Übersetzung / EL PAÍS 24.05.2025 Wiener Staatsballett in Madrid: Choreografischer Verfall und musikalische Erlösung
Die Compagnie versucht bei ihrem dritten Besuch in der Stadt, mit einem schwülstigen und unausgereiften Programm zu überzeugen. Der musikalische Teil sicherte das künstlerische Niveau. Kann man ein Theater mit gebrochenen Flügeln, am Boden zerstörter Stimmung und verlorener Hoffnung verlassen? Man kann. Und das sollte nicht sein. Für diejenigen, die das große Ballett lieben und verteidigen, musste der Abend der Wiener im Teatro Real wie ein entmutigendes Unterfangen erscheinen. Der Applaus war verhalten, es herrschte ein Gefühl der Verwirrung; alle hatten andere Erwartungen. Trotz der anerkennenswerten Bemühungen des hauseigenen Orchesters, sich in die komplexen Klangwelten zweier so unterschiedlich gearteter Stücke einzufühlen, trotz der delikaten Interpretation der Sopranistin Marina Monzó im vierten Satz von Mahlers Sinfonie – überzeugend sowohl stimmlich als auch darstellerisch – und trotz der nachgewiesenen Qualität vieler Tänzerinnen und Tänzer war die Vorstellung des Wiener Staatsballetts ein Misserfolg; bislang einer der markantesten im Bereich Tanz und Ballett, den das Teatro Real seit seiner Wiedereröffnung erlebt hat. Es stellt sich die berechtigte Frage: Haben die Programmverantwortlichen wirklich die routinierte und mechanische Ausführung von Van Manens Concertante gesehen – und dazu noch das maßlos überzogene Durcheinander, das Schläpfer auf Mahlers vierter Sinfonie aufgebaut hat? Bei ihren zwei vorherigen Gastspielen im Teatro Real hinterließ das Wiener Staatsballett einen hervorragenden Eindruck und feierte berechtigte Erfolge: im Jahr 2000 mit Manon von Kenneth MacMillan (unter Leitung von Renato Zanella) und 2017 mit Le Corsaire von Manuel Legris, der damals auch künstlerischer Leiter der Compagnie war. Was heute präsentiert wurde, lässt diese Erinnerungen beinahe verblassen. Inhaltlich schwach, mit einer orientierungslosen und offensichtlich unmotivierten Besetzung, haben sowohl Van Manens Werk als auch Schläpfers inszeniertes Ego-Projekt – schamlos narzisstisch und allein zu seiner eigenen Glorie – einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen, beinahe von künstlerischer Armut. Das ist inakzeptabel – besonders in einem der renommiertesten Opern- und Balletttheater der Welt. Es war bekannt, dass Schläpfer als Direktor des Wiener Balletts gescheitert ist – das hat schließlich seinen Abgang beschleunigt. Oft müssen wir unsere innersten Überzeugungen zu Hause lassen, um uns den Gastgebern anzupassen – das nennt man professionelle Demut. Am 1. September übernimmt die italienische prima ballerina assoluta Alessandra Ferri (geboren 1963 in Mailand) die Leitung in Wien. Auf sie ruhen alle Hoffnungen auf eine Erneuerung und Wiederbelebung der Compagnie. Es ist nicht nur so, dass Schläpfers Choreografie wenig anregend ist – sie ist ein völlig deplatzierter Aufwand, der bereits beim umstrittenen Premierenjahr 2020 den Abstieg des Ensembles markierte. Das sinfonische Ballett ist kein Sammelbecken für alles Mögliche. Es erlebte seine Blütezeit in den 1930er und 1940er Jahren – bis Massine –, wurde auf eigene Weise von Balanchine getragen und später durch Uwe Scholz, insbesondere in Mitteleuropa, wiederbelebt und neu interpretiert – in dieser Phase war auch Schläpfer aktiv. Die Umsetzung ganzer Sinfonien für das Tanztheater ist stets eine titanische Aufgabe – deshalb ist sie so selten. Und gerade Mahlers vierte Sinfonie ist vielleicht die am wenigsten tänzerisch umsetzbare seines gesamten sinfonischen ?uvres.
Auf der Bühne irren rund 60 Tänzerinnen und Tänzer umher – frivol bekleidet in lächerlichen Kostümen –, ohne genau zu wissen, was sie tun sollen. Sie treten ein, gehen wieder ab, stützen sich gegenseitig – aber es entsteht keinerlei künstlerischer oder inhaltlicher Wert. Die Monumentalität verkommt zur Leere. Von allen großen Komponisten sind Mahler und Wagner das wohl berühmteste Duo glühender Ballett-Verächter. Doch das Schicksal strafte sie: Jeden Tag irgendwo auf der Welt kreiert ein Choreograf sein eigenes Puppenspiel zu ihrer Musik – Musik, die eindeutig nicht für den Tanz geschrieben wurde. Zwar erlauben einige Wagner- und Mahlerwerke eine choreografische Interpretation – doch das sind Ausnahmen, und dafür muss man Béjart, Neumeier oder Petit heißen. Die Behauptung, jede Musik habe einen inneren Tanz, ist nicht mehr als ein pseudoromantisches Klischee – und im Fall des „großen Balletts“ sogar prä-romantisch, wenn man an den Visionär André Deshayes denkt. Dieser brachte 1829 (mutmaßlich im Zusammenspiel mit Harfenist Bochsa) im Her Majesty’s Theatre in London einen ganzen Abend zur Sechsten Sinfonie Beethovens auf die Bühne. Die Vierte Sinfonie, die Schläpfer wählte, ist für Mahler so etwas wie seine Pastorale – bereits bei ihrer Uraufführung in Wien wie auch später in Paris missverstanden, wo der Komponist Vincent d’Indy sie als „Musik fürs Moulin Rouge, nicht für einen Konzertsaal“ bezeichnete. Um Mahler zu tanzen, braucht es ein raffiniertes, detailverliebtes Konzept (wie Tudor es in Dark Elegies zeigte) – und vor allem eine ehrliche Annahme seiner Poetik, ohne ihr Künstliches aufzuzwingen. Die Probleme mit Concertante liegen auf anderer Ebene: Es geht um rhythmische Präzision und darum, einen plastischen, scharfkantig-geometrischen Fluss zu schaffen, der das unterstützt, was Frank Martins Musik zeitweise beinahe seziert präsentiert.
Roger Salas Pascual Übersetzung El Pais