Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

MAINZ: 7. SINFONIEKONZERT – Rued Langgaard

Musikalische Logik auf dem Prüfstand

13.04.2018 | Konzert/Liederabende

Mainz: 7. Sinfoniekonzert: Rued LanggaardMusikalische Logik auf dem Prüfstand  11.4.2018

Was ist „musikalische Logik“? Im „Handwörterbuch der musikalischen Terminologie“ spricht Adolf Nowak 2004 von einem „Anspruch, der an Musik gestellt wird“,  dass sie nämlich sich als in sich

begründeter Zusammenhang hören lässt“. Wie sagt Hans Sachs in Wagners „Meistersingern“ bei seiner Lektion für den Ritter Stolzing: „Wie fang ich’s nach der Regel an? Du stellst sie auf und folgst ihr dann.“

 Was das mit dem 7. Sinfoniekonzert des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz zu tun hat? Eine ganze Menge, denn es stellt das auf den Prüfstand, was wir gemeinhin als musikalische Logik verstehen. Mit der Sinfonie Nr. 5  des dänischen Komponisten Rued Langaard (1893-1952) hat GMD Hermann Bäumer ein eigenartiges Werk aufs Programm gesetzt, das so gar nicht den herkömmlichen Vorstellung von einer Sinfonie entspricht. Es ist existiert in zwei Fassungen; in Mainz wird die zweite aus dem Jahr 1931 gespielt. Es changiert zwischen absoluter und Programmmusik; obgleich es keine programmatischen Hinweise gibt, existieren doch gleich zwei poetische Titel, von denen man nicht so recht weiß, in welchem Verhältnis sie zu einander stehen; in deutscher Übersetzung heißen sie: „Sommer-Sagen-Drama“ und „Steppen-Natur“. Bäumer berichtete in seiner wie immer engagierten Konzert- Einführung von einem schwer erkennbaren russischen Glockenmotiv, das Analysen ergeben hätten. Der Komponist gliedert das Stück in sechs Sätze – eine „Sonate“ mit den Satzbezeichnungen „Lento misterioso“ , „Fiero pesante preciso“, „Florido“ und „Pesante“ und eine als „Coda“ definierte „Sonate con variazioni“ mit den Satzbezeichnungen „Fiero pesante“ und „Andante“. Anfang und Ende dieser Sätze konnte ich beim Hören indessen nicht erkennen, denn Langgaard reiht mit Vorliebe die unterschiedlichsten musikalischen Phrasen direkt und unverbunden hintereinande – wie ein Film, der aus der Vogelsperspektive über die unterschiedlichsten, teils vertrauten, teil bizarren Bilder von Landschaften und Menschen gleitet.

Das Lento misterioso beginnt mit minimalen Klangverschiebungen wie bei György Ligeti, um wenig mit Blasmusik eines Volksfest-Atmosphäre zu beschwören. Im Klangbild gibt es auch Gemeinsamkeiten mit den Russen Tschaikowsky und Mussorgsky, von der Ästhetik her Berührungen mit Gustav Mahler und Charles Ives. In der Satztechnik finden wir neobarocke Passagen wie bei Paul Hindemith;  dann landen wir wieder irgendwie bei Johann Strauss. Ineinander greifende („logische“) musikalische Strukturen finden wir im Ganzen kaum, eine übergreifende Idee gar nicht – es sei denn das Konzept, völlig disparate Welten in einer Gesamtschau zusammenzubringen. Dass sich Langgaard etwas dabei gedacht hat, dürfen wir annehmen. So sagte er etwa 1919 in einem Interview sinngemäß, dass Geheimnis eines wirklichen musikalischen Kunstwerks liege darin, dass man sich vornehmen müsse, seine kritischen Ansichten hinter sich zu lassen und sich stattdessen der Musik zu öffnen. Hermann Bäumer und das Philharmonische Staatsorchester taten ihr möglichstes, um das Mainzer Publikum soweit zu bringen, und brachten ein staunenswertes Klangbild nach dem anderen hervor.

Den Komponisten dürfen wir uns wohl als einen dünnhäutigen, genialischen Sonderling vorstellen – nicht unähnlich Anton Bruckner und wie dieser ein ausgezeichneter Organist, aber ohne dessen gefestigten Katholizismus und ohne dessen Neigung zu großén sinfonischen Bögen, stattdessen mit einem wachen, aber sehr misstrauischen Ohr gegenüber allen vorherrschenden Zeitströmungen. Obwohl er immer auch wieder auf Anerkennung stieß, litt Langgaard doch stark unter der Dominanz seines Kollegen Carl Nielsen und musste 47 Jahre alt werden, bis er endlich die Stelle des Domorganisten in Ribe bekam. Im Juni steht am Staatstheater Mainz die deutsche Erstaufführung seiner Oper „Antikrist“ bevor. Wir dürfen gespannt sein.

Ziemlich abfällig hat sich seinerzeit der große deutsche Musiksoziologe Theodor W. Adorno über Jean Sibelius geäußert, weil dessen Werke nicht seiner an Bach, Beethoven, Brahms und Schönberg geschulten Vorstellung von musikalischer Logik folgten. Ich wage kaum zu denken, was Adorno Böses über Langgaard gesagt hätte. Gegen dessen 5. Sinfonie jedenfalls wirkte Sibelius‘ Violinkonzert op. 47 schon fast wie ein Musterbeispiel an kompositorischer Stringenz – in der bewussten Bezugnahme auf Bachs Chaconne d-moll für Violine im 1. Satz, in der einheitlichen Stimmung des 2. Satzes und in der klaren Disposition des Finales. Solist war Mihail Katev, Konzertmeister des Philharmonischen Staatsorchesters. Zu erleben war eine gut durchgehörte, differenzierte und stimmungsvolle Wiedergabe, an der nur ein paar Intonationstrübungen in  virtuosen Passagen des 1. Satzes irritierten.

Mit Johannes Brahms‘ Serenade D-Dur op.11 nach der Pause war man eigentlich wieder daheim im vertrauten mitteleuropäischen Repertoire. Allerdings, verriet der GMD in der Einführung, spiele ein Großteil des Orchesters das Werk zum ersten Mal. Lag es an mangelnder Probenzeit, oder wollte der GMD zeigen, wie problematisch die sinfonische Aufblähung des einstigen Bläseroktetts war? Von Brahms‘ Vorbildern Haydn und Mozart, die Bäumer erwähnt hatte und die er immer in vorbildlicher Durchsichtigkeit zu Gehör bringt, war bei der Aufführung wenig zu spüren. Wirklich bei sich schien die Musik nur an den kammermusikalischen Bläser-Stellen – hier allerdings nicht ohne Unsauberkeiten. Diese wussten die Musiker in der Regel zwar schnell zu korrigieren, mussten aber dabei immer wieder Solo-Einwürfe eines veritablen Husten-Orchesters aus dem Publikum einnehmen, das allem Anschein nach –  wenn auch ungeschickt –  auf die leistesten Stellen der Musik zielte. Der Spannung förderlich war das natürlich nicht – und extrem unhöflich allemal.

Andreas Hauff

 

 

Diese Seite drucken