musikdirektor an die Staatsoper Prage gewechselt ist, hat in 14 fruchtbaren Jahren Mainzer Jahren viel erreicht. Vielleicht das Wichtigste: Er hat das Sprechen über Musik nicht nur vor dem Publikum, sondern auch mit dem Publikum gepflegt, und es ist ihm gelungen, seine Leidenschaft für Neues und Unbekanntes auf die Hörer zu übertragen und dabei niemand zu verprellen. Diese Konstellation ist sicher nicht einfach für einen jungen Nachfolger, der naturgemäß neue Akzente setzen möchte. Wünschenswert wäre vor allem, mehr junge Menschen für die Konzerte zu gewinnen –  so wie es in den anderen Sparten am Mainzer Staatstheater schon gelungen ist. Eine Innovation gibt es schon zu vermelden: Freitags um 13  Uhr gibt es mit dem Format „Reingehört – Konzertteaser“ die Möglichkeit, für 5 € für eine halbe Stunde ins Programm des abendlichen Sinfoniekonzertes hineinzuhören. Das bietet sich im Grunde an –  angesichts der zentralen Innenstadtlage des Theaters in unmittelbarer Nachbarschaft zum beliebten Mainzer Wochenmarkt.

Bäumer eröffnete vor 14 Jahren seine erste Mainzer Konzertsaison mit einem Monumentalwerk, Olivier Messiaens eindrucksvoller „Turangalila“-Sinfonie. Venzago präsentiert dagegen ein Art Aperitif für seine erste Saison. Aaron Coplands „Fanfare for the Common Man“ aus dem Jahr 1942 steht für einen feierlichen  Beginn und für einen nierdrigschweilligen Zugang, aber auch – wie man in Theresa Steinackers lesenswertem Programmheft nachlesen kann, für eine gesellschaftliche Mobilisierung nach dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg. Vizepräsident Henry A. Wallace rief als aufmunternde Vision „das Jahrhundert des Normalbürgers“ aus, und Eugen Goosens, Chefrdirigent des Cincinatti Symphony Orchestras, vergab Kompositionsaufträge für Eröffnungsfanfaren, die verschiedenen Abteilungen des Militärs gewidmet sein sollten. Copland entschied sich stattdessen für Wallace’ Formel, die eine Zukunft mit Wohlstand, Bildung, Demokratie und Weltfrieden versprach. Hier an diesem Abend in Mainz unterstreicht die Raumdranaturgie Feierlichkeit und Publikumsnähe. Das Licht im Zuschauerraum erlischt für eine kurze Weile, und danach steht ein Teil der Blechbläser  hinter dem Publikum  im 1. Rang und der andere Teil zusammen mit dem Dirigenten und den Schlagwerk mitsamt Pauken auf der Bühne. Das Zusasmmenspiel klappt bestens. Aber wofür soll das Publikum mobilisiert werden?

Venzago antwortez mit Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 1 aus dem Jahr 1800. Die ist nun  wahrlich kein leidenschaftlicher Appell, sondern ein geistreiches Kabinettsstück in der Nachfolge von Joseph Haydn, dessen Feinheiten eher der Kenner als der Laie erfasst. Der GMD und das Philharmonische Staatsorchester präsentieren es klanglich subtil und mit Gespür für den musikalischen Witz. präsentieren. Mit Wolfgang Amadé Mozarts Solo-Motette „Exsultate, jubilate“ KV 165 bleibt das Programm zwar im zeitlichen Rahmen der Wiener Klassik, schwenkt aber um in einen geistlichen Kontext. Zuvor aber tritt Venzago ans Mikrofon und wendet sich direkt ans Publikum. Herauszuhören ist, dass er sich in Mainz sehr gut aufgenommen fühlt, dass ihm die Atmosphäre in der Stadt ausnehmend gut gefällt, dass er die Nähe zum Publikum sucht, und dass er auch Dankbarkeit verspürt angesichts der ihm hier gebotenen Möglichkeiten. Mit diesem Gefühl der Dankbarkeit begründet er die Wahl der Mottete  – an sich nicht unpassend und vielleicht bestärkt dadurch, dass der Mainzer Martinsdom im Stadtbild das sichtbare Gegenüber zum Theater bildet.

