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MAINZ: SINFONIEKONZERT Nr. 2 („Geister-Variationen“ und andere Schumann-Raritäten)

14.10.2018 | Konzert/Liederabende

Mainz: Sinfoniekonzert Nr. 2 („Geister-Variationen“ und andere Schumann-Raritäten) 12.10.2018

Absteigende Holzbläserklänge, spitz, scharf und ausdauernd: Manch einer im Publikum war überfordert mit diesem schroffen Konzertbeginn. GMD Hermann Bäumer hatte die “Sieben Fragmente für Orchester. In memoriam Robert Schumann“ von Aribert Reimann (Jg. 1936) an den Anfang des 2. Sinfoniekonzerts des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz im Staatstheater gestellt.

Reimann, der die Krankenakte des behandelnden Psychiaters Dr. Franz Richarz über Robert Schumanns Aufenthalt in der Heilanstalt Endenich bei Bonn von seinem Onkel geerbt und sie gelesen hatte, bezieht sich darin auf die „Geistervariationen“ für Klavier, Schumanns letztes Werk, das dieser vor seiner selbst gewünschten Aufnahme in die Anstalt komponiert hatte. Schumann hörte damals vor allem nachts Stimmen und Geräusche, aber auch Musik und sogar ganze Musikstücke. Das choralartige Thema gaben ihm nach eigener Aussage in der Nacht zum 17.2.1854 Engel ein. In der folgenden Nacht allerdings verwandelten sich die Engel in  Dämonen, die sich als Tiger und Hyänen auf ihn stürzten. Es gelang ihm trotzdem, das Thema mit Variationen Es-Dur WoO 24 fertigzustellen. Nach seiner Ankunft in Endenich Anfang März diagnostizierte Dr. Richarz „Melancholie mit Wahn“.

Nach Schumanns Tod wurde und wird vielfach behauptet, seine letzte Werke trügen Anzeichen des geistigen Verfalls. Richarz selbst hielt nach Schumanns Tod dagegen. Er war der Überzeugung, dass (parallel zur durchaus vorhandenen organischen Störung) Schumann sich unter innerem Zwang zu viel abverlangt habe, dass er aber in seinen Werken die künstlerische Qualität gehalten habe. „Es war, als ob er im Vorgefühl der über ihn hereinbrechenden totalen Finsternis sich beeilt hätte, seinen geistigen Haushalt zu bestellen, um ja alles Schöne, was der Genius ihm bis dahin anvertraut hatte, der Nachwelt zu sichern.“(Eine sensible Darstellung der  letzten zweieinhalb Jahre des Komponisten hat 2014 der Mindener Krankenhausseelsorger Jörg Mertin unternommen. Sein lesenswerter Gütersloher Vortrag „Es wehet ein Schatten darin … Die letzten Lebensjahre des Komponisten Robert Schumanns. Psychiatrische und musikalische Aspekte“ ist im Internet abrufbar unter  https://joergmertin.de/mertin-vortrag-schumann.pdf.)

 Wie kann ein Stück klingen, das unter dem Eindruck dieser erschütternden Krankenakte entstanden ist? Man könnte sagen, dass Aribert Reimann das Ringen Schumanns mit dem Stimmen in seinem Inneren und seinen Kampf um musikalische Struktur inmitten des Chaos als Drama auskomponiert. Die Musik wirkt, als ob sich immer wieder einzelne Dämonen oder ganze Gruppen von Geistern auf einen stürzen, manche kurz und heftig, andere mit erstaunlicher Hartnäckigkeit. Manchmal aber schält sich Melodisches heraus, darunter auch Originalzitate aus Schumanns „Geistervariationen“. Unvorbereitet sollte man so etwas nicht hören. Da aber nur ein Teil des Publikums in die Konzerteinführung kommt oder vorher das Programmheft liest, wäre es in diesem Fall wohl sinnvoll, der Dirigent würde vom Pult aus ein paar Worte sagen.

So war nun eine gewisse Unruhe vorprogrammiert, und es hatte fast den Anschein, als ob der eine oder andere Hörer seinen Unmut durch lautes Husten in die besonders sensiblen Stellen des nun folgenden  Schumann-Programmes kundtun müsse. Tzimon Barto, der hünenhafte Pianist mit den zarten Fingerspitzen und den feinfühligen Ohren, ließ sich nichts anmerken. Wunderschön gelang ihm gleich der heikle langsame Einstieg in das Konzertstück G-Dur op. 92 aus dem Jahr 1849, bei dem das Klavier mit Soloklarinette und Solohorn gemeinsam zu singen anfängt. Im folgenden „Allegro appassionato“ spürt man dann einen Konflikt. Das Orchestertutti schlägt einen heroischen Tonfall an, aber das lyrisch gestimmte Klavier mag nicht so recht mitziehen, und das Stück endet in einer seltsam unentschiedenen Haltung. – Dem folgten, wähernd das Orchester auf der Bühne blieb, die „Geistervariationen“ für Klavier solo.  So wie Barto spielte, konnte man spüren, wie  Schumanns seinen Seelenschmerz, seine Angst vor dem Verstummen und seine Furcht vor der Selbstauflösung in einen solide tragenden musikalischen Rahmen eingebaut hat. – Schumanns zweites Konzertstück für Klavier, das Konzert-Allegro mit Introduktion op. 134 von 1853 folgte dann wieder einer anderen, faszinierenden Dramaturgie. Es hatte auf der Bühne des Großen Hauses etwas von Jazz, so als ob Pianist und Orchester sich zum gemeinsamen Improvisieren verabredet hätten.  Hier ein Gedanke, dort ein anderer – was machen wir daraus? Erst einmal bleibt eine schöne musikalische Idee nach der anderen liegen. Die Partner tasten sich voran. Sie brauchen lange, bis sie einen gemeinsamen Groove finden, aber am Ende haben sie sich doch zusammengerauft. Schwungvoll klingt die Musik aus. Hat Schumann hier symbolhaft gestaltet, was ihm als Städtische Musikdirektor in Düsseldorf nicht mehr gelang – mit dem Orchester auf  einen Nenner zu kommen?

Den langen und herzlichen Beifall quittierte Tzimon Barto mit einer Zugabe – sinnigerweise der (ohne Zusatzpedal gespielten) Studie in kanonischer Form E-Dur op. 56 Nr. 3 für den Pedalflügel. Sie gehört zu den polyphonen Klavierkompositionen von 1845/46,  von denen sich Schumann auch seelische Stabilisierung erhofft hatte. Das Stück war aber unter den Händen des US-amerikanischen Gastpianisten  alles andere als eine trockene Tonsatzübung, sondern entfaltete einen schönen lyrischen Spannungsbogern. – Interessant war nach der Pause die Fortsetzung des Programms mit Johannes Brahms‘ 3. Sinfonie in F-Dur op.90. Viele Musiker interpretieren Brahms, der sich nach dem Tod seines Mentors Schumann emotionale Zurückhaltung verschrieben zu haben scheint,  im „abgesicherten Modus“ und begnügen sich damit, die sauber durchkonstruierte Form nachvollziehen. Hermann Bäumer am Pult tat es nicht, sondern arbeitete zwischen den Notenzeilen des als heiter geltenden Stückes  die dämpfenden Schattierungen, die Zurückhaltung im Melodischen und die beunruhigenden Momente des Stillstandes heraus. Eine spannende Interpretation!

Andreas Hauff

P.S. Was nicht passieren darf, ich aber nun schon zum zweiten Mal erlebt habe: Dass zur Konzerteinführung Punkt 19 h die Türen des Großen Hauses noch verschlossen waren.

 

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