Magdeburg / Theater: „ROMEO UND JULIA“, BALLETT VON SERGEJ PROKOFJEW IN STIMMIGER INSZENIERUNG– 8.4.2016
Antanina Maksimovich. Copyright: Nilz Böhme
Sergej Prokofjews längstes und bekanntestes Ballett „Romeo und Julia“(op. 64), einer der Höhepunkte in seinem musikalischen Schaffen und sein bedeutendster Beitrag zur Entwicklung der Ballettkunst, hatte am Theater Magdeburg (Opernhaus) 2013 in der Choreografie von Gonzalo Galguera Premiere und erfuhr im Januar dieses Jahres eine Wiederaufnahme.
Galguera prägt seit der Spielzeit 2006/2007 als Ballettdirektor und Chefchoreografdas Ballett Magdeburg. Mit seiner auf dem neoklassischen Stil beruhenden Tanzsprachesorgt er für stimmige Choreografien abendfüllender Ballette. Für „Romeo und Julia“schuf er große, ansprechende Bilder mit großen Szenen, wie den Kampf der beiden verfeindeten Adelsfamilien Montague und Capuletauf dem Marktplatz,den Karnevals-Trubel und den Streit mit tödlichem Ausgang zwischen Mercutio, Tybalt und Romeooder den prachtvollen Ball bei den Capulets, aber auch kleine intime Szenen und sanfte, berührende Augenblicke, in denen er klare menschliche Charaktere zeichnet.
Bei seinen Choreografien baut erauf „guten alten“, theaterwirksamen Traditionen auf, entwickelt sie aber in moderner Richtung weiter. Optisch in Szene gesetzt wurden sie von Jérôme Kaplan, dessen Bühnenbilder mit wenigen Mitteln, stimmungsvolle, nicht übertriebene Renaissance-Atmosphäre schaffen. Farblich gut abgestimmte Kostüme dieser Zeit und sehr gutes, stimmungsvolles, die Handlung unterstreichendes Licht-Design–wie z. B. dieNachtszene – entführen den Zuschauer in eine vergangene Zeit mit ihren moralischen und gesellschaftlichen Zwängen, aus denen heraus die Konflikte entstehen und unausweichliche Folgen haben, in neuerer Zeit aber keine Bedeutung mehr hätten.
Die drei Akte von jeweils ungefähr vierzig Minuten Dauer mit einem etwa zehnminütigen Epilog, die der Handlung nach William Shakespeares Tragödie folgen, wurden hier in 12 Bilder unterteilt, jeweils durch einen Zwischenvorhang getrennt, vor dem kleine, intime, die Handlung verbindende Szenen stattfinden.
Die Bühne ist gut gestaltet, aber nicht überladen. Sie enthält alles, was zum Verständnis der Handlung erforderlich ist und bildet das richtige Ambiente für die jeweilige Situation.In optisch ansprechenden Bildern führen Bühne und Kostümein relativ schlichter, aber optisch sehr wirksamer Weise in die Zeitder Renaissance, in der die Handlung ihre Wurzeln hat und aus der sie ihre Sinnhaftigkeit bezieht. Bei den Kostümen hätte man sich lediglich eine noch stärkere farbliche Differenzierung und Charakterisierung derbeiden verfeindeten Lager vorstellen können, um ihre Auseinandersetzungen in den Massenszenen noch besser verfolgen zu können.
Neu und wirkungsvoll wird die farbenfrohe Gesellschaft zweimal von einem stumm vorbeiziehenden, finsterenTrauerzug in dunklen Kutten und übertrieben großen,die gesenkten Köpfe und Gesichter der Trauernden fast verhüllenden, Kapuzen – wie als Ankündigung von Julias Tod – kontrastiert, wobei man auch daran erinnert wird, dass die lebensfroh und prachtvoll erscheinende Zeit der Renaissance auch Not und Tod in sich barg.
Optisch sehr eindrucksvoll erschien die Wandlung der Bühne vom Bett der Julia, wo sie eine ganze Nacht mit Romeo verbracht hat und später nichtsahnend erwacht und von ihren Eltern erfährt, dass sie Graf Paris heiraten soll, Gift nimmt, nach ihrem Tod, Trauergäste wie aus den vorherigen Totenzügen ins Zimmer kommen, der „Paravent“ hochgezogen wird und plötzlich das Ganze zur Gruft geworden ist, eine nicht nur optischeVerwandlung, sondern auch eine emotionale.
Mit Bühne und Kostümen wird eine völlige stilmäßige Übereinstimmung zwischen der fast neoklassizistischen Musik Prokofjews, die bis an die Grenzen zur Atonalität reicht, dem optischen Eindruck der an zeitgenössische Darstellungen der Renaissance erinnernden „klassischen“ Bühnengestaltung – ein Fest für’s Auge, aber nicht übertrieben – und der neoklassischen Choreografie mit Elementen des klassischen Tanzes und des Ausdruckstanzes, aber auch durchaus modernen Elementen hergestellt.
Die Massenszenen auf dem Markplatz illustrieren die Handlung und bieten einen relativ modernen volkstümlichen Tanz in Renaissance-Kleidung, gemäßigt, dezent und ein wenig distanziert, und die Frauen kokettieren – nicht zuletzt auch ein Zugeständnis an das (lokale) Publikum, aber mit Wirkung.
Das Ballett Magdeburg orientierte auf anmutige, gefällige Ausführung, wenn es auch gelegentlich kleine Ungenauigkeiten gab. Antanina Maksimovich überzeugte – auch viel auf Spitze – als anmutige Julia und Mohamed Saved als junger, schöner Romeo. Sie tanzten „flüssig“ und geschmeidig, ausdrucksvoll und mit guter, natürlicher Körperhaltung solo und im Pas de deux mit Hebefiguren und meisterten die (mittleren) Schwierigkeiten auch im Einklang mit der, von der Magdeburgischen Philharmonie unter der Leitung von Michael Balke ausgeführten Musik. Zu Beginn legte Balke Wert auf sehr starke Kontraste, später kam das Orchester dem Personalstil Prokofjews schon näher.
Kraft- und energievoll erschienen die beiden „Pas de deux“ als Zweikampf zwischen Tybalt und dem „lange“ sterbenden Mercutio, der „nicht abtreten will“ und sich immer wieder, seine tödliche Verwundung ignorierend, sehr naturalistisch als Held zu präsentieren versucht, sowiezwischen Tybalt und Romeo als Repräsentanten der seit Generationen verfeindeten Adelsfamilien – gute Tänzer und starke Szenen, die gegen Ende des Abends noch für atemberaubende Dramatik sorgten. Wie jetzt üblich, gab es auch in dieser Choreografie (realistische) Gewalt, aber hier hatte sie Sinn und entsprach der Handlung, wenn z. B. Romeo Tybalt aus Rache ermorden will und andere ihm in den Arm fallen.
Was diese Inszenierung des bekannten Balletts so eindrucksvoll macht, ist die Übereinstimmung von Prokofjews Musik mit ihren klassischen Anklängen, reicher, sehr vielfältiger Instrumentierung, rhythmischer Komplexität und Dissonanzen an der Grenze zur Atonalität, der ebenfalls aus klassischer Tradition, Ausdruckstanz und modernen Tanzelementen nahtlos verbundenen Choreografie und in gleicher Weise, im gleichen Stil erstellte Bühnenbilder und Kostüme – eine Harmonie auf neue, ungewohnte, aber sehr beeindruckende Art.
Ingrid Gerk