Es sei interessant, wie sich das durch Mozarts Theater-Erfahrung mit dem Soprankastraten Venanzio Rauzinni inspirierte Werk auf der Theaterbühne anhöre, bemerkte Venzago schon in der Konzerteinführung. Leider scheint die Solistin Alexandra Samouilidou dieses Interesse missverstanden zu haben. Sie legt ihren Gesangspart im schlechten Sinne theatralisch an, mit heftigem Vibrato und schrill herausgeschleuderter Koloratur in der Kadenz, in heftigem Kontrast zur Stilistik des Orchesterparts. Dieser Missgriff ist dem GMD mit anzurechnen; schließlich kann man Frau Samouilidou am Mainzer Staatstheater als durchaus sensible Interpretin erleben – zuletzt in Janaceks „Schlauem Füchslein“. Und zur Ansprache davor darf man vielleicht anmerken, dass der Ruf der Stadt Mainz als Fastnachtshochburg niemanden verpflichtet, in etwa jedem dritten Satz einen Witz unterzubringen –  außerhalb der Faschingssaison natürlich.

Den Wiederbeginn nach der Pause markiert Venzago mit einem weiblichen Gegenstück zu Coplands „Fanfare“. Die US-amerikanische Komponistin Joan Tower (Jg. 1938) schrieb zwischen 1987 und 2014 sechs Werke unter den Titel „Fanfare for the Uncommon Woman“, die sie – in ironischer Umkehrung von Coplands Titel – einer „ungewöhnlichen Frau“ widmete. Bei der ersten Fanfare war dies Maeren Alsop, inzwischen Chefdirigentin des Radiosymphonieorchesters Wien. Alsop hatte es in einer männerdominierten Berufssparte lange nicht leicht. Tower wuchs sogar unter dem Eindruck auf, es gebe gar keine lebenden Komponisten, sondern in dieser Kunstrichtung nur „tote, weiße, europäische Männer“. Dieser durchaus authentische Eindruck ist mittlerweile zu einer kulturkämpferischen Phrase verkommen, ändert aber nichts an der Tatsache, dass im Konzertleben immer noch ein Wahrnehmungs- und Gleichberechtigungsdefizit besteht. Irgendwie feministisch klingt die Fanfare No. 1 indessen nicht, sondern vor allem moderner – dank ihrer wunderbar swingenden, jazzartigen Passagen. Der GMD verzichtet hier auf die Raumdramaturgie und lässte Blech und Schlagwerk direkt vom Podium spielen.

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Das Philharmonische Staatsorchester mit Rachmaninow. Foto: Anneliese Schürer, Staatstheater Mainz

Eröffnet wird damit der letzte Abschnitt des Konzerts. Er wartet überraschend mit einem sinfonischen Schwergewicht ersten Ranges auf. Anders als der leicht anmutende Titel suggeriert, sind Sergej Rachmaninows „Sinfonische Tänze“ op. 45 nämlich von der ursprünglichen Idee her eine ausgereifte Ballettmusik und in ihrer Konzertwirkung eine ausgereifte Sinfonie mit programmatischem Inhalt. Das Stück war das letzte Werk eines 67-jährigen, der frühzeitig aus seiner Heimat Russland geflohen war und nun erleben musste, wie die Diktatoren Hitler und Stalin Europa unter sich aufzuteilen begannnen. Die „Sinfonischen Tänze“sind ein höchst expressiver Abschiedsgesang,  teils schwelgerisch, teils schroff  – und aufgeladen mit Selbstzitaten des Komponisten sowie Anspielungen auf die mittelalterliche Totensequenz „Dies Irae“ und russisch-orthodoxen Auferstehungsgesang. Historisch gesehen schließt sich der Kreis zum Beginn – Coplands Fanfare entstand nur zwei Jahre später als Antwort auf die weltpolitische Lage. Stilistisch bewegen wir uns in einer ganz anderen Welt als zuvor. Es ist bewundernswert, wie der GMD und das hier sehr groß besetzte Orchester hier noch eine enorm dichte, farbenreiche und spannungsvolle Aufführung  zustande zu bringen. Für das Publikum ist das am Ende keine leichte Kost. Der Schlussbeifall prasselt schon los, als das Tamtam noch gar nicht verklungen ist und Venzago die Spannung mit nach unten durchgestreckten Armen noch zu halten versucht. – Insgesamt ein Abend, der zuviel gleichzeitig versprechen will, aber eben auch ein vielversprechender im besten Sinne!

Andreas Hauff

 

 

 

 

 

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