MAGDEBURG: DIE BLUME VON HAWAII
7.1. 2024 (Werner Häußner)
Carmen Steinert, Rosha Fitzwhole. Foto: Andreas Lander
Die traumschöne Perle der Südsee schimmert nicht, und das Paradies am Meeresstrand schrumpft zu einer silbrigen Mini-Palme, die wie ein Urlaubs-Mitbringsel auf der Theke einer Fleischerei steht. Julien Chavaz, Generalintendant des Magdeburger Theaters, hat aus Paul Abrahams Operette „Die Blume von Hawaii“ den Klischee-Exotismus gründlich getilgt. Nur ein paar Papierschiffchen, das stumpfe Blau eines Vorhangs und die sandig-beige Farbe des Lichts erinnern auf der Bühne von Jamie Vartan daran, dass Abraham das krisengebeutelte Publikum von 1931 mit seinem Südsee-Szenario aus der tristen Gegenwart ins Talmi-Glück eines exotischen Traums entführen wollte.
Was Chavaz nicht vergisst: Der jüdische Komponist aus Ungarn, der in Berlin kometenhaft zum „König der Jazz-Operette“ emporstieg, setzt den ungeniert ausgespielten Stereotypen eine Selbstironie in absurder Verkleidung entgegen. Da passt alles und nichts zusammen in der fröhlich bunten Mischung aus schwarzem Jazz und süffigen Hawaii-Gitarren-Portamenti, aus flirrender Vibraphon-Erotik und elektrisierendem Schellack-Rhythmus, angesiedelt zwischen Pazifik und Monte Carlo. Nur: Aufdecken muss man das schon, sonst bleibt die „Blume von Hawaii“ in billiger Exotik stecken, die aus heutiger Position den üblen Ruch von Kolonialismus, Paternalismus und Rassismus ausdünstet.
Die flott gestylte Inszenierung in Magdeburg entkommt der Falle durch eine gründliche Bearbeitung, deren Vermeidungsstrategie manchmal allzu eilfertig eine „woke“ Schnappatmung zu umgehen scheint. Aber das Konzept will nicht nur skrupulös das N*-Wort oder gar das Blackfacing des im Original schwarzen Jazzmusikers Jim Boy tilgen. Es setzt das turbulente Operettenschema in einen neuen Rahmen, der inhaltlich weiterführt – so banal er anfangs auch wirken mag. Wir finden uns nämlich bei einem Fleischhauer wieder: Es ist Ladenschluss, und Verkaufskraft Dani (Carmen Steinert) möchte gerne zusperren und nach Hause gehen. Wäre da nicht eine ältliche Stammkundin. „Frau Schröder“, offenbar früher mal am Theater, träumt sich unversehens in ihre Vergangenheit hinein. Ein paar Klänge aus dem Radio lassen sie eine Geschichte „von vorgestern“ imaginieren. „Dani“ gerät in den Sog der Erinnerungen, bis er oder sie (die Figur ist geschlechtlich nicht eindeutig festgelegt) selbst Teil einer Show wird, die sich aus den Erinnerungen der betagten Ex-Sängerin löst und auf der Bühne manifestiert.
Auch wenn es in der Dramaturgie manches Mal knirscht: Der Trick, Frau Schröders nostalgische Rückblende auf einer Varietébühne der „goldenen“ Jahre vor 1933 in Fleisch und Blut zu kleiden, funktioniert. Unauffällig wird die heute problematisierte Figur des Jim Boy in „Dani“ aufgelöst – und das Wesen aus der Fleischerei singt den schwermütigen Song „Bin nur ein Jonny“ mit neuem Text. Aus schwarzem Gesicht und wolligem Haar – den von den Nazis später begierig ausgeschlachteten rassistischen Stereotypen – wird „blasses Gesicht, strähniges Haar …“, wird „ich bin nur Dani … gewöhnlich, klein und trivial, halt stinknormal.“ Eine Person, die von niemandem gesehen wird, die kein „Ansehen“ hat, die aber gerne auch amüsant und interessant sein möchte.
Damit überträgt Chavaz die implizite Verachtung, die sonst dem „Nigger“ entgegenschlug, auf die anonyme Bedeutungslosigkeit einer Figur von heute. Doch er bleibt nicht dabei stehen. Er holt „Dani“ aus dieser Ecke heraus und vermittelt eine wunderbare Botschaft: Die Wurstthekenkraft findet dank des Theaters zu sich selbst, kann aus der Gemeinschaft der Darstellenden Selbstwert und Selbstbewusstsein entwickeln. Das Theater als Kraft, die einen Menschen verwandeln kann: Schöner kann man Paul Abrahams Operette wahrhaftig nicht aktualisieren.
