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Mainz: Mund-Nasen-Schutzmasken für die Universitätsmedizin-Pressegespräch  27.3.2020

30.03.2020 | Feuilleton

Mainz: Mund-Nasen-Schutzmasken für die Universitätsmedizin-Pressegespräch  27.3.2020


Von links: Markus Müller, Anja Gockel, Norbert Pfeiffer. Foto: Helene Anschütz

Vorerst hat die Corona-Pandemie uns im Griff. Im Kulturbereich hagelt es Absagen – inzwischen bis in den Sommer hinein. Am Mainzer Staatstheater prangen Banner „Bis bald!“ Doch wann ist „bald“? Niemand weiß so recht, wann der Spielbetrieb wieder aufgenommen werden kann. Mit virtuellen Angeboten versucht man, sich und das Publikum bei Stimmung und in Übung zu halten. In diese eigenartige Mischung von Betriebsamkeit und Friedhofsruhe platzt die Einladung des Theaters zu einem Pressegespräch: „Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen“, steht da. Es geht um eine Kooperation mit der Mainzer Universitätsmedizin, früher schlicht „Uniklinik“ genannt, und der bekannten Mainzer Modedesignerin Anja Gockel.

Es ist ein kühler, aber sonniger Frühlingsmorgen. Über menschenleere Straßen fahre ich mit dem Rad in die wenig belebte Innenstadt. Der Gutenbergplatz vorm Staatstheater mit seinen zahlreichen Gaststätten wirkt ohne Menschen noch viel kahler als ohnehin schon. Am Seiteneingang zum Großen Haus am Tritonplatz nimmt mich eine junge Frau in Empfang. „Man merkt gleich, dass Markttag ist. Es ist doch mehr los als sonst.“ Den Mainzer Wochenmarkt auf den benachbarten Domplätzen hat der Stadtrat entgegen zahlreichen Befürchtungen bislang nicht geschlossen, weil er „der Bevölkerung für die Versorgung mit frischen Lebensmitteln dient.“ Man verweist auf die Sicherheitsvorschriften und hat das Gedränge der Stände entzerrt. Der Gang auf den Markt erinnert einen daran, was städtisches Leben eigentlich – seit Menschengedenken – heißt, und die Vielfalt der Obst- und Gemüsestände und die malerische Kulisse vor dem Mainzer Dom sind auch ein ästhetisches Erlebnis.


Foto: Andreas Hauff

Im Haus werden wir auf die geräumige Bühne des Großen Hauses zu vier Stehtischen mit gebührendem Abstand geleitet. Zu uns sprechen Staatstheater-Intendant Matthias Müller, die Modeschöpferin Anja Gockel, der Vorstandsvorsitzende und Medizinische Vorstand der Mainzer Universitätsmedizin, Prof. Dr. Norbert Pfeiffer sowie Ute Noack, Kostümdirektorin des Staatstheaters. Der Kern der Sache ist schnell berichtet: Die Schneiderwerkstätten des Staatstheaters und des Gockel‘schen Ateliers nähen Mund-Nasen-Schutzmasken aus Baumwollen für die Mainzer Universitätsmedizin – nicht für das Personal im Operationssaal, sondern für den alltäglichen Bedarf, der entsteht, wenn jede Person, die das Gelände betritt, eine Maske tragen muss. (So ist es seit Beginn der Woche Vorschrift.) Leider habe man vor Jahren auf Einwegmaterial umgestellt, bedauert Pfeiffer, jetzt brauche man etwa 1000 Stück am Tag. Die Vorräte würden knapp, und er habe um Hilfe gebeten. Noack berichtet, die Idee sei in der Schneiderei schon vor Pfeiffers Anruf entstanden – aus der Schockstarre vor dem Veranstaltungsverbot, und sie habe melden können: „Wir nähen schon.“ Gockel berichtet von den 11 fest angestellten Schneiderinnen in ihrer Werkstatt, die „in einem Paradies voller Stoffe“ nichts zu nähen hatten und sich nun freuten, etwas Sinnvolles und Nachhaltiges zu tun.


Mit Mainzer Dom aus dem Atelier Gockel. Foto: Andreas Hauff

Nachhaltig heißt in diesem Fall: Waschbar bei 40 °C, aus Baumwolle mit möglichst wenig Synthetik-Anteil, herzustellen aus alten Bettlaken, Geschirrtüchern oder T-Shirts, deren Eignung sich daran bemisst, ob man durch zwei Lagen noch gut atmen kann. Entscheidend beim Waschen ist weniger die Temperatur als die Seife, denn, so Prof. Pfeiffer: „Corona-Viren gehen durch Seife kaputt.“ Mehr als 500 Masken kann er heute mitnehmen, “eine echte Hilfe!“ Aber es werden noch mehr gebraucht: In benachbarten Kliniken, für die die Mainzer Universitätsmedizin als Koordinationskrankenhaus dient, aber auch in Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen. Freiwillige Hilfe auch von Privatpersonen ist hoch willkommen, und Intendant Müller verspricht, am Eingang des Kleinen Hauses in der Moller-Passage eine Sammelstelle für die Universitätsmedizin einzurichten.

So setzt der Theaterchef in der erzwungenen Spielpause ein Zeichen für die Präsenz des Hauses und folgt damit im Grunde seiner Linie, das Theater wieder in die Mitte der Stadt und der Stadtgesellschaft zu rücken (wo es ja als Institution schon in der griechischen Antike war). Doch um Missverständnissen vorzubeugen: Die Idee ist kein Mainzer Monopol. Die Nähanleitung etwa, die man auf der Staatstheater-Homepage unter der Überschrift „Kultur trotz(t) Corona“ findet, stammt vom Dresdener Universitätsklinikum Carl Gustav Carus (Zentralbereich Krankenhaus-Hygiene und Umweltschutz). Interessant ist dennoch die Art, wie die Beteiligten sich die Idee zu eigen machen. Ziemlich schnell kamen die Schneiderinnen des Staatstheaters darauf, mit Farben und Muster eigene Akzente zu setzen. Im Atelier Gockel setzt man auf Mainzer Motive wie den Dom und auf angenähte Spitzenborten. Und das Pressegespräch findet nicht auf kahler Bühne statt: Zwei lange Leinen voll bunter Mund- und Nasenschutze hängen zwischen einem Ährenbaum und einem hölzernen Mühlrad, die aus der „Krabat“-Inszenierung von Markolf Naujoks (nach Otfried Preußlers Roman) stammen. Beides sollen Hoffnungszeichen sein. Der Baum steht für natürliches Wachstum, das Mühlrad für tätigen und täglichen Fortgang.


Aus der Theaterschneiderei. Foto: Andreas Hauff

Klinikchef Pfeiffer versteht die Aktion als Signal gegen die Ohnmachtsgefühle, die den einzelnen in der Krise leicht befallen, und für Solidarität. Er zitiert das Bild der castells, der katalanischen Menschenpyramiden, in denen einer auf den Schulter des anderen steht. Er denkt an das bevorstehende Osterfest und das traditionelle Osterlachen (risus paschalis), das den Sieg über den Tod feiern soll. Auf dem ernsten Hintergrund der Corona-Krise seien Kunst und Kultur, Design und Farbe wichtige Zeichen der Lebensfreude. Vielleicht können die bunten Masken an grauen Tagen und in grauen Gebäuden einen kleinen Kontrapunkt setzen – gegen den Rentabilitäts- und Rationalisierungsdruck, der auf dem Gesundheitswesen lastet, und für die seelischem Dimensionem unseres Zusammenlebens. Wie sagt Pfeiffer? „Wenn wir Angst haben, werden wir kränker.“

Andreas Hauff

 

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