Dafür sind freilich auch Opfer in Kauf zu nehmen. Niemand fragt, was denn der „Gentleman im Dschungel“ zu tun hat, keiner legt das „Diwanpüppchen“ so richtig um. Dafür bläht Kay Tietje – auch der Dirigent des Abends – die übrigen Nummern zum Teil heftig auf – auf der Grundlage der vor 20 Jahren zufällig wiedergefundenen Originalpartitur, aus der Matthias Grimminger und Henning Hagedorn eine Instrumentation aus dem Geist der Zwanziger destilliert haben. Die Magdeburgische Philharmonie jedenfalls klingt allzu süffig an vielen Stellen, an denen ein luftigeres, idiomatischeres Klangbild angebracht wäre. Tietje achtet auch zu selten auf die Ausgewogenheit unter den Orchesterfarben und -stimmen. Der mitreißende rhythmische Schmiss wirkt reichlich fett geschmiert.
Keine verlogene Hawaii-Romantik auch in Wojciech Dziedzics Kostümen. Sie erinnern eher an den Bühnen-Glamour der Entstehungszeit der Operette, evozieren die wohldosiert anrüchigen Unterhaltungsetablissements, wie sie durch das Berliner „Haus Vaterland“ oder das in „Babylon Berlin“ beschworene „Moka Efti“ repräsentiert wurden. Hawaii beschränkt sich auf eine reichlich zerzauste Palme, die sich von oben auf die Bühne abseilt. Jamie Vartan gestaltet sie, als habe er ein Urbild des Theaters beschwören wollen und hält gleichzeitig Distanz zur Illusionsfalle des Theaters.
Dort im Portal dreht Stefan Sevenich als verliebter Kapitän Reginald Harald Stone gekonnt seine Pirouetten (oder was auch immer) als wunderlicher Bear zwischen den Tänzer:innen (nette Choreografien von Nicole Morel). Er ist eigentlich ein sensibler Daddy-Typ, der aber auf Befehl der amerikanischen Gouverneurin – Ulrika Benecke-Bäume verwandelt den „Gouverneur“ des Originals in eine queer-maskuline Figur – den Hawaiianern mal so richtig die Macho-Zähne der Besatzer zeigen soll: „Wo es Mädels gibt, Kameraden“, bleibt als sexismustriefender Marsch ungecancelt.
Was auch nur peripher funktioniert: Der politische Konflikt in der Operette zwischen den amerikanischen Besatzern und den aufbegehrenden Hawaiianern gewinnt in dem Varieté-Setting nur die Brisanz einer Wintergarten-Revue. Die glamouröse Meike Hartmann schlägt keine Funken aus dem Zwiespalt der Prinzessin Laya, die nicht damit gerechnet hat, ihr Volk durch eine Heirat mit dem ihr schon als Kind zugesprochenen Prinzen Lilo-Taro vor der Fremdherrschaft bewahren zu sollen. Sie hat sich eher in den feschen Kapitän verguckt, den sie durch großmütigen Verzicht auf ihre Herrscherinnenrechte vor Degradierung und Verhaftung bewahrt.
Profile wie die des undurchsichtigen hawaiianischen Nationalisten Hilo (Gabriele Stoppel-Bachmann) bleiben ebenso unterbelichtet wie die unwillkommene Affäre der Gouverneursnichte Bessie Worthington (Weronika Rabek) mit dem brav mit Façonschnitt und Knickerbocker herumhüpfenden Botschaftssekretär John Buffy (Adrian Domarecki). Die als süßes Hawaii-Girl angelegte Soubrettenpartie der Raka hat man – etwa bei Thomas Enzinger in Dortmund – ebenfalls schon profilierter gedeutet gesehen als mit der arg grob intonierenden Irene Cabezuelo. Auch wenn sie nicht singen kann, macht Carmen Steinert ihre Sache als Dani glaubwürdig und anrührend. Und Susi Wirth hat in der Rolle der Frau Schröder ein paar Auftritte und Sentenzen, um derer willen man sich an sie erinnern wird. Auch wenn sie der Illusion der „Blume von Hawaii“ ein Ende setzen will: Der Mut zum Träumen wird bleiben, die kleine silberne Palme behauptet ihren Platz.